Könnten Sie einen Roboter lieben, Clemens Setz?
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Studierter Mathematiker und Germanist: Clemens Setz mag neben Literatur auch Computerspiele.
© Quelle: Max Zerrahn
Ihr jüngstes Buch “Bot“ ist entstanden, weil Sie nach eigener Auskunft nicht in der Lage waren, Ihre Gedanken im direkten Gespräch zu verbalisieren. Muss ich mir für dieses Interview Sorgen machen?
Ja. Zumindest, wenn Sie sich von mir lange Geschichten über mein Schreiben erhoffen. Das ist sehr schwierig für mich. Wer über seine Gefühle und Motivationen als Autor frei sprechen kann, der ist ein wirklich besonderer Mensch. Gesprächsbände sind deshalb auch meist schwer zu lesen, mit einer Ausnahme: der mit Joseph Brodsky, dem russischen Literaturnobelpreisträger.
“Bot“ ist kein klassischer Interviewband, denn auf die Fragen der Suhrkamp-Lektorin Angelika Klammer antworten nicht Sie persönlich, sondern Ihr Journal in Form eines Word-Dokuments. Welchen Charakter hat dieses?
Es besteht aus mehr als 1500 Seiten. Seit neun Jahren schreibe ich täglich etwas hinein. Fundstücke, Zitate aus Wikipedia, peinliche Erlebnisse, kleine Betrachtungen. Ich weiß, dass man das nicht veröffentlichen kann.
Aber Sie haben es trotzdem gemacht!
Ja, in Auszügen aber nur. Womöglich gibt es doch einen Adressaten dafür. Den Gott der Literatur vielleicht oder den, der immer da ist, wenn alle fehlen.
Weshalb ein Word-Dokument statt eines Notizblocks?
Ich beherrsche die Schreibschrift nicht, nur Blockbuchstaben. Dabei stimmt es wohl, dass Autoren, die mit der Hand schreiben, bessere Schriftsteller sind. Ich bin nur eben schlecht darin.
Sie bezeichnen das Dokument als “ausgelagerte Seele“. Inwiefern trifft das zu?
Es ist lang genug, dass man mich anhand dessen posthum oder auch schon zu Lebzeiten rekonstruieren könnte. Ich glaube, dass man die meisten Menschen nachbauen kann. Vielleicht nicht in ihrer Albernheit oder in den cholerischen Momenten, aber in ihrer intellektuellen Natur. In der Zukunft wird es Bots geben, die uns an längst verstorbene Menschen erinnern. Das klingt jetzt wie eine Folge der dystopischen Zukunftsserie “Black Mirror“. Aber ich glaube, das wird sehr normal werden, dass wir uns mit Vertreterseelen abgeben.
Löst dieser Gedanke eher Angst oder Faszination bei Ihnen aus?
In einem Universum, das dermaßen von Vernichtung bestimmt ist, heiße ich jede Form von Fortbestand willkommen.
Wie haben Sie die Antworten aus dem Word-Dokument den Fragen zugeordnet?
Nach einer einfachen Reizwortsuche im Volltext. Mein Vorbild war dabei ein Roboter, den man 2005 posthum dem Science-Fiction-Schriftsteller Philip K. Dick nachempfunden hat. Wenn man dem Fragen stellte, hat der in den hinterlassenen Schriften des Autors nach Stichworten gesucht, also eine ganz rudimentäre Software der künstlichen Intelligenz. Und trotzdem hatten die Leute damals den Eindruck, ein unglaublich erhellendes Gespräch zu führen. Passenderweise ging der Roboterkopf 2006 während eines Fluges verloren. Die künstliche Intelligenz hat sich also selbstständig gemacht.
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Clemens J. Setz in der LVZ-Autorenarena auf der Leipziger Buchmesse 2018.
© Quelle: Kempner
Zum Stichwort Wikipedia lautet Ihre Antwort: “1567: Hans Staininger, der Stadthauptmann von Braunau, brach sich das Genick, als er über seinen eigenen Bart stolperte. (Aus dem Wikipedia-Eintrag über ungewöhnliche Todesfälle.)“ Wenn man sich Ihren neuen Bart so anschaut, könnte man meinen, Sie eiferten ihm nach.
Neulich hat mir ein Unbekannter im Schwimmbad zugegrinst. Der trug auch Bart. Es ist erstaunlich, worüber sich Gemeinschaft definiert. Zwei sehr bärtige Männer in einem Fahrstuhl schauen sich wie Brüder an. Das verblüfft mich. Als Mann werden Äußerlichkeiten weniger kommentiert, man ist da eher unsichtbar. Ich habe mir den Bart wachsen lassen, weil ich einfach mal sehen wollte, was passiert, wenn das Gesicht explodiert.
Sie sind auch bei Twitter sehr aktiv. Denken Sie in diesen kryptischen Aphorismen Ihrer Tweets?
Ich denke immer Twitter-ähnlicher. Das hat mein Bewusstsein sehr stark befallen. Zum Glück hat man die Zeilenzahl erhöht, seitdem denke ich etwas entspannter. Für mich ist ein Tweet eine genuin poetische Form.
Wir hatten über digitale Kopien gesprochen, die über den Tod Bestand haben. Tweets dagegen sind etwas sehr Vergängliches.
Ja. Solche Wegwerftexte finde ich aber auch manchmal gut. Texte, die dann wieder verschwinden.
Eine Art Snapchat-Text mit kurzer Halbwertszeit?
Ja, genau. Der Autorenberuf wird von der Überheblichkeit begleitet, dass man sich unsterblich machen könnte. Twitter-Poeten haben dieser Vorstellung viel entgegenzusetzen.
Beim Stichwort “Bot“ denkt man an böse russische Hacker. Haben Sie mit denen irgendwas gemeinsam?
Ich glaube nicht. Schade eigentlich, wäre vielleicht spannend. Ich denke bei dem Begriff an Chatbots, eine Sprache generierende Software, die im Stil eines Menschen redet. Das gibt es zum Beispiel mit Werner Herzog. Ich misstraue aber auch echten Twitter-Profilen und denke immer, dass die nur simuliert sind.
Der US-Kurznachrichtendienst hat Ende Februar Tausende Accounts gesperrt, um zu prüfen, ob diese von Social Bots gesteuert sein könnten. Haben Sie sich halb gewünscht, Ihrer wäre auch dabei gewesen?
Das wäre eine schöne Anekdote gewesen! Wenn ein Algorithmus meine Einträge fälschlicherweise als künstlich missgedeutet hätte – ein heiliger Schauder hätte mich erfasst. So wie damals, als das Auto von Google Street View durch das Geisterdorf von Fukushima fuhr. Dort sind keine Menschen, also hat die Software statt Gesichtern Autofelgen unscharf gemacht. Das ist ein tiefer Einblick in eine Intelligenz, die uns völlig fremd ist. Wenn mein Twitter-Account gesperrt worden wäre, hätte ich mich ja quasi in einen Roboter verwandelt. Davon träume ich schon seit meiner Kindheit, damals habe ich mich immer als Roboter verkleidet.
In welchen Lebensbereichen wird künstliche Intelligenz Ihrer Meinung nach bald dominieren?
Im Intimbereich, in der Bekämpfung der Einsamkeit. Wir sind ja Stammestiere, leben aber zusehends atomisiert. Ich habe von einer Studie gelesen, in der man Menschen gefragt hat, auf wie viele Personen man im Notfall zurückgreifen könnte. Vor einigen Jahren war das Ergebnis im Durchschnitt fünf. Heute hat man die Umfrage wiederholt, und die häufigste Antwort war null. Die tröstliche Dimension von künstlicher Intelligenz wird meiner Meinung nach das Einzige sein, das dieser Entwicklung entgegensteuert, traurigerweise. Die westlichen Gesellschaften werden dem Bedürfnis nach einer Stammeskultur nicht mehr nachkommen können.
Können Sie sich vorstellen, sich in einen Roboter zu verlieben?
Ja, es spricht nichts dagegen. Die Menschen haben sich schon in alle möglichen Dinge verliebt, auch in alle möglichen Konstrukte. Also ja, ich könnte mir das vorstellen. Noch ist es aber nicht geschehen.
Haben Sie als Künstler einen besonderen Bezug zur künstlichen Intelligenz?
Ich denke, das hat eher mit der Sozialisation zu tun. Aber als Künstler hat man eine gewisse Egozentrik, und die Beschäftigung mit der künstlichen Intelligenz kann da heilsam sein. Sie macht einen demütiger.
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Das Cover des Buches “Bot - Gespräch ohne Autor“ von Clemens J. Setz.
© Quelle: Suhrkamp Verlag
Von Nina May