„Man sollte schwindelfrei sein“

Arbeit in 45 Metern Höhe: Marine sucht Toppsgasten für Segelschulschiff „Gorch Fock“

Noah Straßner, Toppsgast auf der „Gorch Fock“, und die Segelmannschaft holen die Segel des Segelschulschiffs ein.

Noah Straßner, Toppsgast auf der „Gorch Fock“, und die Segelmannschaft holen die Segel des Segelschulschiffs ein.

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Kiel. Bei ruhiger See gleitet das Segelschulschiff sanft die Ostseeküste entlang. Es weht nur leichter Wind, dennoch hisst die Besatzung der „Gorch Fock“ Segel am Großtopp, dem Hauptmast des Schiffes. In schwindelerregender Höhe klettert Noah Straßner in der Takelage. Sein Arbeitsplatz liegt bei Wind und Wetter in bis zu 45 Metern Höhe. Der 21-Jährige ist Toppsgast. Diese klettern als erste in die Takelage und kommen als letzte zurück an Deck. „Also man sollte schwindelfrei sein“, sagt der gebürtige Saarländer. „Mutig würde ich jetzt nicht sagen.“

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Nach jahrelanger und teurer Sanierung hatte die Marine die „Gorch Fock“ 2021 zurückbekommen. Doch noch immer ist die Stammbesatzung des 89 Meter langen Dreimasters zu klein. „Wir sind nicht ganz vollzählig, aber wir sind insgesamt relativ gut bestückt“, sagt Kommandant Andreas-Peter Graf von Kielmansegg. Er habe zwar keinen Grund zur Klage. Aber: „Insgesamt, das ist kein Geheimnis, ist es nicht leicht für die Marine, Nachwuchs zu gewinnen und an der einen oder anderen Stelle merken wir das auch“, sagt der Kapitän zur See. Zur festen Crew seines Schiffes gehören derzeit 90 Frauen und Männer. Idealerweise wären es nach Angaben der Marine aber 130.

„Wir sind ein Sturmschiff, das Schiff ist ja für den Sturm gemacht“

Straßner ist einer von aktuell nur sechs Toppsgasten an Bord des Dreimasters. Optimal sind laut Marine zwölf. Eine Berlinerin wird womöglich bald die siebte im Team. „Wir sind ein Sturmschiff, das Schiff ist ja für den Sturm gemacht“, sagt Leeloo Tiedt. Seit dreieinhalb Jahren ist sie bereits an Bord. Aber sie räumt offen ein: „Klar gibt es Tage, wo ich denke, heute lieber nicht ganz so hoch.“

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Die Jobs der Toppsgasten sind anspruchsvoll, körperlich anstrengend, aber zum Ausgleich auch mit einigen Privilegien an Bord verbunden, wie Ausbildungschefin Kristina Stündel verrät. Nach der Arbeit in der Takelage beispielsweise entfalle für Toppsgasten das Reinschiff-Machen.

Seit Indienststellung im Dezember 1958 wurden auf dem Dreimaster etwa 15.000 Offizier- und Unteroffizieranwärter ausgebildet. Im Herbst soll ein weiterer Jahrgang auf der „Gorch Fock“ das seemännische Rüstzeug in heimischen Gewässern erlernen. Der nächste Auslandstörn des Schiffes ist für kommendes Frühjahr in Richtung Iberische Halbinsel und Nordafrika geplant.

Leeloo Tiedt, Soldatin und Mitglied der Segelmannschaft des Segelschulschiffs „Gorch Fock" hängt in der Takelage. Die Berlinerin ist seit dreieinhalb Jahren an Bord und möchte Toppsgast werden.

Leeloo Tiedt, Soldatin und Mitglied der Segelmannschaft des Segelschulschiffs „Gorch Fock" hängt in der Takelage. Die Berlinerin ist seit dreieinhalb Jahren an Bord und möchte Toppsgast werden.

Für die Ausbildung des Offiziersnachwuchses hat das Schiff eine hohe Bedeutung. „Das Fahren unter Segeln ist ein anderes als unter Motor“, sagt Kommandant Kielmansegg. „Es ist eben etwas sehr Besonderes, wenn ein Schiff vom Wind angetrieben wird und man sich in größerem Umfang auf die Naturgewalten einlassen kann.“ Nach der langen Werftzeit müsse die Besatzung erst wieder Erfahrungen sammeln, komme dabei aber gut voran.

Tödlicher Sturz im Jahr 2010

Nach dem tödlichen Sturz einer Kadettin aus der Takelage 2010 in Brasilien hatte die Marine die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Schiff deutlich verbessert. An manchen Tagen sei er fünf Stunden in der Takelage, sagt Toppsgast Straßner. Etwa zwölf Kilogramm wiege sein Sicherheitsgurt. Das war früher ganz anders.

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Dirk Kock-Rohwer war 1980 sechs Monate Toppsgast auf der Bark. Damals sei er nur mit Schiffstau und Karabinerhaken gesichert gewesen. „Wenn Noah abstürzt, überlebt er das. Ich hätte mir wahrscheinlich das Kreuz gebrochen“, sagt Kock-Rohwer. Seit 2022 sitzt der 63-Jährige für die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag, ist bundeswehrpolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Zudem ist Kock-Rohwer Bio-Landwirt. Die Augen des Norddeutschen glänzen, wenn er von Deck hoch in die Takelage schaut. „Das juckt mich sofort“, sagt er. „Das Gorch-Fock-Gefühl, das wirst Du auch nicht wieder los.“ Seinen alten Seesack aus einem ehemaligen Segel des Schiffs hat er noch.

Kommandant Andreas-Peter Graf von Kielmansegg steht am Steuerrad auf der Brücke des Segelschulschiffs „Gorch Fock". Die Stammbesatzung ist noch nicht vollzählig. Der Crew gehören derzeit 90 Frauen und Männer an, 130 sind nach Marineangaben ideal.

Kommandant Andreas-Peter Graf von Kielmansegg steht am Steuerrad auf der Brücke des Segelschulschiffs „Gorch Fock". Die Stammbesatzung ist noch nicht vollzählig. Der Crew gehören derzeit 90 Frauen und Männer an, 130 sind nach Marineangaben ideal.

In die Takelage würde er sich heute noch trauen, sagt Kock-Rohwer. „Das Besondere ist, dass man nicht an Deck steht und sich den Platz mit 200 Leuten teilt, sondern da oben in relativer Freiheit arbeitet.“ Das sei für ihn vor 43 Jahren Ansporn gewesen, Toppsgast zu werden. Notwendig seien Schwindelfreiheit und sichere Hände. „Denn Sicherheit geht vor, ganz besonders da oben. Dort herrscht mehr Wind als hier unten.“ An Bord zähle jede Hand. „Wenn man sich da rausnimmt, dann funktioniert die ganze Crew nicht mehr.“

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RND/dpa

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