Niemand kennt mich so wie Facebook

Jeder Nutzer kann sich das Datenpakt herunterladen, das Facebook über ihn gespeichert hat. Unser Autor hat es ausprobiert – und einige unangenehme Überraschungen erlebt.

Jeder Nutzer kann sich das Datenpakt herunterladen, das Facebook über ihn gespeichert hat. Unser Autor hat es ausprobiert – und einige unangenehme Überraschungen erlebt.

Hannover. Ich liebe Fußball, interessiere mich für Architektur, esse gern Currywurst, trinke gern ein kühles Bier dazu und habe schon einmal meinen Urlaub in Italien verbracht. Gute Freunde wissen das, meine Familie natürlich auch – und ein US-amerikanisches Unternehmen aus Kalifornien mit rund 25 000 Mitarbeitern. Facebook kennt mich fast genauso gut wie die Menschen, die mir am nächsten stehen. Und manchmal sogar besser.

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Denn Facebook sammelt Daten über mich. Und sammelt. Und sammelt. Daten sind die Währung unserer Zeit. Wir zahlen mit ihnen, mal bereitwillig, oft aber auch ohne unser Wissen. Als ich mich im Alter von 19 Jahren bei Facebook angemeldet habe, dachte man beim Thema Datenschutz noch an das Brief- oder das Bankgeheimnis. Das war 2009.

Heute, neun Jahre später, erschüttert der Facebook-Skandal die Welt. Mehr als 87 Millionen Nutzerdaten wurden von dem Social-Media-Konzern an die umstrittene Datenanalysefirma Cambridge Analytica weitergeben. In Europa ist zwar nur ein Bruchteil der Nutzer betroffen – trotzdem frage ich mich: Was weiß Facebook denn alles über mich?

845 Megabyte Informationen über mich

Angemeldet habe ich mich in dem sozialen Netzwerk damals aus einem Grund: um Kontakt zu halten. Es war die Zeit, als Freunde in die USA gingen, Schulaustausch für ein halbes oder sogar ein volles Jahr. Wir wollten keine langen Briefe schreiben, aber doch immer mal wieder voneinander hören, am Leben der anderen teilhaben. Facebook machte das möglich. Wir waren räumlich getrennt und blieben doch in Verbindung.

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Seitdem sammelt Facebook fleißig meine Daten. Facebook kennt mich, weiß, wer ich bin, und erinnert sich besser daran als ich mich selbst, wo ich in meinem Leben bereits überall war. Das Abfragen meiner Facebook-Daten entpuppt sich als einfach. Wenn ich im Profil angemeldet bin, kann ich mit einem Klick mein Datenpaket anfordern. Wenige Stunden später wird mir der Datensatz zugeschickt – 845 Megabyte ist er groß.

Aber selbst der Download der privaten Facebook-Daten ist nicht ohne Risiko: In dem Augenblick, in dem man die Daten herunterlädt und anderswo abspeichert – sei es auf einem allgemein zugänglichen Rechner oder in einer Cloud –, kann es passieren, dass sich Dritte Zugriff auf die Daten verschaffen.

Facebook vergisst kein “Gefällt mir“, keine Nachricht und keine abgelehnte Freundschaftsanfrage seiner Nutzer. Auf Basis dieser Daten lassen sich potenzielle Käufer bestimmter Produkte ebenso gezielt ansprechen, wie potenzielle Wähler einer bestimmten Partei.

Facebook vergisst kein “Gefällt mir“, keine Nachricht und keine abgelehnte Freundschaftsanfrage seiner Nutzer. Auf Basis dieser Daten lassen sich potenzielle Käufer bestimmter Produkte ebenso gezielt ansprechen, wie potenzielle Wähler einer bestimmten Partei.

Nun geht es los, Klick für Klick gehe ich durch den Datensatz. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt. Manchmal muss ich lachen. Weil ich ein Bild oder ein Video sehe, dass mich an eine schöne Zeit erinnert. Ein spontaner, ausgelassener Nachmittag mit Freunden. Ich hatte ihn schon vergessen.

Schnell wird mir bewusst, wie genau Facebook hinschaut. Wem die Erinnerungen an längst vergangene Tage, die Facebook immer mal wieder in den Newsfeed spült, bereits unheimlich erscheinen, sollte ab hier besser nicht weiterlesen.

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Wer bei Facebook Mitglied ist, ist gläsern. Vom ersten Klick bis zum jüngsten scheint beinahe alles über mich gespeichert zu sein. Private Nachrichten, Posts, Bilder, Videos – alles wird abgelegt. Auch solche Inhalte, die ich bereits gelöscht habe. Ein Fremder, der sich Zugang zu den Daten verschafft, wüsste damit auf jeden Fall, wie ich aussehe, was ich mag und wie und mit wem ich meine Zeit verbringe. Dinge, die einen Fremden nichts angehen. Kein guter Anfang.

Penibel erhobene Standortdaten

Aber ich muss auch zugeben: Wirklich überrascht haben mich nur wenige der Inhalte, die Facebook in seinem Datenpaket über mich gespeichert hat. Die meisten von ihnen habe ich selbst geschrieben, hochgeladen oder mit einem “Gefällt mir“ markiert.

Stutzig macht mich aber vor allem eines: die penibel erhobenen Daten zu meinen persönlichen Standorten. Problemlos kann Facebook so Bewegungsprofile erstellen – und das minutengenau und über Jahre. Koordinaten werden gesammelt und mit Zeitstempeln versehen. Es wird gespeichert, wo ich mich eingeloggt habe und über welches Gerät. Hier kann ich verstehen, was mit dem gläsernen Menschen gemeint ist.

Diese Bewegungsprofile kann Facebook allerdings nur erstellen, wenn der Nutzer die Facebook-App auf seinem Handy nutzt. Aber das machen nicht wenige: Mehr als die Hälfte aller Facebook-Mitglieder aus Deutschland ist in dem sozialen Netzwerk über das Handy eingeloggt, gibt das Statistikportal statista.de an. Mithilfe der IP-Adressen lässt sich so das Bewegungsprofil erstellen.

Gläserner Mensch: Facebook weiß, wo sich seine Nutzer aufhalten, wenn sie die App benutzen, und kann so problemlos Bewegungsprofile erstellen.

Gläserner Mensch: Facebook weiß, wo sich seine Nutzer aufhalten, wenn sie die App benutzen, und kann so problemlos Bewegungsprofile erstellen.

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In meinem Protokoll finde ich die IP-Adressen aus fast zehn Jahren Facebook-Nutzung unter der HTML-Datei “Security“. Spätestens seit 2014 nutze ich die App auf meinem Handy. IP steht für Internet Protocol und sorgt dafür, dass die Daten auch da ankommen, wo sie ankommen sollen. Jedes Gerät – egal ob Handy, Tablet, Laptop oder stationärer Rechner – bekommt eine IP-Adresse. Sie gibt unter anderem Aufschluss darüber, in welcher Region sich der Nutzer gerade aufhält.

Mehr als 1500-mal wird in meinem Datenkonvolut das Buchstabenkürzel IP aufgelistet. Um herauszufinden, ob Facebook ein genaues Bewegungsprofil von mir anlegen konnte, überprüfe ich mithilfe entsprechender Internetseiten, wo die von Facebook gespeicherten IP-Adressen liegen – und bin erst einmal erleichtert. In Großstädten kann man meine Standorte ziemlich genau zuordnen. Geht es aber aus der Stadt heraus, scheint Facebook sein wachsames Auge auf mich zu verlieren. Zumindest lande ich bei der Eingabe mancher IP-Adressen auch im Mittelmeer kurz vor der afrikanischen Küste. Da war ich aber noch nie unterwegs.

Allerdings erinnert sich Facebook auch an Kurztrips in meinem Leben, die ich fast schon wieder vergessen hatte – würde Facebook mich jetzt nicht daran erinnern. Ein komisches Gefühl. Fahrten nach München zu Freunden oder die nächtlichen Reisen vom Heimatort Hannover zum Studienort im tiefsten Schwarzwald – Facebook holt Bilder aus den Tiefen der Erinnerung wieder hervor. Weiß Facebook also tatsächlich wirklich mehr über mich als ich selbst?

Geschlossene und zerbrochene Freundschaften

Noch unwohler wird mir, als ich auf die Daten meiner Freundesliste stoße. Sauber nach Alphabet aufgelistet steht dort, mit wem ich bei Facebook verbunden bin. So weit, so gut. Problemlos lässt sich dies auch in meinem Profil ablesen. Unangenehm wird es aber, wenn man sieht, dass Facebook ebenfalls speichert, mit wem ich den Facebook-Kontakt abgebrochen habe, welche Freundesanfragen ich abgelehnt habe und welche bis heute unbeantwortet geblieben sind.

Bei Facebook scheint es wie im richtigen Leben – Freunde kommen und gehen. Dass mir aber sauber aufgelistet wird, wer sich in den vergangenen Jahren von mir oder von wem ich mich in den zurückliegenden Jahren abgewandt habe, ist befremdlich. Der erste melancholische Moment tritt ein, als ich Fotos von einem ehemaligen Freund aus der Schulzeit entdecke, an den ich seit Jahren nicht mehr gedacht habe – nun ist er wieder präsent, dank des Datenpaketes, das vor mir liegt.

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Ähnlich verhält es sich bei Veranstaltungen, die über Facebook organisiert werden. Ob private Geburtstage oder Großveranstaltungen, zu denen ich ungefragt eingeladen wurde, Facebook speichert und speichert. Sogar die Einladungstexte und Kommentierungen werden aufgelistet. Außerdem ist mein Datensatz unterteilt in diejenigen Veranstaltungen, für die ich zugesagt habe, in diejenigen, an denen ich lediglich interessiert war, und in diejenigen, denen ich mit einer Absage angekündigt ferngeblieben bin. Meine Freizeitgestaltung lässt sich so problemlos auswerten. Und damit ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner Privatsphäre.

Die Privatsphäre-Einstellungen sperren nur andere Nutzer aus

Schon als ich mich 2009 bei Facebook anmeldete, hatte es erste Datenskandale gegeben. Die Bahn speicherte zwischen 2002 und 2005 wild und teils ohne Verdachtsmomente Daten von Mitarbeitern und ihren Angehörigen zur Korruptionsbekämpfung – und zahlte letztlich dafür 2009 eine Strafe von 1,12 Millionen Euro. Das Versandhaus Quelle, 2009 mitten in der Insolvenz, dachte offen darüber nach, die Daten seiner Kunden mit zu verwerten. Dem Verkauf dieser Daten stand vonseiten der Politik damals nichts im Wege. Einen lauten Aufschrei gab es nicht.

Heute sind die Datensätze, mit denen gehandelt wird, weitaus größer und inhaltlich umfangreicher als noch vor neun Jahren. Und wesentlich wertvoller. 2009 war man als Facebook-Mitglied noch einer von 150 Millionen Menschen weltweit, die das soziale Medium nutzten. Eine vergleichsweise geringe Anzahl an sogenannten Usern, wenn man sich die über zwei Milliarden Nutzer von heute vor Augen führt.

Über alle, wirklich alle weiß Facebook Bescheid – über den einen mehr, über den anderen weniger. Je nach Nutzerverhalten. Facebook weiß nur über diejenigen wenig, die wenig über sich preisgeben. Die vom Netzwerk angebotenen Privatsphäre-Einstellungen sperren nämlich ausschließlich andere Facebook-Mitglieder vom privaten Konto aus, nicht aber Facebook selbst.

Nicht nur geschriebene Chats, sondern auch die immer beliebteren Sprachnachrichten werden gespeichert – und mit ihnen die biometrischen Daten unserer Sprach- und Stimmmuster.

Nicht nur geschriebene Chats, sondern auch die immer beliebteren Sprachnachrichten werden gespeichert – und mit ihnen die biometrischen Daten unserer Sprach- und Stimmmuster.

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Auch vor sehr privatem Raum macht die Sammelleidenschaft von Facebook nicht Halt. Alle über den Facebook-Messenger privat geschriebenen Nachrichten werden gespeichert – Wort für Wort. Wie es sich für einen guten Onlinedienstleister gehört, liefert Facebook auch gleich alle angehängten Dateien mit dazu. Jedes Foto, jedes Video, jede Audiodatei ist abgelegt. Dazu gehören auch Sprachnachrichten. Es ist ein detailliertes Protokoll meiner Kommunikation über den Messenger. Was sich in Telefongesprächen im nächsten Moment wieder verflüchtigt, ist hier für immer – oder zumindest solange Facebook will – gespeichert.

Das Kommunizieren mittels Sprachnachrichten nimmt immer mehr zu. Aber wir hinterlassen mit jeder Sprachnachricht auch eine Abdruck unserer biometrische Daten. Unsere Stimme gilt als einzigartig, so wie unser Fingerabdruck, weil sie individuelle Merkmale preisgibt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge etwa will künftig auf Sprachbiometrie setzen, um die Herkunft von Asylbewerbern zu bestimmen. Die Sparkasse wiederum plant, in Zukunft Voice-Banking anzubieten. Bankgeschäfte sollen dann mit einem Sprachassistenten möglich sein.

Aber in Zeiten von Alexa, dem beliebten Sprachassistenten von Amazon, und ihren “Brüdern und Schwestern“ stellt sich die Frage: Wann lassen sich Stimmen so imitieren, dass der Unterschied nicht bemerkt wird? Wenn zum ersten Mal bekannt wird, dass mithilfe der Stimmerkennung eine Identifizierung manipuliert wurde, liegen auf Facebooks Servern bereits Millionen von Stimmdaten. Je intensiver ein Nutzer Sprachnachrichten verschickt hat, desto eher lässt sich die individuelle Varianz seiner Stimme nachbilden.

Verschlüsselung ist standardmäßig abgeschaltet

Und wer jetzt denkt: “Ach, über den Facebook-Messenger habe ich keine Sprachnachrichten verschickt“, darf nicht vergessen: Der Nachrichtendienst Whatsapp gehört auch zu Facebook. Zwar bestreitet Facebook, Daten auszutauschen, aber es ist für das Unternehmen nicht unmöglich, an sie zu gelangen. Wie bei Facebook kann der Nutzer sich auch von Whatsapp seinen Chatverlauf zuschicken lassen – inklusive aller Sprachnachrichten.

Unangenehm sind die Nachrichten auch wegen ihres Inhalts – sind es doch oft auch Sachen gewesen, die nur für mich und mein Gegenüber gedacht waren. Ein Streit mit der Ex-Partnerin oder vergebens geschriebene Nachrichten, die immer wieder ins Leere gingen und bis heute unbeantwortet geblieben sind. Facebook führt einem privates Scheitern vor Augen – aber auch privates Glück. So entdecke ich Nachrichten aus meinen ersten Tagen bei Facebook in dem Datensatz, die der Anfang einer engen Freundschaft sein sollten, die bis heute hält. Und auch der eine oder andere Flirt ist zu finden.

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Trotzdem drängt sich schnell die Frage auf, wer meine privaten Nachrichten eigentlich noch lesen kann. Jüngst wurde bekannt, dass im Messenger, der von knapp 1,3 Milliarden Nutzern verwendet wird, dieselben Regeln gelten wie für die Facebook-Plattform selbst. Bei dem Verdacht auf einen Verstoß gegen die Facebook-Richtlinien werden Mitarbeiter eingeschaltet, die dann mitlesen – nicht regelkonforme Nachrichten werden blockiert. Zwar lassen sich Nachrichten auch im Messenger End-to-End-verschlüsseln – standardmäßig ist diese Funktion von Facebook aber abgeschaltet und muss erst vom Nutzer aktiviert werden.

Für den Messenger gelten die gleichen Regeln wie für die Mutterplattform Facebook: Bei Verdacht auf Verstöße gegen die Richtlinien lesen Mitarbeiter die privaten Konversationen mit und löschen gegebenenfalls Beiträge.

Für den Messenger gelten die gleichen Regeln wie für die Mutterplattform Facebook: Bei Verdacht auf Verstöße gegen die Richtlinien lesen Mitarbeiter die privaten Konversationen mit und löschen gegebenenfalls Beiträge.

Dass Facebook seine Milliardengewinne zu einem großen Teil aus Werbung generiert, ist bekannt. Das ist das Geschäftsmodell des Konzerns. Deshalb ist auch nicht davon auszugehen, dass er diese Daten verkauft. Was aber verkauft wird, ist das Wissen um die Daten. Unternehmen können Anzeigen sehr gezielt an potenzielle Käufer ausspielen.

Schaltet eine Firma etwa eine Anzeige für ein Diätlebensmittel, können direkt Menschen angesteuert werden, die sich ihren Interaktionen zufolge für das Thema interessieren. Die Informationen gibt jeder User selbst preis: Er liket zum Beispiel Beiträge rund um gesunden Lifestyle oder die Seiten von Diätlebensmitteln.

Fein säuberlich listet Facebook in seiner Datenübersicht über mich auf, welche Firmen meine Daten haben, zu welchen Themen mir Werbung zugespielt wird und welche Anzeigen ich zu welchem Zeitpunkt angeklickt habe. Zugegeben: Damit habe ich noch die geringsten Probleme. Personalisierte Werbung ist für mich, der täglich – auch aufgrund der Arbeit – Stunden im Internet unterwegs ist, mittlerweile alltäglich. Ich kann ja glücklicherweise immer noch selbst entscheiden, ob ich dann auch kaufe.

Faulheit hilft Facebook

Eine große Freude mache ich Facebook sicher mit meiner Faulheit. Zu bequem ist es, mich bei anderen Onlineanwendungen einfach über mein Facebook-Profil anzumelden. Das ist viel einfacher, als wieder und wieder meine Kontaktdaten anzugeben. Die Quittung habe ich nun vor Augen: mehr als 60 bei Facebook installierte Apps. Manche von ihnen sind mir mittlerweile gänzlich unbekannt. Doch Facebook vergisst nicht. Kombiniert mit den gespeicherten Werbedaten ist es für das Unternehmen ein Leichtes, meine Interessen zu filtern: Fußball, Design, Medien – um nur die offensichtlichsten zu nennen.

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Doch bedeutet das Wissen darüber, was Facebook über mich speichert, jetzt, dass ich mich von dem Social-Media-Dienst abwende, meinen Facebook-Account nach neun Jahren deaktiviere? Nein! Denn eines wird in dem ganzen Datenwust meiner Abfrage auch deutlich. In jüngster Zeit hat Facebook weniger über mich gespeichert – einfach, weil meine Aktivitäten abgenommen haben. Ich bleibe also Herr über das, was ich preisgebe. Aber es gilt auch immer noch der elterliche Spruch aus dem Jahr 2009: “Pass auf, was du im Internet machst. Es vergisst nie.“

Mitarbeit: Ariane Fries

China belohnt sein AAA-Bürger

Bonus für den Online-Kauf von Büchern, Abzug für Pornokonsum: Das Social Credit System soll in China bis 2020 Pflicht für jeden Bürger werden.

Bonus für den Online-Kauf von Büchern, Abzug für Pornokonsum: Das Social Credit System soll in China bis 2020 Pflicht für jeden Bürger werden.

Für Lin Yun war Privatsphäre bislang kein Thema. Im Gegenteil: Wurde er im Supermarkt in seiner Nachbarschaft darum gebeten, für ein kleines Werbegeschenk seine Kontaktdaten preiszugeben, stellte er bereitwillig den Barcode seines WeChat-Kontos zur Verfügung. Das ist der in China am meisten genutzte Kurznachrichtendienst, vergleichbar etwa mit Whatsapp, nur dass mit WeChat auch bargeldlos bezahlt werden kann.

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Lin fand es bisher auch nicht schlimm, dass sich Alibaba, Chinas meistgenutzte Handelsplattform, genau merkt, welche Produkte er sich schon einmal irgendwo im Netz angeschaut hat. Ansonsten würden auf seinem Smartphone nicht ständig Werbefenster mit erkennbar auf seine Vorlieben ausgerichteten Waren aufpoppen.

Inzwischen wird dem 27-Jährigen aber mulmig. Denn er hat von dem Projekt der chinesischen Regierung erfahren, das seit Kurzem in etwa 40 Regionen des Landes getestet wird: dem Social Credit System. Dabei handelt es sich um eine Art Schufa, nur dass dieses System nicht allein Daten zur Kreditwürdigkeit sammelt, sondern so ziemlich alles, was ein Bürger heute im Netz oder in anderer digitaler Form hinterlässt. “Meine Regierung plant den komplett gläsernen Bürger“, befürchtet Lin.

Wer unter 600 Punkte fällt, riskiert seinen Job

So wie Alibaba und Amazon wissen, wofür sich ihre Nutzer interessieren und was sie als Nächstes kaufen könnten, will der chinesische Staat aus den Datenspuren seiner Bürger ableiten, wie sie sich in der Vergangenheit verhalten haben und in der Zukunft verhalten könnten, und sie nach einem Punktesystem entsprechend bewerten. Wer über das Internet Bücher oder Klaviernoten bestellt, soll Pluspunkte erhalten. Wer sich hingegen im Netz Gewaltszenen oder Pornografie anschaut oder viel Zeit mit Computerspielen verbringt, muss mit Abzügen rechnen.

Hat jemand aufgrund “guten Benehmens“ mindestens 1300 Punkte gesammelt, erhält er die höchste Bewertung AAA – und darf sich über zahlreiche Privilegien wie Prämiengutscheine freuen. Wer hingegen unter einen Wert von 600 fällt, landet in der schlechtesten Kategorie D. Das kann schlimmstenfalls sogar zum Jobverlust führen. Denn über eine Smartphone-App kann sich nicht nur jeder über den eigenen Punktestand informieren. Neben Behörden sollen auch Banken und Arbeitgeber, Vermieter, Einkaufsplattformen, Reiseveranstalter und Fluggesellschaften Einsicht in die Bewertung erhalten.

Gerichtsakten, Onlineshopping oder Suchanfragen

Als Datenquellen werden Gerichtsakten und polizeiliche Vermerke ebenso miteinbezogen wie das Onlineshopping-Verhalten oder Suchanfragen im Internet. Vor allem in das Verhalten in den Sozialen Medien will der Staat Einblick erhalten. Die von 800 Millionen Chinesen genutzte Kurznachrichten-App WeChat steht besonders im Visier. Betreiber Tencent stellt auf Anfrage schon jetzt Gesprächsprotokolle zur Verfügung. Das soll künftig zum Regelfall werden. Bereits 2020 soll es für jeden chinesischen Staatsbürger zur Pflicht werden, sich mit seiner Sozialausweisnummer fürs Social Credit System zu registrieren.

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Die meisten Chinesen sind es schon jetzt gewohnt, dass ihr Nutzerverhalten im Internet bewertet wird. Internetfirmen wie Alibaba oder Tencent haben fleißig Vorarbeit geleistet und nehmen aus Sicht der chinesischen Führung geradezu eine Vorreiterrolle ein – auch wenn es ihnen nur um Kommerz geht, nicht um Erziehung. Mit seinen Handelsplattformen Taobao und Tmall hat Alibaba bereits die Daten von fast 800 Millionen Nutzern gesammelt.

Die großen Internetfirmen leisten Vorarbeit

Mit seinem Dienst Sesame Credit betreibt Alibaba ohnehin schon seit einiger Zeit ein Bewertungssystem, bei dem es über das Kauf- und Zahlungsverhalten der Nutzer – wie etwa bei Ebay üblich – hinausgeht. Nach Alibabas eigenen Angaben stellt das Unternehmen die Daten bereits Behörden und Banken zur Verfügung. Und auch Tencent, der Betreiber des Kurznachrichtendienstes WeChat, arbeitet an einem ähnlichen System. Tencent und Alibaba betreiben mit WeChat eine integrierte Zahlmöglichkeit und mit Alipay eine Bezahl-App. Auch der Geldtransfer ist damit erfasst.

Das chinesische Twitter-Pendant Weibo reagiert ebenfalls auf die Regierungspläne. Gerade hat der Betreiber Sina eine neue Richtlinie verfasst. Für einen Dreimonatszeitraum würden auf Weibo gepostete Comics, Spiele, Texte und Videos genau auf Pornografie und “blutige Gewalt“ überwacht werden, heißt es. Die “Säuberung diene dazu, ein “harmonisches Community-Umfeld“ zu schaffen.

Erst war auch explizit Homosexualität als Negativkriterium aufgeführt. Hunderttausende übten daraufhin scharfe Kritik und versahen ihre Einträge mit dem Hashtag “#Ichbinschwul“. Zumindest diesen Punkt strich Weibo-Betreiber Sina wieder aus seinen Richtlinien.

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Von Felix Lee

Von Fabian Wenck

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