#OutInChurch: Warum hat die katholische Kirche ihr eigenes Arbeitsrecht?
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Die Fotomontage zeigt Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative #OutInChurch.
© Quelle: EyeOpeningMedia/rbb/dpa
Rund 125 katholische LGBTIQ+-Menschen haben sich als Initiative #OutInChurch zusammengetan und fordern von der katholischen Kirche ein Ende der Unterdrückung und ein angstfreies Leben in ihren kirchlichen Jobs – und damit einhergehend eine Veränderung des kirchlichen Arbeitsrechts, das nicht heterosexuelle Menschen diskriminiert. Aber warum hat die Kirche eigentlich ein eigenes Arbeitsrecht? Was steht genau in der sogenannten Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse? Erlaubt das Recht Diskriminierung wegen der Sexualität? Und was können Personen im Falle einer Kündigung wegen eines solchen „Loyalitätsverstoßes“ tun?
Darüber haben wir mit Renate Oxenknecht-Witzsch gesprochen. Die Juristin mit Schwerpunkt im kirchlichen Arbeitsrecht war von 1991 bis zu ihrem Ruhestand 2020 Professorin für Recht an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zudem war sie Begründerin und Mitherausgeberin der Zeitschrift „Die Mitarbeitervertretung“ (ZMV) sowie Koordinatorin von Fachtagungen zum kirchlichen Arbeitsrecht.
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Prof. Dr. Renate Oxenknecht-Witzsch setzt sich schon lange mit kirchlichem Arbeitsrecht auseinander.
© Quelle: privat
Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema:
Wieso hat die Kirche überhaupt ein eigenes Arbeitsrecht?
„In Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung steht, dass die Kirchen ihr eigenes sogenanntes Selbstordnungsrecht haben und ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln können“, erklärt Oxenknecht-Witzsch. Die Kirchenrechtsartikel der Weimarer Verfassung seien damals im Grundgesetz so übernommen und bis heute nicht geändert worden. Es gelte für die Kirchen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts seien. „Das sind unter anderem die katholische und die evangelische Kirche“, so die Juristin. Die Muslime in Deutschland hingegen hätten diesen Körperschaftsstatus nicht.
„Es ist vom Bundesverfassungsgericht bis vor Kurzem anerkannt worden, dass die Kirchen diese Loyalitätspflichten auferlegen dürfen“, erklärt die Rechtsexpertin weiter. Seit 2006 gebe es aber das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), eine Umsetzung der EU-Richtlinie. „Die EU-Richtlinie schützt tatsächlich auch die Kirchen und lässt ihnen einen Freiraum, dieser ist aber etwas schwächer gefasst, weil er den Freiraum nur gewährt, wo religiöse Fragen betroffen sind“, sagt Oxenknecht-Witzsch weiter zu dem Thema. Demnach habe die Kirche den Freiraum nicht, wo sie auftrete wie jeder andere Arbeitgeber – also etwa im Altenheim oder Krankenhaus. „Es gibt auch bei anderen Arbeitgebern bestimmte Loyalitätspflichten“, führt sie aus – etwa dass man als Journalist ab einem bestimmten Geldwert keine Geschenke annehmen dürfe, um nicht bestechlich zu sein. „Fast in jedem Job gibt es Loyalitätspflichten. Nur nicht so ausgeprägt wie bei den Kirchen, weil die Loyalitätspflichten der Kirchen sich auch auf das Privatleben auswirkten.
Seit wann gibt es das katholische Arbeitsrecht?
„Die erste gesetzliche Verankerung des kirchlichen Arbeitsrechts der katholischen Kirche erfolgte in der Grundordnung, die 1994 in Kraft getreten ist“, berichtet Oxenknecht-Witzsch. Vorher habe es kein kirchliches Gesetz gegeben, in dem die Grundlagen des kirchlichen Arbeitsrecht verankert waren. 2015 wurde die Grundordnung das letzte Mal angepasst, seitdem stehen auch die „eingetragenen Lebenspartnerschaften“ zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren mit drin. Damals gab es noch nicht die Ehe für alle, die wurde erst 2017 eingeführt in Deutschland.
An welcher Stelle werden LGBTIQ+ in der Grundordnung diskriminiert?
Unter Artikel 5 der Grundordnung zu „Verstößen gegen Loyalitätsobliegenheiten“ werden unter Punkt 2 Kündigungsgründe aufgezählt. Dabei wird auch „das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft“ aufgeführt – und zwar „wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet“. Das bedeutet, dass etwa Priester oder Pastoralreferenten, bei denen eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft an die Öffentlichkeit kommt, ohne weiteren Grund gekündigt werden können. Dasselbe gilt zum Beispiel für katholische Religionslehrer, die mit Lehraufgaben betraut sind - und damit aufgrund einer Missio canonica („kirchliche Beauftragung“) beschäftigt sind. Bei Beschäftigten, die aber Tätigkeiten nachgehen, die nicht direkt mit der Religion zusammenhängen, also etwa als Krankenpfleger oder Reinigungskraft, ist das nicht der Fall. Damit werden LGBTIQ+ bei dieser Regelung mit Personen, die nach einer Scheidung noch mal heiraten gleichgesetzt. Ihnen droht unter denselben Voraussetzungen eine Kündigung.
Wird also bei Loyalitätsverstößen nach kirchlichen Jobs unterschieden?
Ja. Und zwar zwischen „pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden“ und allen anderen. Während bei ersteren im Falle so eines Verstoßes keine andere Begründung mehr für eine Kündigung benötigt werde, müsse bei allen anderen nachgewiesen werden, dass ihre Beziehung oder Ehe mit einem gleichgeschlechtlichen Partner „nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen“. Laut Oxenknecht-Witzsch sind diese seit 2015 dadurch weitestgehend vor Kündigung geschützt und waren es schon vorher in vielen Bereichen.
Werden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tatsächlich wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungen gekündigt?
„Ich bin mir nicht sicher, wie viele tatsächlich gekündigt werden“, gibt Oxenknecht-Witzsch zu. „Aber wenn ein pastoraler Mitarbeiter eine gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen wäre, wäre ihm wahrscheinlich zumindest in einigen Diözesen gekündigt worden.“ Ihr sei aber von Mitarbeitern der Kirche, die jemand Geschiedenes geheiratet hätten, bekannt, dass diese meist nicht sofort gekündigt worden seien, sondern ihnen eine andere Stelle angeboten worden sei. „Die sind in der Regel aus dem pastoralen Dienst rausgenommen worden und zum Beispiel in der kategorialen Seelsorge untergebracht worden, also etwa in einem Krankenhaus, oder in den katholischen Verbänden, zum Beispiel in der Frauenarbeit oder Altenarbeit. Manchmal wurde auch mit dem Caritas-Verband verhandelt, dass sie da übernommen werden.“ Die Kirche habe also offenbar schon eine gewisse Verantwortung gespürt, dass sie die Menschen nicht ins Nichts fallen lasse – gleichzeitig sei es natürlich eine Art „Strafversetzung“.
Wie stehen die Chancen vor Gericht, eine Kündigung erfolgreich anzufechten?
Für alle in nicht pastoralen Jobs sehr gut, meint die Juristin. „Ich würde jedem, der deswegen gekündigt wird, raten, vor Gericht zu gehen, auch wenn es eine pastorale Stelle ist.“ Oxenknecht-Witzsch sagt weiter: „Ich würde vor Gericht damit argumentieren, mit welchem Recht sie einem kündigen, wenn sie in der katholischen Kirche wissentlich Pädophile auf Minderjährige loslassen.“
Gibt es bekannte Gerichtsfälle mit von der Kirche gekündigten LGBTIQ+-Menschen?
„Es gibt meiner Meinung nach in den letzten Jahren fast keine Gerichtsfälle zu Kündigungen wegen der erneuten Heirat nach einer Scheidung oder gleichgeschlechtlichen Ehen“, sagt Oxenknecht-Witzsch. Sie betont aber: „Was viel schlimmer ist, ist dass die Menschen sich gar nicht erst trauen, zu heiraten oder ihre Beziehung öffentlich zu leben, weil sie ihren Beruf nicht verlieren wollen.“ Sie wollten berechtigterweise eine Sicherheit. „Diese Menschen leiden unglaublich, und man nimmt ihnen ein Stück Lebensqualität.“ Damit sagt die Juristin etwas, das die #OutInChurch-Initiative auch in ihrem Manifest beschreibt. „Das ist das eigentliche Problem, und das ist auch, was ich der Amtskirche vorwerfe, dass man die Menschen diese Unsicherheit allein hat tragen lässt und ihnen Lebensqualität und -freude nimmt.“
Wie beobachtet die Juristin die #OutInChurch Debatte?
„Dass die 125 sich jetzt geoutet haben, ist richtig und wichtig. Es ist an der Zeit, auch gerade wo sich herausgestellt hat, dass viele Amtsträger so schwere Verfehlungen begangen haben, dass sich das kirchliche Arbeitsrecht ändern muss“, sagt die emeritierte Professorin deutlich. Sie selbst fordert vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz oder auch von Kardinal Marx in München, dass sie sofort diese Regelungen der Grundordnung aussetzen sollten. „Die Grundordnung kann man nämlich so schnell nicht ändern. Für die Änderung braucht man die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen. So eine Änderung zieht sich ewig lange hin, die wird man kaum hinbekommen, weil da immer auch Bischöfe sind, die das torpedieren“, erklärt sie. Dafür brauche es nun den öffentlichen Druck.
Jeder einzelne Bischof könne diese Regel in seinem Bistum aber einfach nicht mehr anwenden. „Das wäre meine Forderung“, so Oxenknecht-Witzsch. Vor allem sollten die Bischöfe die Aussetzung der Regel dann aber auch öffentlich erklären. „Sie müssen den Menschen eine Sicherheit geben. Das Hauptproblem ist ja, dass die ganze Zeit dieser Gedanke über den Menschen schwebt: ‚Wenn ich mich oute, muss ich mit einer Kündigung rechnen‘“, meint die Juristin.
Wie unterscheidet sich das evangelische Arbeitsrecht vom katholischen?
„Die Protestanten haben in Bezug auf gleichgeschlechtliche Beziehungen und Neuheirat nach Scheidung keinerlei Restriktionen“, berichtet Oxenknecht-Witzsch. „Sie stehen dem offen gegenüber.“ Im evangelischen Arbeitsrecht sei das Hauptproblem bei den Loyalitätspflichten eher die Kirchenzugehörigkeit gewesen. „Die evangelische Kirche hat lange Zeit nicht einmal eine nicht protestantische Putzfrau genommen. Das haben sie mittlerweile geändert.“ Bei Führungspersonal lege die evangelische Kirche aber immer noch sehr viel Wert darauf, dass man evangelisch sei. Insgesamt seien die evangelischen Landeskirchen sehr viel eigenständiger als die Diözesen in der katholischen Kirche und damit im Arbeitsrecht uneinheitlicher.