Psychologin über Tat von Würzburg: Ein Trauma führt nicht zwangsläufig zu Gewalt
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In Würzburg haben Bürgerinnen und Bürger Blumen und Kerzen niedergelegt.
© Quelle: Nicolas Armer/dpa
Hannover. Ein 24-Jähriger greift sich in einem Kaufhaus ein Messer und ersticht kurz darauf drei Frauen, viele weitere Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Die Tat von Würzburg erschüttert auch einige Tage später noch das Land. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Und welche Rolle spielt die Biografie des Mannes?
Der mutmaßliche Täter kam als Geflüchteter aus Somalia nach Deutschland und war noch ein Teenager, als er aus seiner Heimat vermutlich über das Mittelmeer floh. In Somalia verüben terroristische Gruppen Gewalt, zahlreiche Menschen sind auf der Flucht.
In Deutschland wurde der 24-Jährige später mehrfach verhaltensauffällig, etwa als er in der Obdachlosenunterkunft, in der er wohnte, das Personal mit einem Messer bedrohte. Kurzzeitig wurde er auch in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen.
Isabella Heuser-Collier ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Sie glaubt: Nicht jeder Geflüchtete ist zwangsläufig auch traumatisiert – und die Tat von Würzburg müsse nicht zwingend etwas mit den Erlebnissen des Tatverdächtigen zu tun haben.
Frau Heuser-Collier, der mutmaßliche Täter von Würzburg kam vor fünf Jahren aus Somalia, einem Bürgerkriegsgebiet, nach Deutschland. Was kann eine Flucht für Auswirkungen auf die Psyche haben?
Das kommt auf den individuellen Fall an, warum jemand auf der Flucht ist und wie er diese Flucht erlebt und auch das Ankommen im Ankunftsland. Es ist sicherlich immer ein emotional belastendes Erlebnis, wenn man seine Heimat verlassen muss, und auch, wenn man in dem Ankunftsland, das einem körperliche Unversehrtheit garantiert, aber wo man sich nicht heimisch fühlen kann, weil man nicht die Sprache spricht und abhängig ist von Institutionen. Aber nicht jeder Geflüchtete ist deshalb traumatisiert. Man sollte den Begriff des Traumas nicht trivialisieren, indem man sagt, dass jeder Geflüchtete traumatisiert ist. Der Mensch ist auch resilient, kann sehr viel Schlimmes aushalten, das verarbeiten und in sein Erleben so integrieren, dass es ihn nicht an einem weiteren guten Leben hindert.
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Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité.
© Quelle: picture alliance/dpa
Wenn ein Mensch nun aber doch traumatisiert ist nach einer Flucht: Führt das häufiger zu Gewalt?
Nein, das führt nicht häufiger zu Gewalt, das ist nachgewiesen. Es hängt davon ab, wie ein Mensch mit so einer traumatischen Störung umgeht. Wenn Menschen eine traumatische Störung entwickeln, heißt das aber nicht, dass sie gewalttätiger sind, sondern sie haben eher ein höheres Risiko, sozial zu scheitern, weil sie beispielsweise vermehrt alkohol- oder drogenabhängig werden oder eine Depression entwickeln. Diese Menschen brauchen Hilfe, aber das sind in der Regel keine Menschen, die gewalttätig werden. Was aber schon so ist: Wenn Kinder frühzeitig Gewalt erleben, das weiß man aus Untersuchungen von Kindersoldaten, aber auch von Kindern, die missbraucht wurden, neigen sie im jugendlichen und jungen Erwachsenenalter zu vermehrter Gewalt gegenüber Schwächeren.
Der Täter aus Würzburg soll auch unter Verfolgungswahn gelitten haben, hat ein Bekannter von ihm gesagt. Kommt das häufiger bei Menschen vor, die geflüchtet sind?
Ich finde den Ausdruck Verfolgungswahn schrecklich, weil er im Laiengebrauch etwas anderes bedeutet als in der medizinischen Fachsprache. Es gibt psychische Erkrankungen, bei denen man ein Bedrohungsgefühl hat, wo sich Menschen also verfolgt fühlen und versuchen, dem vermeintlichen Verfolger zu entfliehen oder ihm zu begegnen. Ein Wahn ist aber immer nur ein Symptom einer psychischen Erkrankung, unter anderem der Schizophrenie. Dass so ein Verfolgungswahn isoliert auftritt, ist unwahrscheinlich. Bei so einem Wahn würde man sich angucken, wie die Person sich sonst im Alltag verhält, ob es da Auffälligkeiten gibt. Für mich ist es auch schwierig, wenn man gegenüberstellt, dass jemand ein Islamist oder religiöser Fanatiker ist oder eben psychisch krank ist. Da werden psychische Krankheiten immer mit etwas Unerklärlichem in Zusammenhang gebracht und die gesamte Psychiatrie stigmatisiert. Die Politiker und die Bevölkerung sind oft beruhigt, wenn ein Täter psychisch krank und die Tat quasi ein unglücklicher Zufall ist, der uns erwischt hat. Den kann man dann wegsperren in die Psychiatrie und dann muss sich die Gesellschaft keine Gedanken machen. Während sich die Gesellschaft, wenn es ein islamistischer Täter wäre, schon Gedanken machen muss.
Werden junge Männer aus Kriegsgebieten, die nach Deutschland flüchten, denn psychisch Ihrer Meinung nach zu sehr alleingelassen?
Eigentlich nicht, in Deutschland ist die Hilfsbereitschaft, die die Gesellschaft leistet mit Trauma- und Flüchtlingszentren, in denen Ärzte, Psychiater und Seelsorger sich um die Leute kümmern, groß. Wenn jemand fluchtbedingt unter einer psychischen Erkrankung leidet, kriegt er hier auch Hilfe. Es kann immer besser gehen und wir hatten auch in der Pandemie die Diskussion, ob nicht jeder Bürger psychotherapeutische Hilfe bräuchte, um mit den Folgen umgehen zu können. Da wird zu wenig auf die Widerstandsfähigkeit der Menschen geschaut, es braucht nicht jeder einen Psychotherapeuten, um sein Leben zu meistern.
Wie kann denn solchen Menschen überhaupt frühzeitig und auch langfristig geholfen werden? Der Täter aus Würzburg war ja schon vorher auffällig und polizeibekannt. Hätte man da mehr machen können? Er war ja auch vorher schon mal kurz in psychiatrischer Behandlung.
Er war nicht in psychiatrischer Behandlung, sondern wurde einmal kurz in die Psychiatrie eingewiesen und am nächsten Tag wieder entlassen. Aber man kann niemanden, der nicht will und keine akute Gefahr für sich selbst und andere darstellt, einbuchten. Wir wollen ja auch keine Zwangspsychiatrie. Da macht es sich die Bevölkerung zu leicht, wenn sie sagt: Hätte man den nicht dabehalten sollen? Der hat doch schon merkwürdiges Verhalten gezeigt. Wir können nicht jeden mit merkwürdigem Verhalten zwangseinweisen. Meine Erfahrung ist, dass den Flüchtlingen, die unter dem Druck des subsidiären Schutzes leiden, schon Hilfe angeboten wird.
Welche Rolle spielen bei Geflüchteten Sprachbarrieren beim psychologischen Zugang? Gibt es überhaupt genügend Psychologen, die die Sprache sprechen, oder kommen da Dolmetscher zum Einsatz?
Wir zum Beispiel haben an meiner Klinik eine Arabisch sprechende Ambulanz mit arabischstämmigen Psychiaterinnen. Andere machen es mit Dolmetschern. Wobei ich der Meinung bin, dass es gerade für Psychotherapie besser ist, wenn man Muttersprachler hat, die sich auch in Kulturkreisen und Feinheiten besser auskennen, die ein Dolmetscher in der Regel doch nicht so nuancenreich ausdrücken kann.
Der Täter lebte zuletzt in einer Würzburger Obdachlosenunterkunft, dort war es auch schon mal zu einem Vorfall gekommen. Erhöht so ein eher unsicheres Umfeld auch die Chancen, dass Menschen gewalttätig werden?
Ja, das weiß man aus vielen Untersuchungen von Wohnungslosen, dass es in diesen Unterkünften leichter mal zu Auseinandersetzungen kommt. Das kann man sich ja vorstellen, wenn Menschen eng aufeinanderhocken und wenig Privatsphäre haben.
Es ist noch unklar, ob der Täter (auch) ein islamistisches Motiv hatte. Aber kann radikaler Islamismus oder generell Radikalisierung denn eine psychische Zuflucht sein, die Menschen Halt gibt?
Ja, das kennt man von allen Sektenbildungen und ideologischen Gruppierungen, dass sich unter den Mitgliedern auch Menschen finden, die sonst wenig Anerkennung in ihrem Leben bekommen und darin eine Erfüllung sehen. Das ist häufig so bei Menschen, die fanatisch werden. Da gibt die Gruppe ein Zusammenhörigkeitsgefühl und das Gefühl, wichtig zu sein.