R. Kelly – Aufstieg und Niedergang eines Superstars
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Einst ein Superstar: Der Rapper und Rhythm-’n’-Blues-Sänger R. Kelly zu seinen Erfolgszeiten während eines Konzertes in Stuttgart.
© Quelle: imago/Horst Rudel
Es war keine einfache Kindheit, so viel steht fest. R. Kelly, der am 29. Juni von einem New Yorker Gericht in neun Anklagepunkten – darunter sexuelle Ausbeutung und Kidnapping – für schuldig befunden und zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde, stammt aus Chicago, Illinois. Aus der berüchtigten Southside, die in Jim Croces Songklassiker „Bad Bad Leroy Brown“ die „schlimmste Ecke“ der Stadt am Michigansee genannt wird.
Jugend in einer Sozialsiedlung. Alleinerziehende Mutter. Bis heute unbekannter Vater. Drei Halbgeschwister. Nach eigenen Angaben war Kelly selbst mehrfaches Opfer von Kindesmissbrauch.
Die Musiklehrerin entdeckte das Talent von Robert Kelly
Als 13-Jähriger fiel der 1967 geborene Robert seiner Musiklehrerin Lena McLin an der Kenwood Academy auf. Sie brachte ihn dazu, in der Talentshow der Schule ein Liebeslied von Stevie Wonder zu singen. Schüchtern, so heißt es, sei der Schüler damals gewesen, setzte sich als „Schutz“ vor dem Publikum eine Sonnenbrille auf, wurde regelrecht auf die Bühne eskortiert, um sich zu trauen.
Missbrauchsprozess: Sänger R. Kelly zu 30 Jahren Haft verurteilt
Vor neun Monaten war Kelly der Erpressung und Sexualverbrechen schuldig gesprochen worden, bei denen er oft minderjährige Mädchen zum Sex in sein Umfeld gelockt hatte.
© Quelle: Reuters
Mit zarten, romantischen Zeilen begann dann, woraus eine Weltkarriere wurde. „Wenn es erlaubt ist, würde ich deine Hand berühren, / und wenn es dir gefällt, darf ich es noch einmal tun? / Sodass du verstehst, / dass es ein Band im Himmel für unsere Liebe gibt.“ Robert Sylvester Kelly gewann den Wettstreit, wurde von der begeisterten McLin gedrängt, seine Basketballambitionen zugunsten der Musik aufzugeben. Und als er nach einem Jahr die Highschool verließ, trat er mit seinem Keyboard in der U‑Bahn auf. „Ich war vielleicht der bestbezahlte Straßenmusiker in der Geschichte Chicagos“, sagte er in einem Interview. „Ich machte 800 Dollar am Tag.“
Schon die erste Single wurde ein Erfolg
Professionell wurde es mit der Musik mit der Teilnahme an der von Soul- und Jazzsängerin Natalie Cole geleiteten Fernseh-Talentshow „Big Break“, in der er mit dem Quartett MGM 1990 den Hauptpreis von 100.000 Dollar einfuhr. 1991 schloss Kelly einen Vertrag mit dem Plattenlabel Jive Records und schon die im November des Jahres veröffentlichte Debütsingle „She’s Got That Vibe“ (auf dem Album „Born into the 90s“) von R. Kelly & Public Announcement erreichte über die amerikanischen Billboard-Charts (Platz 58) hinaus die britischen Hitparaden (Platz drei) sowie die Erfolgslisten in Australien (28) und Neuseeland (19).
Über Nacht war der Name R. Kelly in der Popwelt ein Begriff – aber statt von Romantik war in der Lyrik des Songs eindeutig von sexuellem Begehren die Rede. Auch wenn es um einen Abend im Club geht, alles tanzt, Kelly kuscheln will wie ein Teddybär, kommen die „Vibes“ vor allem „vom engen Minirock, den du anhast. / Ich kann’s einfach nicht lassen, Baby, / ich kann nicht anders als zu starren.“
Die Lyrik in R ’n’ B und Hip-Hop war deutlich stärker sexualisiert als in den Jahren von Soul und Funk.
Von anzüglichen Bettgeschichten zu Texten über Verletzlichkeit
Zwölf Wochen stand sein Song „Bump ’n Grind“ 1993 an der Spitze der US-Charts. Sechs Platin-Schallplatten gab es für das Album „12 Play“, das auch noch die Hitsingles „Your Body’s Calling“ und „Sex Me“ abwarf. Alles lief wie am Schnürchen. Kelly komponierte und produzierte für Michael Jackson, den King of Pop, den Schmachter „You Are Not Alone“ und wurde jetzt auch von der ernsthaften Kritik wahrgenommen. 1995 nahm ihn – in der Betrachtung des Albums „R. Kelly“ – auch die ehrwürdige „New York Times“ als Größe im Gefolge von Barry White und Marvin Gaye wahr.
Die schwer anzüglichen Bettgeschichten hätten einem Bekenntnis zu Verletzlichkeit Platz gemacht, so die Musikkritik, was sich in Hits wie „You Remind Me of Something“ und „Down Low“ (mit Soullegende Ronald Isley) manifestierte. Das Video zum letztgenannten Lied mit Liebesbekenntnis am Krankenbett ist ein veritabler Tränendrücker.
„I Believe I Can Fly“ – auf dem Höhepunkt des Erfolgs
Sein Überhit, derjenige Song, der sich bis heute im kollektiven Gedächtnis hält, erschien 1996 als Teil des Soundtracks zur Basketballkomödie „Space Jam“. Das gospelige „I Believe I Can Fly“ ist ein Durch-dunkle-Zeiten-ins-Licht-Lied, eine Ermutigung an alle Verzweifelten, durchzuhalten und sich ihrer Möglichkeiten bewusst zu werden. „Es gibt Wunder im Leben, die ich erreichen muss, / aber zuerst weiß ich: Es beginnt in mir“, barmte Kelly. Das kam an, stieg weltweit in die Charts, war in acht Ländern auf Platz eins, darunter Schweden, Großbritannien und Deutschland. Es sei das Lied gewesen, dass ihn aus dem R-’n’-B-Genre heraus zum Popsänger machte, wurde R. Kelly später zitiert. Mit drei Grammys wurde der Song am 25. Februar 1998 in der New Yorker Radio City Music Hall belohnt.
Jetzt sang er ein Duett mit Celine Dion („I’m Your Angel“), trug 1997 mit „Gotham City“ den Hauptsong zum „Batman & Robin“-Film mit George Clooney bei. Songs wie „If I Could Turn Back the Hands of Time“ (1999), „I Wish“ (2000), „Fiesta“ (2001), „The Worlds Greatest“ (2002) oder „Thoia Thoing“ (2004) wurden in ihrer Zeit viel gespielt. Aber sie wurden auch immer mehr überschattet von den Nachrichten, die aus seinem Privatleben an die Öffentlichkeit drangen, und schließlich gab es außerhalb der USA nur noch hintere Plätze. Der sensible R. Kelly, der seine Stimme so mühelos vom Bariton ins Falsett springen lassen konnte, wurde jetzt mit dem Missbrauch Minderjähriger in Verbindung gebracht. Vorwürfe, die bis in die frühen Neunzigerjahre zurückreichten.
2000 – die Berichte über Sex mit Minderjährigen beginnen
Im Dezember 2000 war der erste Bericht in der „Chicago Sun-Times“ über entsprechende polizeiliche Untersuchungen erschienen, die indes mangels Kooperation der Opfer fallen gelassen wurden. 1994 hatte der damals 27-Jährige R. Kelly die 15-jährige Sängerin Aaliyah unter Angabe eines falschen Alters geheiratet – die Ehe wurde ein gutes halbes Jahr später auf Betreiben von Aaliyahs Familie annulliert. Die beiden Ehepartner behaupteten, stets nur Freunde gewesen zu sein.
Die Abwärtsspirale in Kellys öffentlicher Wahrnehmung nahm mit einem Video Tempo auf, über das die „Chicago Sun-Times“ am 8. Februar 2002 berichtete – dem Tag, an dem der Sänger bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City auftrat. Kelly bestritt, dass er es sei, der in dem Film beim Sex mit einer Minderjährigen zu sehen sei. Dass der Täter auf sein Opfer urinierte, gab dem Skandal etwas Ungeheuerliches. Die „Chicago Sun-Times“ behauptete, das Mädchen, das auf anzüglichen Bildern zu sehen war, die in Kellys Haus in Florida gefunden wurden, sei auch in dem Video zu sehen. Festnahmen Kellys endeten meist schnell mit Freilassungen auf Kaution. Aber immer mehr schwere Anschuldigungen von Frauen wurden über die Jahre laut, die sich zum Bild eines notorischen Sexgewalttäters und grausamen Kontrollfreaks verdichteten.
Das Management spricht von Lynchjustiz
„Leute können behaupten, was sie wollen, ohne die Tatsachen zu kennen“, klagte der Sänger im September 2003 in einem Interview mit dem Musikmagazin „Blender“. „Sie können dich kritisieren, ohne dich zu kennen, und dich hassen, ohne dich zu kennen.“ Und als die Time’s-Up-Bewegung im Mai 2018 wegen der zahllosen Anschuldigungen zu einem Boykott von Platten, Musik und Konzerten Kellys aufrief, befand sein Management, dies sei „der Versuch, einen schwarzen Mann zu lynchen, der außerordentliche Beiträge zu unserer Kultur geleistet hat“. Die Plattenfirma RCA hob den Vertrag mit ihm auf, nachdem der Kabelkanal Lifetime im Januar 2019 die Dokuserie „Surviving R. Kelly“ ausgestrahlt hatte und das Ausmaß der Gewalt auch Hartgesottene erschütterte.
Da lag die letzte Single von R. Kelly schon gut drei Jahre zurück. „Switch Up“ hieß das Teamwork mit den Kollegen Lil’ Wayne und Jeremih und muss in den Ohren der Opfer wie purer Hohn geklungen haben. Es geht darin um Sex mit „Schlampen“, um Frauen als Objekte männlicher Lust und Gewalt. Das Lied schaffte es nie in irgendwelche Charts – nicht einmal zu Hause in den USA.
Wer will, kann den Song dennoch auf Spotify hören. Auch weiterhin. Wie „I Believe I Can Fly“ und all die anderen Songs von R. Kelly.