Die Musikerin Ronja Maltzahn und ihre Dreadlocks

„Ich war mit dieser Frisur Teil der Debatte“

Vor einem Jahr wurde der Auftritt der Sängerin Ronja Maltzahn auf einer Fridays-for-Future-Demo in Hannover abgesagt.

Vor einem Jahr wurde der Auftritt der Sängerin Ronja Maltzahn auf einer Fridays-for-Future-Demo in Hannover abgesagt.

Frau Maltzahn, in manchen Ankündigungen Ihrer Konzerte ist von den „bekanntesten Dreadlocks Deutschlands“ die Rede. Nervt das, wenn man so stark mit einem Thema verknüpft wird?

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An sich nicht, nein. Ich sehe, dass der Vorfall eine gesellschaftliche Relevanz hat und für andere die Möglichkeit bietet, in diese ganze Debatte drumherum einzusteigen. Das ist jetzt Teil von unserem Erfahrungsschatz als Band. Ich bin mit der Sache von Anfang an sehr friedvoll umgegangen und bewerte das nach wie vor nicht als Angriff auf meine Person.

Die Absage für den Auftritt in Hannover ist fast genau ein Jahr her. Am 24. März 2022 sollten Sie im Rahmen einer Fridays-for-Future-Demonstration spielen. Das Konzert wurde von der Ortsgruppe abgesagt; Ihnen wurde „kulturelle Aneignung“ vorgeworfen, weil Sie als weiße Person Dreadlocks tragen.

Ein guter Bekannter aus der Ortsgruppe hatte mich eingeladen. Hannover ist seit gut anderthalb Jahren unsere musikalische Homebase. Letztlich war es ein Missverständnis, dass eine Kollegin von ihm diese Nachricht so blöd an mich verfasst hat – speziell der Zusatz: Wenn ich mir meine Haare abschneiden würde, könnte ich doch noch auftreten. Das war einfach unglaublich übergriffig formuliert. Wir wollten im ersten Moment kein zusätzliches Feuer entfachen, haben die Absage aber über unsere Instagram-Seite geteilt, damit unsere Zuhörer aus Hannover Bescheid wissen.

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Dann brach der Mediensturm los.

Am nächsten Tag stand es direkt in der „Bild“-Zeitung. Als ich mein Handy angemacht habe, waren unter unserem Post schon 5000 Kommentare, Freunde schrieben mir: Ihr müsst das moderieren, das schweift total ab. Auf allen Kanälen gab es Nachrichten, Diskussionen, das Telefon klingelte den ganzen Tag. Dabei war es aus meiner Sicht nur eine kleine Situation zwischen einer Künstlerin und einer Ortsgruppe aus drei Leuten. Keiner von uns war national berühmt, aber plötzlich waren wir das alle.

Warum, glauben Sie, ist die Situation so eskaliert?

Es hat den Zeitnerv getroffen. Von einer Debatte, einer Stimmung in unserer jungen Generation, in der das Thema sprachliche Achtsamkeit, Woke-Sein eine große Rolle spielt. Mit welchen Symbolen, Gesten und Worten treten wir Menschen gegenüber auf? Gerade denjenigen, die in unserer Gesellschaft häufig diskriminiert werden. In der damaligen Situation ist das leider komplett nach hinten losgegangen.

Die Aktivisten begründeten ihre Absage unter anderem so: „Der Grund ist, dass wir bei diesem globalen Streik auf ein antikolonistisches und antirassistisches Narrativ setzen, und es daher für uns nicht vertretbar ist, dass wir eine weiße Person mit Dreadlocks auf unserer Bühne haben.“

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Dass ein Verbot ausgesprochen wurde, war letztlich einer der Gründe, warum die Debatte so völlig verdreht hochgekocht ist. In einer Gesellschaft, in der eigentlich alle den Konsens tragen, dass wir uns frei kleiden und ausdrücken können. Das wurde uns in dem Moment abgesprochen.

Konnten Sie die Vorwürfe nachvollziehen?

Ich halte es für absolut sinnvoll und wichtig, den Blick darauf zu lenken, wie viel systematische Unterdrückung, Diskriminierung und Verletzungen gerade gegenüber People of Colour in unserem tagtäglichen Miteinander immer noch vorherrscht. Es aber darauf zuzuspitzen, ein Verbot für eine bestimmte Art von Haaren auszusprechen, hat letztlich zu weit geführt.

Was bedeutet Ihnen diese Frisur?

Ich trage seit fünf Jahren Dreadlocks. Das hat für mich ganz persönliche, ästhetische, künstlerische Gründe – die für mich vorrangig nichts mit der politischen Haltung zu tun haben. Ich habe die Frisur bei einer weißen Freundin gesehen und fand sie schön; für mich war das ein Ausdruck von einem Lebensgefühl. Seitdem wurden mir aber auch viele Klischees übergestülpt: Du hörst bestimmt Reggae-Musik, rauchst Marihuana, bist grün, Hippie und Veganerin.

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Ronja Maltzahn spielt Cello, Gitarre, Ukulele und Klavier.

Ronja Maltzahn spielt Cello, Gitarre, Ukulele und Klavier.

Wurden Ihnen zuvor schon einmal kulturelle Aneignung wegen Ihrer Haare vorgeworfen?

Nein, für mich war das damals tatsächlich ein neues Thema. Ich habe mich daraufhin konkret hinterfragt und mich viel damit auseinandergesetzt: Inwieweit sind Dreadlocks ein Symbol mit politischem Gewicht? Für mich war es total augenöffnend und wichtig, sich bewusst zu werden, welche Bedeutung das für manche Menschen haben kann. Politisch war ich zuvor nicht gut genug informiert, um das auf dem Schirm zu haben.

Die Frisur wird mit dem Widerstand gegen Kolonialismus, Unterdrückung und Rassismus verbunden. Dreadlocks gelten vor allem bei schwarzen Menschen als ein emanzipatorisches Symbol des Befreiungskampfes.

Es gibt Menschen, die sagen, das ist für mich ein Symbol meiner Kultur oder Herkunft. Und ich möchte nicht, dass andere Menschen, die dieser Kultur oder Herkunft nicht angehören, sich das aneignen. Genauso gibt es aber People of Color, Freunde von mir, die sagen: Die Frisur ist für mich nicht exklusiv in Besitz von einer Gruppe, sondern kann auch ein Teil von Weltoffenheit oder Toleranz sein. In unserer Gesellschaft und Generation sind Dreadlocks oft ein Symbol, das sich Menschen, die alternativ denken, zu eigen gemacht haben.

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Hatten Sie überlegt, sich von Ihren Dreadlocks zu trennen?

Das hätte sich für mich nicht richtig angefühlt. Ich schneide mir jetzt die Haare ab und befeuere diese Debatte noch mehr. Ich beobachte bei diesem Thema auch nicht so einen starken Konsens wie bei anderen Symbolen oder Worten, die so mit historischen Verletzungen aufgeladen sind, dass wir sie bewusst aus unserer Gesellschaft rausstreichen – das N-Wort zum Beispiel. Das sehe ich bei dem Thema Dreadlocks im Moment noch nicht. Mein persönliches Fazit nach vielen Gesprächen ist, dass es wichtig ist, sich ganzheitlich zuzuhören.

Die Fridays-for-Future-Gruppe aus Hannover hat sich im Nachhinein bei Ihnen entschuldigt.

Ich habe danach auch mit der Verfasserin der Nachricht gesprochen. Die Ortsgruppe hat ebenfalls Hunderte E-Mails bekommen. Was ich besonders unsinnig fand: Manche Leute haben mir diese Hass-E-Mails zugeschickt, nach dem Motto: Ich leite die jetzt meine Wut weiter, die ich Fridays für Future gesendet habe, um dich zu unterstützen. Das tat mir auch für die Bewegung wahnsinnig leid.

Auch Sie haben viel abbekommen und wurden teilweise als „Rassistin“ bezeichnet. Es kam auch der Vorwurf, dass Sie sich zum Opfer stilisieren. Haben Sie sich ungerecht behandelt gefühlt?

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Nein, nicht so sehr. Weil ich von Anfang an gesehen habe, dass ich in dem Moment zu einer Stellvertreter-person wurde. Schon am nächsten Tag wurde der Vorfall im Wikipedia-Artikel zum Thema Dreadlocks aufgenommen. Da habe ich begriffen: Ich war eben die Person mit weißer Hautfarbe und dieser Frisur, die zu diesem Zeitpunkt Teil der Debatte war – deswegen steht da mein Name. Aber eigentlich hat das nichts mit mir als Privatperson und meinem persönlichen Empfinden zu tun.

Sondern?

Es ging nicht darum, jemandem in unserer Gesellschaft eine Frisur zu verbieten, sondern darum, aufzuklären, inwieweit wir immer noch diskriminierende Verhaltensweisen, Glaubenssätze und Intoleranz in unserer Gesellschaft mit uns tragen.

Das ist der Vorwurf in dieser großen Debatte: Dass sich viele Menschen nicht damit auseinandersetzen, mit was für Symbolen wir uns teilweise schmücken, mit was für Worten wir um uns werfen. Oder welche Objekte wir als Touristen von irgendwo herholen und in unser Wohnzimmer stellen. Es geht allgemein um Dinge, die wir uns leichtsinnig aneignen, ohne zu wissen, welchen Hintergrund das für andere Menschen aus anderen Kulturen und Lebenswelten haben kann. Ich glaube, ein Stück weit ist das auch ein Generationsthema.

Inwiefern?

Besonders ältere Menschen haben vielleicht erst einmal mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: Ich kapier‘ gerade gar nicht, worum es bei dieser Debatte eigentlich geht. Was ist das eigentlich für eine Diskussion und warum nimmt die so einen Platz in den Medien ein?

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Wie sind Sie persönlich mit dem Medienhype fertig geworden?

Ich bin selbst verblüfft darüber, wie ruhig ich damals war. Das war vielleicht auch eine Art Notfallmodus. Wenn der Sturm losbricht, weiß man auf dem Schiff, welche Seile man zusammenzuknoten hat. Aber es gab auch anstrengende Momente. Die ersten drei Tage sind medial total übergekocht. Nach der ersten Woche, als den Medien ein bisschen die Luft ausging, ging auch bei mir langsam die Luft raus. Ich habe mir dann bewusst eine Auszeit in Spanien genommen. Das war für den Kopf total schön, so einen kilometerweiten Abstand zu haben.

Haben Sie von der Aufmerksamkeit auch profitiert? Gab es beispielsweise mehr Anfragen für Auftritte?

In der Woche, in der wir überall in den Medien waren, hat tatsächlich ein Veranstalter aus Frankfurt angerufen. Er hat uns angeboten, in eine Location zu kommen, die zehnmal so groß ist wie die Säle, in denen wir vorher gespielt haben. Das hat aber nicht funktioniert, nur weil die Medienaufmerksamkeit da war – die Ticketverkäufe sind nicht ins Bodenlose gestiegen. Ab und zu ist es noch ein Schlagwort, wenn Veranstalter uns zuvor gegoogelt haben: Du bist die Künstlerin von dieser verrückten Geschichte von damals. Das ist aber viel weniger geworden.

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Fast genau ein Jahr nach dem Vorfall treten Sie nun am 21. März mit dem Blue Bird Trio in Hannover auf – man könnte auch sagen, es schließt sich ein Kreis. Was nehmen Sie aus diesem Jahr mit?

Ich sehe das im Nachhinein als Bereicherung an; mich als Mensch und als Teil unserer Gesellschaft weiterentwickelt zu haben. Auch zu verstehen, dass in allem, was wir in die Welt tragen – ob Gesten, Symbole, Kunst –, eine politische Haltung drinsteckt. Das gilt auch für unsere Musik. Bei uns als Band ist das ganz klar Toleranz, Offenheit, Empathie. In der großen Besetzung sind wir 15 Musiker mit vielen verschiedenen Nationalitäten, wir singen auf sieben Sprachen. Und eigentlich möchte ich in Zukunft auch viel lieber durch unsere Poesie und Musik in die Medien sein als wegen aufgeheizter politischer Debatten.

Ronja Maltzahn ist Teil des "Blue Bird Trios".

Ronja Maltzahn ist Teil des "Blue Bird Trios".

Die Musikerin Ronja Maltzahn, 29, wuchs in Bad Pyrmont auf. Sie spielt Cello, Gitarre, Ukulele, Klavier und singt. Mit ihrer Band macht sie vor allem Folk-Musik. 2022 erschien ihr letztes Album „Heimweh“. Sie spielt das ganze Jahr über Konzerte – als Nächstes in Hannover im Hölderlin Eins am 21. März.

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