Schwimmende Zeitbombe: Verhindern die UN noch die Ölkatastrophe?
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Seit sieben Jahren verlassen: Die „FSO Safer“ an ihrem Liegeplatz vor der jemenitischen Küste.
© Quelle: Boskalis
Hannover. Das Schiff ist übersät von braunen Flecken, der Rost hat sich tief in Rumpf und Aufbauten gefressen, läuft in Schlieren an der Außenwand herab, die Bordwand ist eingedrückt.
Die Bilder, aufgenommen von einer UN-Rettungsmission, bestätigen, was Expertinnen und Experten seit Jahren befürchten: Die „FSO Safer“, dieser gewaltige Öltanker vor der Küste Jemens, ist in desolatem Zustand – und könnte laut Experten jederzeit auseinanderbrechen oder explodieren. Eine jetzt angelaufene UN-Mission, finanziert auch mit Geld aus Deutschland, soll all dies im letzten Moment verhindern – doch ob die Retter rechtzeitig gekommen sind, ist im Moment noch völlig offen.
Die Folgen, da sind sich alle Spezialisten einig, wären verheerend. 1,1 Millionen Barrel Leichtrohöl befinden sich in den Tanks des Schiffs, viermal so viel wie in der „Exxon Valdez“, die 1989 eine der größten Ölkatastrophen der Schifffahrt verursachte. Sollte es sich ins Rote Meer ergießen, würde es die kriegsgeplagten Menschen im Jemen von der Versorgung über die Häfen abschneiden, eine einzigartige Unterwasserwelt vernichten, Tausenden Fischern am Roten Meer die Existenzgrundlage nehmen und auch die Weltwirtschaft empfindlich treffen: Die Passage durch den Suez-Kanal, essenziell für den Containertransport zwischen Asien und Europa, wäre auf unabsehbare Dauer gesperrt.
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Von Rost zerfressen: die „FSO Safer“ vor der Küste Jemens.
© Quelle: action press
Das Drama um das 47 Jahre alte Schiff begann mit dem Bürgerkrieg in Jemen im Jahr 2014. Die „FSO Safer“ diente neun Kilometer vor der Küste als schwimmender Speicher für Export von Öl aus dem Jemen, bis sie nun zwischen die Fronten geriet. Die Schuld für die Situation schieben sich die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen und die Regierungsseite gegenseitig zu – im Ergebnis ist die „FSO Safer“ seit sieben Jahren verlassen, ohne jede Wartung rostet das Schiff vor sich hin. Laut UN-Untersuchungen soll bereits Meerwasser in den Maschinenraum eingedrungen sein, in den Tanks wird explosives Gas vermutet.
„Es ist offensichtlich, dass die ‚FSO Safer‘ als Werkzeug in diesem Krieg missbraucht wird“, sagte Musaed Aklan vom Zentrum für Strategische Studien in Sanaa der „New York Times“.
Für die Helfer ist die Lage vertrackt, jede Annäherung an die „FSO Safer“ ist extrem riskant – die Gewässer rund um das Schiff sind vermint. Die internationale Gemeinschaft braucht, um die Katastrophe abwenden zu können, einerseits die Genehmigung der Kriegsparteien – und andererseits Geld, um Spezialisten bezahlen zu können, die die Gefahr noch abwenden sollen.
Die Genehmigung der Kriegsparteien erwirkten die Vereinten Nationen im März vergangenen Jahres, kurz darauf drängten vor allem Deutschland, die USA und die Niederlande auf eine Geberkonferenz. Allein die Bundesregierung trug zwölf Millionen Dollar bei. Geld, das laut dem UN-Koordinator für den Jemen, David Gressly, gut angelegt ist: Mit 143 Millionen Dollar könnten 20 Milliarden an Reinigungskosten und kaum schätzbare Milliarden an Schaden für die Umwelt, die Schifffahrt, den Tourismus und die Fischerei im Roten Meer gespart werden. „Verhindern wir eine Katastrophe? Oder ermöglichen wir die?“, fragt Greeky. „Es ist unsere Wahl. Lasst uns weise entscheiden.“
„Erste Phase kommt gut voran“
Der Leiter des UN-Entwicklungsprogramms und Koordinator der Rettungsmission, Achim Steiner, sieht in der Mission „ein klares Zeichen, was multilaterale Zusammenarbeit erreichen kann und ein vordringliches Beispiel für die Wichtigkeit von Prävention“. Den Verdacht, die Verhandlungen hätten auch wegen ausufernder UN-Bürokratie so lange gedauert, weist er zurück: Man habe den überwiegenden Teil des Jahres nonstop daran gearbeitet, die Mission zu ermöglichen. Eine große Schwierigkeit sei zum Beispiel gewesen, überhaupt Versicherer für die Mission zu finden.
Mit dem Geld kaufte das Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) einen anderen Tanker, der das Öl der „FSO Safer“ übernehmen soll, die „Nautica“. Außerdem ging der Auftrag an niederländische Spezialisten, die sich mit ihrem Bergungsschiff „Ndeavor“ in den vergangenen Tagen bis an die „FSO Safer“ herangekommen sind.
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Das niederländische Bergungsschiff „Ndeavor“.
© Quelle: Boskalis
Neueste Videoaufnahmen zeigen nun, wie die „Ndeavor“ längsseits gegangen ist und eine Treppe als Übergang zwischen den Schiffen installiert wurde. Generatoren, mit Kränen auf die „Safer“ gehievt, sollen nun spezielles Gas in die Tanks blasen, um die Explosionsgefahr zu bannen. „Insgesamt kommt die erste Phase der Operation gut voran“, versichert Boskalis.
Was wird aus dem Öl?
Doch selbst wenn die Mission weiter nach Plan läuft, sind die Probleme rund um die Safer noch nicht gelöst. Unklar ist zum Beispiel, was aus dem Öl wird, das aus der „Safer“ gepumpt wird, das auch einen gewaltigen Wert darstellt. Außerdem fehlt den UN noch Geld für die nächste Stufe der Rettungsmission: 29 Millionen Dollar. Schließlich ist es technisch kaum möglich, das Öl restlos aus dem Schiff zu pumpen. Die „FSO Safer“ wäre dann vielleicht keine Zeitbombe mehr, aber immer noch ein schwimmender Haufen Sondermüll.
Doch zunächst muss es gelingen, den Großteil der 1,1 Millionen Barrel aus den Tanks zu pumpen. Die Phase gilt als die heikelste der Mission, drei Wochen veranschlagen die niederländischen Spezialisten dafür. Drei Wochen, in denen sich entscheidet, ob die Menschen im Jemen neben Krieg und Hunger noch eine weitere Katastrophe erleiden.