Frontalzusammenstoß: mindestens 46 Tote bei Zugunglück in Griechenland
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01.03.2023, Griechenland, Larissa: Rauch steigt auf, während Feuerwehrleute und Rettungskräfte nach einem Zusammenstoß zweier Züge in der Nähe von Larissa im Einsatz sind.
© Quelle: Vaggelis Kousioras/AP
Athen. Bei Tagesanbruch wird das Ausmaß des schweren Unglücks erst deutlich: Die Unfallstelle gleicht einem Trümmerfeld, die vorderen Waggons beider Züge wurden durch den Aufprall geradezu zusammengefaltet und brannten zum Teil aus, wie Drohnenaufnahmen im griechischen Staatsfernsehen zeigen. Mindestens 46 Menschen kamen am späten Dienstagabend beim Frontalzusammenstoß eines Personen- und eines Güterzugs in Mittelgriechenland ums Leben. Dies teilte am Donnerstag die Feuerwehr mit. Mindestens 85 Passagiere wurden teils schwer verletzt in umliegende Krankenhäuser gebracht. Es werden jedoch noch zahlreiche Menschen vermisst. Aus diesem Grund suchen die Rettungskräfte in den Trümmern weiter, wie das Staatsfernsehen (ERT) berichtete.
„Es ist eine Tragödie“, sagte ein Feuerwehrmann im Staatsfernsehen aus dem Unglücksort nahe der Stadt Larissa. Mit Kränen und anderen schweren Geräten versuchten die Retter, die entgleisten Waggons zu heben, um nach Überlebenden und Opfern zu suchen, wie Reporter vor Ort berichteten. Auch die Armee sei um Hilfe beim Rettungseinsatz gebeten worden, verlautete aus Regierungskreisen. Die Nachrichtenagentur Reuters zeigte auf Twitter am Mittwochmorgen Live-Bilder der Unglücksstelle.
Die griechische Regierung hat angesichts des schweren Zugunglücks eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Am Mittwochvormittag wurde Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis an der Unglücksstelle nördlich der Stadt Larisa erwartet.
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Der Gouverneur der Region Thessalien, Costas Agorastos, sagte im Fernsehen: „Es war eine sehr gewaltige Kollision. Waggon eins und zwei existieren nicht mehr“, erklärte er.
Weitere Tote befürchtet
Beim dem Frontalzusammenstoß handele es sich um das schlimmste Zugunglück in der Geschichte des Landes, teilte die Gewerkschaft der Eisenbahner mit. Dem Staatssender ERT zufolge werden noch viele weitere Tote befürchtet. Die ersten beiden Waggons des Personenzugs waren durch den Aufprall zertrümmert worden und hatten anschließend auch noch Feuer gefangen. Die Identifizierung der Opfer sei zum Großteil nur mittels DNA-Analyse möglich, hieß es. Am Mittwochvormittag dauerten die Bergungsarbeiten an.
Zuständiger Eisenbahnchef und Bahnhofvorsteher festgenommen
Am Mittwochmorgen liefen die Bergungsarbeiten mit Kränen und schwerem Gerät und auch mit Spürhunden weiter. Bei Rettungskräften und Reportern vor Ort herrscht Fassungslosigkeit. Wie ist es möglich, dass der Intercity von Athen nach Thessaloniki mit rund 350 Passagieren an Bord auf demselben Schienenstrang wie der entgegenkommende Güterzug unterwegs war, obwohl die Strecke zweispurig ausgebaut ist?
Erste Mutmaßungen zur Unfallursache weisen auf menschliches Versagen hin. Medienberichten zufolge funktionierte das elektronische Leitsystem auf der Strecke nicht - es soll damit schon längere Zeit Probleme gegeben haben. Deshalb seien die jeweiligen Bahnhofsvorsteher für die korrekte Weiterleitung der Züge verantwortlich gewesen. Der Personenzug könnte demnach schon vom Bahnhof der Stadt Larisa aus auf die falsche Spur geschickt worden sein - auf der ihm dann später der Güterzug entgegenkam.
Der für den Abschnitt zuständige Eisenbahnchef sei bereits festgenommen worden, hieß es im Staatsfernsehen. Auch im Norden des Landes hat die Polizei im Zusammenhang mit dem Zugunglück einen Bahnhofsvorsteher festgenommen. Bei dem Verdächtigen handele es sich um einen 59 Jahre alten Mann, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Details wurden nicht genannt, es hieß lediglich, er sei in der Stadt Larisa festgenommen worden. Andere Eisenbahner und Techniker würden befragt. Die Verkehrsbehörde der nahe gelegenen Stadt Larisa hat mit Ermittlungen zur Unfallursache begonnen. Viele anknüpfende Bahnstrecken wurden für den Zugverkehr vorerst gesperrt.
Griechischer Verkehrsminister tritt zurück
Der griechische Verkehrsminister Kostas Karamanlis trat nach dem Zugunglück zurück. Die aktuelle Regierung habe die griechische Eisenbahn vor dreieinhalb Jahren in einem Zustand übernommen, der nicht ins 21. Jahrhundert passe, teilte Karamanlis am Mittwochnachmittag mit. Man habe seither alles getan, um diesen Zustand zu verbessern. „Leider reichten diese Bemühungen nicht aus, um einen solchen Unfall zu verhindern. Das ist sehr schwer für uns alle und für mich persönlich.“
Wenn so etwas Tragisches passiere, sei es nicht möglich, so weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Er halte es für unabdingbar, dass die Bürger dem politischen System vertrauen könnten. „Aus diesem Grund trete ich vom Amt des Ministers für Infrastruktur und Verkehr zurück.“ Er fühle sich verpflichtet, die Verantwortung für die Fehler des griechischen Staates zu übernehmen, sagte Karamanlis und drückte den Familien der Opfer nochmals sein Mitleid aus.
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01.03.2023, Griechenland, Larissa: Rauch steigt auf, während Feuerwehrleute und Rettungskräfte nach einem Zusammenstoß zweier Züge in der Nähe von Larissa im Einsatz sind. Mindestens 15 Menschen sind nach Angaben von Rettungskräften beim Zusammenstoß eines Güterzugs mit einem Personenzug in der Nacht zum Mittwoch in Mittelgriechenland ums Leben gekommen sein. Dies sagten Offiziere der Feuerwehr dem staatlichen Rundfunk (ERT). Foto: Vaggelis Kousioras/AP +++ dpa-Bildfunk +++
© Quelle: Vaggelis Kousioras/AP
Junger Passagier: „Ich dachte, ich würde sterben“
Am Bahnhof der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki versammelten sich derweil schon nachts verzweifelte Angehörige, Telefon-Hotlines wurden eingerichtet. Viele der Toten können Berichten zufolge nur per DNA-Test identifiziert werden. Rund 200 Passagiere, die nicht oder nur leicht verletzt wurden, wurden vom Unglücksort mit Bussen ins 150 Kilometer weit entfernte Thessaloniki gebracht. Manche Angehörige aber warteten vergebens. Bei vielen der Passagiere soll es sich um junge Leute gehandelt haben, Studierende, die nach einem verlängerten Wochenende wegen eines Feiertags nun auf dem Weg zur Universität von Thessaloniki waren.
Der Anwohner Vassilis Polyzos berichtete, er sei einer der Ersten am Unglücksort gewesen. „Die Züge waren völlig zertrümmert“, sagte er. Viele große Stahlteile hätten herumgelegen. Aus den Trümmer seien halb betäubte und verängstigte Menschen geflüchtet, die die Orientierung verloren hätten. „Sie wussten nicht, wo sie waren“, sagte Polyzos.
„Ich dachte, ich würde sterben“, sagte ein Passagier der Tageszeitung „Kathimerini“. Der junge Mann saß nach eigenen Angaben in einem der hinteren Waggons. Er habe am Boden Schutz gesucht, Menschen hätten geschrien und geweint. Andere Passagiere berichteten, sie hätten die Fenster eingedrückt und sich im Dunkeln aus dem halb umgekippten Waggon retten können. Andere Überlebende sagten, etliche Insassen seien durch die Wucht des Zusammenpralls durch Waggonfenster geflogen.
Frontalzusammenstoß: Dutzende Tote bei Zugunglück in Griechenland
Bei dem Zusammenstoß eines Güterzugs mit einem Personenzug sind zahlreiche Menschen ums Leben gekommen und viele wurden verletzt.
© Quelle: Reuters
„Chaos und Höllenlärm“
Der aus Athen gestartete Personenzug stieß nach ersten Angaben von Eisenbahnern frontal mit einem aus der Gegenrichtung - aus der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki - kommenden Güterzug zusammen. Der Personenzug war der Intercity 62, der aus Athen um 19.22 Uhr am Dienstagabend mit rund 350 Reisenden nach Thessaloniki gestartet war.
Das griechische Fernsehen zeigte Videos von der Unglücksstelle bei Tempi in Mittelgriechenland. Feuerwehrleute und Rettungskräfte versuchten in den Trümmern, Überlebende zu finden. Ein Überlebender sagte, im Personenzug sei nach dem Zusammenstoß Feuer ausgebrochen. „Es herrschte Chaos und ein Höllenlärm“, fügte er im Staatsfernsehen hinzu. „Wir haben mit unseren Koffern die Fensterscheiben eingedrückt und sind in der Dunkelheit tastend aus unserem Waggon rausgegangen“, sagte ein junger Mann.
Schwächen bei Koordination der Verkehrskontrolle
Die Strecke, die Athen mit der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki verbindet, war in den vergangenen Jahren modernisiert worden. Trotz der Modernisierung mit neuen Brücken und Tunneln und zwei Gleisen entlang der gesamten rund 500 Kilometer langen Strecke Athen-Thessaloniki gebe es erhebliche Probleme bei der elektrischen Koordination der Verkehrskontrolle. „Wir fahren wie in alten Zeiten von einem Streckenteil zum Anderen per Funk. Die Stationsleiter geben uns grünes Licht“, sagte Kostas Genidounias, Präsident der Gewerkschaft der Lokführer im staatlichen Rundfunk.
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01.03.2023, Griechenland, Larissa: Rauch steigt auf, während Feuerwehrleute und Rettungskräfte nach einem Zusammenstoß zweier Züge in der Nähe von Larissa im Einsatz sind. Mindestens 15 Menschen sind nach Angaben von Rettungskräften beim Zusammenstoß eines Güterzugs mit einem Personenzug in der Nacht zum Mittwoch in Mittelgriechenland ums Leben gekommen sein. Dies sagten Offiziere der Feuerwehr dem staatlichen Rundfunk (ERT). Foto: Vaggelis Kousioras/AP +++ dpa-Bildfunk +++
© Quelle: Vaggelis Kousioras/AP
Warum dies geschieht und kein modernes Leitsystem funktioniert, konnte er nicht sagen. Die griechischen Bahnen (Hellenic Train) werden von der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FS) betrieben.
Von der Leyen: Ganz Europa trauert mit Griechenland
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erschüttert über den schweren Zugunfall mit Dutzenden Toten in Mittelgriechenland. „Ganz Europa trauert mit Ihnen“, schrieb von der Leyen am Mittwoch auf Twitter. Ihre Gedanken seien bei den Menschen in Griechenland. Den Verletzten wünschte die deutsche Politikerin eine schnelle Genesung. Auf Griechisch ergänzte von der Leyen, dass die EU an der Seite Griechenlands stehe.
Auch EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola zeigte sich tief betrübt. Sie richtete ihr Beileid auf Twitter an die Opfer, deren Familien und Freunde und dankte den Rettungskräften sowie dem medizinischen Personal. „Unsere Gedanken sind nach diesem tragischen Ereignis bei den Menschen in Griechenland.“ EU-Ratschef Charles Michel äußerte sich ähnlich. Er sei schockiert von den Nachrichten aus Griechenland. „Meine Gedanken sind heute Morgen bei den Menschen in Griechenland.“
Papst und Meloni drücken Griechen Mitgefühl aus
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Papst Franziskus drückten dem griechischen Volk und der Regierung in Athen ebenfalls ihr Mitgefühl aus. Papst Franziskus sei bestürzt über den Verlust von Menschenleben und sichere allen Betroffenen und Verletzten seine Gebete zu, hieß es am Mittwoch in einem Telegramm an den griechischen Bischof Petros Stefanou. Den Rettungskräften übermittelte das Oberhaupt der katholischen Kirche seinen Segen, um Kraft für die weiteren Sucharbeiten zu spenden.
Ministerpräsidentin Meloni betonte ihre tiefe Trauer und Betroffenheit über das Unglück, hieß es in einer Mitteilung am Mittwoch. Im Namen der italienischen Regierung sprach die Rechtspolitikerin den Opfern zudem ihr Beileid aus und wünschte allen Verletzten eine schnelle Genesung. Staatspräsident Sergio Mattarella sagte laut einer Mitteilung, dass in dieser Situation Italien die Trauer der Familien der vielen Opfer und aller Griechen teile.
RND/toe/ab/dpa/AP