20 Jahre Irak-Krieg: Warum sich die Doppelmoral des Westens jetzt rächt
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Der britische Oberstleutnant David Patterson vom 1. Royal Regiment of Fusiliers blickt am 3.4.2003 auf brennende Ölfelder nahe der umzingelten Millionenstadt Basra.
© Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb
Berlin. In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 ging es los. Nachdem der irakische Diktator Saddam Hussein ein Ultimatum von US-Präsident George W. Bush zum Verlassen des Landes binnen 48 Stunden hatte verstreichen lassen, begannen die USA mit ihrem Bombardement. Rund 40 Marschflugkörper schlugen in jener Nacht im Regierungsviertel der Hauptstadt Bagdad und an mutmaßlichen Aufenthaltsorten des Diktators ein. Es folgten 3.000 satellitengesteuerte Bomben.
Der Republikaner Bush glaubte, der Regimechange werde sich schnell erledigen lassen. Doch der Schein trog. Am Ende mussten 270.000 Soldaten in den Krieg ziehen. Rund 100.000 Menschen starben. Zwar wurde Saddam Hussein bald gestürzt und von den eigenen Leuten hingerichtet. Doch seine Anhänger leisteten erbitterten Widerstand. Erst 2011 zogen die letzten US-Soldaten ab. Frieden zog nicht ein. Dafür verbreitete der „Islamische Staat“ Angst und Schrecken.
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Britische Soldaten marschieren nach der Eroberung der Alfaw Halbinsel im Irak am 21.3.2003 durch den Sand. Ein Helikopter setzt zur Landung an. Bei der alliierten Großoffensive im Süd-Irak sind US-Truppen bereits in den ersten 24 Stunden weit in Richtung Bagdad vorgestoßen.
© Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb
Politikwissenschaftler Masala: Doppelmoral schlägt „wie ein Boomerang zurück“
20 Jahre später ist der Irak-Krieg, dessen Beginn sich jetzt zum 20. Mal jährt, nicht vergessen. Und das hat unter anderem mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun, der im alten Westen für Entsetzen sorgt, in Brasilien oder Indien aber eher für Schulterzucken.
So sagt der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München: „Für viele Staaten des globalen Südens ist der russische Angriff auf die Ukraine vergleichbar mit dem amerikanischen Angriff auf den Irak 2003. Der damals fehlende Protest westlicher Regierungen ist ein Argument des globalen Südens, den russischen Angriff auf die Ukraine ebenfalls nicht eindeutig zu verurteilen. Die Doppelmoral von 2003 schlägt 2023 wie ein Boomerang zurück.“
Für viele Staaten des globalen Südens ist der russische Angriff auf die Ukraine vergleichbar mit dem amerikanischen Angriff auf den Irak 2003.
Carlo Masala
Politikwissenschaftler
Gewiss sind Angreifer und Angegriffene nicht zu vergleichen. Die USA sind ein demokratischer Staat. Saddam Hussein war ein gewissenloser Herrscher, der selbst vor Krieg nicht zurückschreckte. Russlands Präsident Wladimir Putin wiederum hat zunächst die Demokratie im eigenen Land ausgehebelt, um dann den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj daran zu hindern, sein Land der demokratischen Welt anzuschließen.
Dennoch war der amerikanische Angriff krass völkerrechtswidrig. Die Bush-Administration behauptete, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Außenminister Colin Powell präsentierte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Satellitenaufnahmen, Tonaufzeichnungen und Augenzeugenberichte, die das belegen sollten.
Saddam Hussein als Gefahr für die Welt? US-Invasion im Irak jährt sich zum 20. Mal
Anfang 2003 traf der damalige US-Präsident George W. Bush die Entscheidung, den irakischen Präsidenten Saddam Hussein mit Gewalt zu stürzen.
© Quelle: Reuters
Später entschuldigte er sich. Powell hatte Lügen verbreitet. Eine UN-Resolution, die den Krieg hätte legitimieren können, gab es ohnehin nicht. Dagegen waren neben anderen Russland und China. Eine weitere Parallele besteht darin, dass Bush und Putin angesichts der eigenen militärischen Überlegenheit von einem Blitzkrieg ausgingen – und kolossal irrten.
Abgesehen davon fand sich auf Betreiben der USA eine „Koalition der Willigen“ zusammen. Nein, Deutschland gehörte nicht dazu. Die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) leistete offenen Widerstand gegen Bushs Kurs. Sein grüner Außenminister Joschka Fischer schmetterte dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein „Ich bin nicht überzeugt“ entgegen. In Berlin fand eine Antikriegsdemo mit über 50.000 Menschen statt.
Schröder spricht nicht für alle Deutschen.
Angela Merkel
CDU-Vorsitzende 2003 über das Nein von Kanzler Gerhard Schröder zum Irak-Krieg
Die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel platzierte jedoch einen Beitrag in der „Washington Post“ mit dem Titel: „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“. Darin schrieb sie, dass militärische Gewalt ein „letztes Mittel“ sein könne, „mit Diktatoren umzugehen“. Katrin Göring-Eckardt, schon seinerzeit Vorsitzende der Grünen-Bundestagfraktion, sprach von „geschmackloser Anbiederei“. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz warf Merkel vor, die eigene Regierung im Ausland „madig zu machen“.
International fällt auf, dass zur „Koalition der Willigen“ jene osteuropäischen Staaten zählten, die sich jetzt mehr denn je vor einem Angriff Russlands fürchten – allen voran Polen, aber ebenso Litauen, Lettland und Estland. Großbritannien war wichtigster Alliierter der USA. Heute zählt es neben den USA zu den wichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine.
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Bundeskanzler Gerhard Schröder nimmt nach Bekanntwerden der US-Offensive gegen den Irak am 20.3.2003 in einer Fernsehansprache Stellung zum Kriegsbeginn. Damit sei „die falsche Entscheidung getroffen worden“, sagte er.
© Quelle: picture-alliance / dpa
Röttgen: „Vertrauen verspielt“
Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sagt: „Es ist in der Tat so, dass uns, wenn man als ‚Westen‘ und in Verteidigung ‚westlicher Werte‘ die internationale Staatengemeinschaft auffordert, den Völkerrechtsbruch Putins zu verurteilen, von vielen Doppelmoral entgegengehalten wird.“ Dies ändere aber nichts daran, dass es in der Ukraine „um die Verteidigung der Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren“ gehe.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen findet: „Durch den Irakkrieg ist der Westen vor allem in Gestalt der USA seinem eigenen Anspruch als Ordnungsmacht nicht gerecht geworden. Im Gegenteil: Das gegenwärtige Chaos im Nahen und Mittleren Osten hat viel damit zu tun. Durch diesen illegalen und illegitimen Krieg, der enormes menschliches Leid verursacht hat und wie wir heute unstrittig wissen auf einer Lüge beruhte, wurde außenpolitisch viel Vertrauen, Autorität und Legitimation verspielt.“
Für die internationale Politik gilt jedenfalls, was auch sonst gilt: Man sieht sich im Leben immer zweimal.