Ägypten fürchtet biblische Dürre
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/YDMYW7WAE5BP5V2YBC5VD3OXIY.jpg)
Noch im Jahr 2013 war der äthiopische Staudamm bei Asosa an der Grenze zum Sudan eine riesige Baustelle.
© Quelle: AP
Kairo. Wenn es einen Tropfen gäbe, der im Konflikt der beiden Länder das Fass zum Überlaufen bringen könnte, so ist dieser wohl längst versiegt. Denn der Streit um die Kraft des Nil ist längt der Furcht vor einer großen Trockenheit gewichen. Der Nil ist die Lebensader Ägyptens: Seit jeher knüpft das Land sein Schicksal an den mächtigen Fluss. Umso stärker ist jetzt die Angst, vom überlebenswichtigen Quell inmitten von Wüstenland abgeschnitten zu werden, wenn Äthiopien seinen neuen Riesenstaudamm in Betrieb nimmt.
Der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“, auf Deutsch etwa „Großer Damm der äthiopischen Wiedergeburt“, ist ein Megaprojekt am Blauen Nil, der sich später mit dem Weißen Nil vereinigt und durch Ägypten zum Mittelmeer fließt. Das Fünf-Milliarden-Dollar-Bollwerk (rund 4,2 Milliarden Euro) soll die größte Wasserkraftsperre Afrikas werden. Das Projekt gilt als Erfüllung eines langgehegten Traums in einem der ärmsten Länder des Kontinents, wo ein Großteil der 95 Millionen Einwohner keinen Strom hat. Geplant ist eine Kapazität von mehr als 6400 Megawatt.
Ägyptens Bevölkerung lebt fast ausschließlich im Nil-Tal
Inzwischen sind die Arbeiten zu etwa zwei Drittel vorangeschritten. Noch in diesem Jahr oder Anfang kommenden Jahres sollen sie abgeschlossen sein. Wenn der Bau dann steht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das riesige Staubecken gefüllt wird. Genau das ist der Knackpunkt: Ägypten fürchtet, dass damit nicht mehr genügend Nilwasser weiterfließt, seine eigenen fruchtbaren Ebenen entlang des Flusses vertrocknen und die ohnehin unter Wasserknappheit leidende und weiterhin wachsende 93-Millionen-Bevölkerung unter immensen Druck gerät.
Immer wieder sorgen Staudammprojekte für Streit mit flussabwärts liegenden Ländern, in diesem Fall ist es aber besonders heikel. Denn nur wenige Länder sind so stark von einem einzigen Gewässer abhängig wie Ägypten. Der Nil stellt mehr als 90 Prozent der Wasserversorgung, fast die gesamte Bevölkerung lebt im Nil-Tal.
Ägypten selbst trotz dem Nil durch Abkommen einen Bärenanteil ab
Derzeit hat sich Ägypten in Abkommen von 1929 und 1959 einen Löwenanteil des Wassers gesichert: mehr als 55 Milliarden der etwa 88 Milliarden Kubikmeter, die jährlich hindurchfließen. Nachbarländer wenden ein, das sei nicht gerecht und ignoriere die Bedürfnisse ihrer eigenen wachsenden Bevölkerung.
Wann und wie genau das Renaissance-Staubecken gefüllt werden soll, hat Äthiopien noch nicht verkündet. „Wir berücksichtigen die wahrscheinlichen Auswirkungen auf Länder wie Ägypten und Sudan“, versicherte der zuständige äthiopische Minister Sileshi Bekele.
Wie lange dauert die Füllung des Staudamms?
Was der äthiopische Megadamm für die flussabwärts liegenden Länder bedeutet, ist noch völlig unabsehbar. Die Regierung in Addis Abeba betont, dass er dem Sudan und Ägypten keinen beträchtlichen Schaden zufügen wird. Vieles hängt aber wohl davon ab, wie schnell das Reservoir gefüllt wird, das 74 Milliarden Kubikmeter umfassen soll. Sobald die Füllung erfolgt ist, kann der Nil theoretisch wieder mit normaler Kapazität fließen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MIWU7C66LVSQQFEGD7IEVZJ2BQ.jpg)
Auch Ägypten staut den Nil bei Assuan zum Nassersee.
© Quelle: AP
Nach einer Studie der Universität Kairo würde Ägypten erschreckende 51 Prozent seiner Anbaufläche einbüßen, sollte das Becken innerhalb von drei Jahren aufgefüllt werden. Bei einer Dauer von sechs Jahren wären es noch 17 Prozent des Ackerlands. Regierungseigene Erhebungen schätzen laut Aussagen aus dem Bewässerungsministerium, dass pro eine Milliarde Kubikmeter fehlenden Wassers rund 80 000 Hektar Anbaufläche verloren gehen und eine Million Menschen betroffen sind.
Wieviel Wasser bleibt für den ägyptischen Assuan-Staudamm
Andere Experten hingegen gehen davon aus, dass die Auswirkungen viel geringer wären, vielleicht sogar kaum spürbar. Ägypten könnte ohne Schaden davonkommen, wenn es mit Äthiopien gut zusammenarbeite und Informationen austausche, heißt es. Dann könne die Auffüllgeschwindigkeit so angepasst werden, dass noch genug Wasser weiterfließt und das ägyptische eigene Reservoir am Nil, der Nasser-Stausee südlich von Assuan, ausreichend gefüllt bleibt.
Bislang steht aber genau das noch aus. „Soweit ich weiß, ist diese Situation einmalig“, sagt der Umweltexperte Kevin Wheeler von der englischen Universität Oxford. „Mir fällt kein anderer Fall ein, bei dem es zwei Reservoirs hintereinander gibt und keinen Plan, die beiden zusammen zu betreiben.“
Auch eine unabhängige Studie über die Auswirkungen des Renaissance-Damms, auf die sich Äthiopien, der Sudan und Ägypten 2015 verständigten, kommt wegen Unstimmigkeiten bei den Modalitäten kaum voran. Eigentlich sollte sie schon längst fertig sein.
Von RND/AP