„Angriffe von allen Seiten“: Warnung vor Antisemitismus in Deutschland
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Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin und Gründerin von „HAWAR.help“, Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung und Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Die drei haben in Berlin einen entschlossenen Kampf der künftigen Bundesregierung gegen Antisemitismus gefordert.
© Quelle: imago images/Metodi Popow
„Ich habe Angst“, sagte die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal am Montag in Berlin. „Angst um meine jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Angst vor dem Erstarken antisemitischer Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt.“
Gemeinsam mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, und der Gründerin der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, warnte Tekkal vor zunehmendem Antisemitismus und richtete Forderungen an die künftige Bundesregierung zur Bekämpfung der Judenfeindschaft. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Angriffe von allen Seiten kommen“, erklärte die Jesidin und Gründerin des Hilfsvereins „Hawar“. „Und die Angriffe auf Jüdinnen und Juden hierzulande kommen von allen Seiten.“
Im vergangenen Jahr habe der Antisemitismus in Deutschland noch weiter zugenommen, sagte Anetta Kahane. „Die ‚Querdenker‘-Szene mit den üblichen antisemitischen Konnotationen hat sich verfestigt“, erklärte sie.
Israel als Feindbild
Ein weiteres großes Problem sei der israelbezogene Antisemitismus. Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt werde Israel zum „bösen Ort in der Welt“ stilisiert. Das habe sich vor allem während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Hamas im Gazastreifen im Mai 2021 in Deutschland gezeigt. „Jüdinnen und Juden sind angegriffen worden, es hat viele auch schwere Körperverletzungen gegeben“, so Kahane. Schon 2020 hatte die Zahl antisemitischer Straftaten laut der Statistik des Bundeskriminalamts über politisch motivierte Kriminalität um fast 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen.
Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Klein, warnte, antidemokratische Bewegungen seien in Deutschland wieder im Aufwind. „Die Anschläge von Halle und Hanau sind ein extrem gewalttätiger, furchtbarer Ausdruck solcher Überzeugungen.“ Antidemokratische Einstellungen beträfen jedoch nicht nur den extremen Rand.
An diesem Dienstag jähren sich die antisemitischen Novemberpogrome von 1938 zum 83. Mal. Auch abseits von Gedenktagen gehe „dieses Ereignis uns auch heute an – gleich, was unsere Groß- oder Urgroßeltern damals getan haben“, so Klein.
Bessere Förderung für die Zivilgesellschaft
Von der künftigen Bundesregierung erwartet Klein, dass sie das ursprünglich bereits in der vergangenen Legislaturperiode geplante Gesetz zur Stärkung und Förderung der wehrhaften Demokratie schnell auf den Weg bringt. Es sei wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen im Kampf gegen Antisemitismus eine dauerhafte und sichere Perspektive haben. Das Gesetz war zuletzt an Widerstand aus der Unionsfraktion im Bundestag gescheitert, nachdem sich das Bundeskabinett bereits geeinigt hatte.
Ihr sei außerdem wichtig, dass Rechtsextreme und Verfassungsfeinde konsequent aus Bundeswehr, Polizei und anderen Sicherheitsbehörden entfernt würden, sagte Anetta Kahane. Auch die Strafverfolgung antisemitischer Übergriffe müsse ernster genommen werden. Noch immer würden nach vielen Anzeigen die Ermittlungen schnell eingestellt.
Mit Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs über Antisemitismus beklagte Kahane, „dass inzwischen der Vorwurf des Antisemitismus schwerer wiegt als der Antisemitismus selbst“. Das sei Ausdruck einer zunehmenden Abwehrhaltung. Auch deshalb müsse die neue Bundesregierung den Kampf gegen die Judenfeindschaft „weit oben auf ihre Agenda setzen“.