Baerbocks Schlagabtausch am Bosporus: So lief der Antrittsbesuch in der Türkei
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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) und ihr türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu geben am Freitag ein Pressestatement in der Außenstelle des Außenministeriums in Istanbul.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Istanbul/Athen. Annalena Baerbock versucht es erst mal mit der Wattetechnik. Großartig sei es, dass Mevlüt Cavusoglu sie ausgerechnet an einem Freitagabend empfange, dem wichtigsten Wochentag für Muslime. „Und dann noch mit so einem wunderschönen Ausblick.“ Cavusoglu hat die Ministerin zu ihrem Antrittsbesuch in seinen Zweitsitz nach Istanbul geladen, in eine Villa am Bosporus, der Blick aus dem Fenster geht aufs Wasser.
Schnell noch eine maritime Metapher, als weiche Polsterung für den Kollegen: Wichtig sei es, bei Wellengang gemeinsam zu handeln, „damit man weitersegeln kann“, sagt Baerbock. Sie lächelt freundlich, der Minister nickt ihr zu.
Außerdem bringe es nichts, „Plattitüden auszutauschen“, fährt Baerbock dann fort. „Das ist keine verantwortungsvolle Außenpolitik.“ Und sie beide seien ja Politiker, die „nicht um den heißen Brei herumreden“. Diese Gemeinsamkeit ist vielleicht schon die größte an diesem Abend, abgesehen davon, dass Baerbock den Einsatz der Türkei für Getreideexporte aus den blockierten ukrainischen Häfen lobt.
Kurze Freundlichkeiten – dann kommt viel Kritik
Cavusoglu hält sich nicht lange mit Freundlichkeiten auf. Er würdigt kurz die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen, erwähnt die vielen deutschen Touristen im Land. Aber dann kommt die Kritik Schlag auf Schlag: Kampf gegen die PKK, Rüstungslieferungen an die Türkei, Zollunion, Visafreiheit – alles zu wenig, zu langsam oder gar nicht. Die Islamfeindlichkeit in Deutschland steige. Und nun sei Deutschland auch noch der griechischen Propaganda auf dem Leim gegangen in den Gebietsstreitigkeiten im östlichen Mittelmeer.
Wenige Stunden zuvor hat Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in Griechenland erklärt: „Lesbos, Chios und andere sind griechisches Territorium. Niemand hat das Recht, das infrage zu stellen.“ Sie hat dabei eine Linie gezogen zum Krieg gegen die Ukraine: Die nationale Souveränität und die territoriale Integrität jedes Landes müsse geachtet werden. Ihr griechischer Kollege Nikos Dendias freute sich: So klar habe er das bisher aus Deutschland noch nicht gehört.
Baerbock pocht auf Menschenrechte – Cavusoglu spielt den Ball zurück
Cavusoglu bestätigt das auf andere Weise: Die vorige Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel habe sich im griechisch-türkischen Streit deutlich klüger verhalte, als zurückhaltender Vermittler. „Wir erwarten Ausgeglichenheit und Gerechtigkeit“, schimpft der Minister. Die Türkei wirft Griechenland den Bruch von Völkerrecht vor, weil auf den Inseln Militär stationiert ist und unter vielen Verträgen auch solche sind, die das ausschließen.
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Apropos Recht. Es gebe eine Verpflichtung, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu achten, gibt Baerbock zurück. „Dazu gehört auch die Freilassung von Osman Kavala.“ Der 64-jährige Aktivist sitzt seit vier Jahren im Gefängnis, vor wenigen Monaten wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.
Doppelmoral, gibt Cavusoglu zurück. Immer werde die Türkei aufgefordert, Völker- und Menschenrechte zu achten. Aber es gebe auch Vorwürfe gegen Norwegen, gegen Deutschland und natürlich auch gegen Griechenland. Aber die Griechen und die anderen EU-Staaten, die dürften anscheinend machen, was sie wollten.
Der Abschied? Eher kurz gehalten
„Wenn so viele Beschlüsse nicht umgesetzt werden, warum wird immer Osman Kavala auf die Tagesordnung gesetzt.“ Der Europäische Menschenrechtshof habe dessen Verurteilung kritisiert, aber mittlerweile habe Kavala noch mal aus ganz anderen Gründen vor Gericht gestanden. Ist nicht so, natürlich würden auch Fehler von EU-Staaten verfolgt. So sei das in Rechtsstaaten. Die Pressekonferenz ist zu einem Schlagabtausch geworden.
Außenministerin Baerbock ruft Griechenland und Türkei zu Deeskalation auf
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat die Türkei und Griechenland aufgerufen, ihren Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer im Dialog zu lösen.
© Quelle: Reuters
Das gilt auch für das Thema Nordsyrien: „Weder Vergeltung noch Präventivangriffe“ dürfe es geben, fordert Baerbock. „Das Leid der Syrerinnen und Syrer würde dadurch schlimmer werden.“ Und die Terrororganisation „Islamischer Staat“ würde gestärkt. „Wenn Sie gegen den IS kämpfen wollen, kommen Sie aufs Feld und kämpfen“, entgegnet Cavusoglu.
In schwierigen Zeiten sei es wichtig, einander zuzuhören, „auch wenn einem die Ohren vielleicht schmerzen“, sagt Baerbock noch. Es gibt noch ein Händeschütteln. Und ein Abendessen der beiden Minister. Aber das dauert nicht besonders lange.
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