Nach dem Bahnstreik: wie es jetzt weitergeht
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Ein ICE im Frankfurter Hauptbahnhof.
© Quelle: IMAGO/Jan Huebner
Berlin. Am Freitagvormittag ist der Berliner Ostbahnhof wie leer gefegt. Eine gestrandete Reisegruppe sortiert sich vor dem Haupteingang, ein einsamer Servicemitarbeiter sitzt am Schalter in der Bahnhofshalle. Vom Hintereingang des Bahnhofes sind Trillerpfeifen zu hören. Knapp 100 Eisenbahner in orangenen Westen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) stehen um einen Pavillon versammelt.
Um 9 Uhr tritt EVG-Tarifvorständin Cosima Ingenschay vor die Menge. „Wir erinnern uns alle noch an das vorletzte Jahr, als wir während Corona mit Lohnverzicht gearbeitet haben, damit unsere Unternehmen Bundeshilfen bekommen“, sagt sie. Seit dem Start der Verhandlungen im vorigen Jahr sei klar: „Jetzt sind wir wieder dran, etwas zu kriegen.“ Ingenschay erntet Jubel, Tröten und tosenden Applaus. Sie erinnert an die zunehmende Inflation und die Krisen der vergangenen Jahre. „Der wichtigste Punkt in den Verhandlungen ist deswegen natürlich mehr Geld“, sagt sie. „Jawoll“, ruft ein Streikender.
Zwei langwierige Verhandlungsrunden würden nun schon hinter dem Tarifkomitee liegen. „Doch was machen unsere Arbeitgeber? Die schreiben uns am vergangenen Wochenende einen Brief und bitten uns, nächste Woche auf Basis des Schlichterspruches im öffentlichen Dienst eine Einigung zu treffen“, sagte Ingenschay. „Die Schweine!“, bekommt sie als Antwort.
Tarifverhandlungen stehen an – der Ausgang ist völlig unklar
Die nächsten Tage werden entscheidend in den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst und bei der Bahn. Am Wochenende kommen Arbeitgeber und Gewerkschaften in Potsdam zusammen, um über den Schlichterspruch im öffentlichen Dienst zu verhandeln. Der Ausgang ist völlig unklar. Scheitern die Verhandlungen, könnten eine Urabstimmung und unbefristete Streiks folgen. Aber auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi steht unter Druck: Lehnt sie den Schlichterspruch ab, begönnen die Verhandlungen wieder von vorne.
Die Schlichter haben nach Angaben der Tarifparteien vom Samstag zunächst Sonderzahlungen in mehreren Stufen vorgeschlagen. Ab März 2024 soll es dann einen Sockelbetrag von 200 Euro sowie anschließend ein Lohnplus von 5,5 Prozent geben. Die Laufzeit der Vereinbarung soll laut Schlichterspruch 24 Monate betragen mit Geltung ab Januar 2023.
Keine Einigung im Tarifkonflikt: Was fordern Verdi und Co?
In Potsdam werden am Samstag die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen fortgesetzt.
© Quelle: RND
Bahnstreiks: Eskalation könnte sich weiter fortsetzen
Ab Dienstag verhandelt die EVG dann mit dem Staatskonzern Deutsche Bahn (DB). DB-Tarifvorstand Martin Seiler will sich am Schlichterspruch im öffentlichen Dienst orientieren, der EVG ist das auf jeden Fall zu wenig. Dennoch würde es EVG-Tarifexperte Kristian Loroch begrüßen, wenn die DB auf dessen Grundlage ein verhandlungsfähiges Angebot erarbeiten würde. „Dann hätten wir etwas, über das wir reden können“, sagt Loroch. Ansonsten werde sich die Eskalation fortsetzen. „Dann wird es eine weitere Warnstreikwelle geben“, kündigte Loroch an.
Nach EVG-Angaben beteiligten sich dieses Mal bundesweit 23.500 von 230.000 Gewerkschaftsmitgliedern am Streik. Da erneut vor allem die Stellwerke bestreikt wurden, konnten bundesweit keine Züge fahren. S-Bahnen und Regionalverkehr nahmen schon kurz nach dem Ende des Streiks im 11 Uhr ihren Betrieb wieder auf, im Fernverkehr waren die Auswirkungen den ganzen Tag zu spüren.
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EVG will eigene Lösung
Die EVG fordert eine Lohnerhöhung von mindestens 650 Euro monatlich oder 12 Prozent bei den oberen Einkommen, das alles bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Die DB möchte sich am Schlichterspruch im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes orientieren. Dies hatte die EVG bisher abgelehnt.
Auf der Kundgebung am Berliner Ostbahnhof spricht auch Daniel Wucherpfennig, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Bezirk Berlin-Brandenburg. Er sagte später dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Wenn sich die Tarifgemeinschaft der Länder und die Bundestarifkommission auf das Angebot des Schlichterspruches einigen, ist das für den Arbeitskampf im Bahnsektor eher negativ.“ Die EVG hätte dann nur noch wenig Spielraum und der öffentliche Rückhalt für die Bahnstreiks könnte in Ablehnung umschlagen.
EVG-Vorständin Ingenschay: „Es muss eine andere Lösung sein als im öffentlichen Dienst“
Ingenschay zeigte sich von den anstehenden Verhandlungen im öffentlichen Dienst unbeeindruckt: „Die EVG führt eigenständige Tarifverhandlungen, wir haben mit Verdi keine Forderungen gemeinsam“, sagte sie dem RND. „Die tarifliche Lösung muss für uns eine andere sein als im öffentlichen Dienst“, forderte sie. „Wir haben einen anderen Startpunkt, unsere Beschäftigten haben in der Vergangenheit sogar auf Lohn verzichtet, wir haben eine völlig andere Tariflandschaft und stehen vor bahnspezifischen Herausforderungen“, sagte sie.