Droht eine Eskalation? Balkanexperte erklärt, worum es im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo geht
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Eine Barrikade aus mit Steinen beladenen Lastwagen, die in der Nacht auf einer Straße im nördlichen, serbisch dominierten Teil der ethnisch geteilten Stadt Mitrovica errichtet wurde.
© Quelle: Bojan Slavkovic/AP/dpa
Berlin. Schon seit Monaten gibt es Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien, die nun zu eskalieren drohen. Es begann im Sommer mit einem Streit um Kfz-Kennzeichen, zuletzt hatten Serben am Dienstag im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovo Straßensperren errichtet. Nun hat das Kosovo am Mittwoch den wichtigsten Grenzübergang nach Serbien nahe der Stadt Podujevo gesperrt. Der Schritt erfolgte, nachdem serbische Militante die Zufahrt auf der serbischen Seite der Grenze blockiert hatten.
„Im Kern geht es bei dem Konflikt darum, dass Serbien niemals die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat“, erläutert Boris Mijatovic, Balkanexperte der Grünen im Bundestag, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Der studierte Politikwissenschaftler Boris Mijatovic (48) ist Balkanexperte der Grünen im Bundestag.
© Quelle: Uwe Zucchi
Serbien will das Kosovo wieder in Serbien integrieren
Das Kosovo war ehemals eine autonome Region innerhalb Jugoslawiens. Nach dessen Zerfall gehörte es ab 2003 als Teilregion zu Serbien. Infolge des Kosovo-Krieges von 1998/1999 strebte das mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnte Kosovo die Eigenstaatlichkeit an und proklamierte diese 2008. 115 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen erkennen die Republik Kosovo als unabhängigen Staat an, die fünf EU-Mitglieder Rumänien, Spanien, Griechenland, Slowakei und Zypern tun dies nicht.
Nach Einschätzung von Mijatovic verfolgt Serbien seit Jahren das Ziel, die Unabhängigkeit des Kosovos rückgängig zu machen und die Republik wieder in serbisches Staatsgebiet zu integrieren. „Hier muss die internationale Gemeinschaft klar sagen, dass es ein Rollback nicht geben wird“, sagt Mijatovic.
„Die EU muss ihre Versprechen auch einlösen“
Die EU hat seit Jahren beiden Ländern eine Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt, wirklich vorangekommen sind die Verhandlungen dazu jedoch nicht. Beobachter Mijatovic sieht hier Versäumnisse in der gesamten Westbalkan-Region. „Die EU muss ihre Versprechen auch einlösen“, sagt der Grünen-Politiker und nennt als Beispiel Nordmazedonien, das viel weiter als Serbien und das Kosovo sei. „Nordmazedonien hat in den letzten Jahren eine vorbildliche Entwicklung genommen, um die Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft zu erfüllen, und wartet auch immer noch.“
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic verfolgt seit Jahren eine Schaukelpolitik zwischen Russland und der EU und hat sich nach Einschätzung von Mijatovic längst in Richtung Moskau orientiert. „Es sind über 100.000 Russen mit dauerhaftem Aufenthalt im Land, aber es gibt auch fast 10.000 russische Unternehmen und keinerlei Kontrolle über Geldwäsche“, sagt der Balkanexperte.
Russland versuche, über Serbien einen Teil der EU-Sanktionen zu umgehen und gleichzeitig einen Fuß in Europa zu behalten und auch destabilisierend zu wirken. „Beispiel sind die Sender RT und Sputnik, die versuchten, Lizenzen für Europa in Belgrad zu bekommen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat das noch einmal eine neue Dimension bekommen“, sagt Mijatovic.
Mijatovic: Belgrad zündelt
Die EU müsse Serbien klarmachen, dass der Glaube, mit Moskau besser zu fahren, ein großer Irrtum ist. „In Belgrad muss man verstehen, dass man nicht auf zwei Hochzeiten tanzen kann. Serbien macht den größten Teil seiner wirtschaftlichen Entwicklung mit der EU, nicht mit der Russischen Föderation“, betont der Grünen-Politiker.
Seit dem Unabhängigkeitskrieg 1999 steht die Nato-Friedenstruppe KFOR mit 4000 Soldaten im Kosovo, darunter auch 60 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr. Sie war bislang ein Garant dafür, dass die Auseinandersetzungen relativ friedlich blieben. Jetzt hat Serbien allerdings gefordert, 1000 Soldatinnen und Soldaten in den größtenteils von Serben bewohnten Norden des Kosovo als Sicherheitskräfte entsenden zu dürfen. „Wir müssen die KFOR stärken. Wir haben es hier mit einem dauerhaften Konflikt zu tun, der nur schwer zu befrieden ist“, kommentiert Mijatovic die Situation.
Das Risiko, dass die Lage eskalieren könnte, sei durchaus gegeben: „Wenn man mit dem Feuer spielt, kann es auch außer Kontrolle geraten“, sagt Mijatovic, rät gleichzeitig aber auch zu einem „großen Maß an Gelassenheit“ im Umgang mit gewaltbereiten Kräften in der Region. „Man muss beide Seiten immer wieder an den Verhandlungstisch holen und an ihre gegenseitigen Zugeständnisse erinnern. Und kriminelle Initiativen ermitteln und dingfest machen“, so der Grünen-Politiker. „Ich denke, man muss derzeit den Fokus mehr auf Belgrad richten, weil von dort aus sehr viel stärker gezündelt wird.“