Behörde als Dienstleister – wie Deutschland ein Einwanderungsland wird

Ein Einwanderungsland kann man sich nicht in der Werkstatt bauen. Deutschland muss mehr auf internationale Vorbilder schauen.

Ein Einwanderungsland kann man sich nicht in der Werkstatt bauen. Deutschland muss mehr auf internationale Vorbilder schauen.

Berlin. Deutschland ist nur mäßig attraktiv. Für internationale Spezialisten und Fachkräfte gibt es bessere Länder. Länder, in denen sie willkommen sind, in denen ihre Abschlüsse anerkannt werden. Länder, in denen die Bürokratie nicht dafür gemacht wurde, zu verhindern, sondern zu ermöglichen. Zu dieser Einschätzung kommen seit Jahren alle Experten, die Deutschlands Anziehungskraft auf hochqualifizierte Einwanderer untersuchen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch der Fachkräftegipfel bei der Bundeskanzlerin am Montag wird die Grundprobleme nicht lösen. In der gemeinsamen Absichtserklärung ist von einer “Anwerbe-Offensive” die Rede, als würde Deutschland sich einfach nur zu schlecht vermarkten. “Deutschland steht international in starkem Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte”, heißt es in dem Papier. “Wir müssen deshalb unsere attraktiven Arbeits- und Lebensbedingungen besser präsentieren, um das Interesse ausländischer Fachkräfte zu wecken.”

Dass es um die Bedingungen selbst gehen könnte, scheint den Regierungsspitzen dabei nicht ganz klar zu sein. Ein Blick in andere Einwanderungsländer, also die direkte Konkurrenz, würde da helfen. In Norwegen wird in einem “Turbo-Verfahren” geprüft, ob die erworbene Qualifikation zum Berufsprofil passt – noch vor der offiziellen Anerkennung von Abschlüssen. In Kanada wird bei Hochqualifizierten die ganze Familie nicht nur mit Visa versehen, sondern passgenau betreut – Arbeitsmöglichkeiten für den Partner, schulische Anerkennung für die Kinder inklusive.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In Deutschland ist solch eine Dienstleistungs-Orientierung der Behörden noch schwer vorstellbar. Hier geht es um Bürokratie und Technik, was nicht falsch ist, aber an der Arbeitsweise wenig ändert. Schnelle Visa-Erteilung, papierlose Übermittlung, mehr Sprachkurse in Goethe-Instituten, eine “Anwerbeoffensive” für Mittelständler – all das verspricht der Gipfel. Und fast alles ist eindimensional vom Standpunkt der Firmen gedacht, nicht von den Fragen und Bedürfnissen der potenziellen Einwanderer.

Der sprichwörtliche Arzt mit russischem Abschluss, der in Deutschland Taxi fuhr, beschreibt den Zustand der 1990er Jahre. Weil die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ewig dauerte, sind viele Neu-Einwanderer auf andere Jobfelder ausgewichen, um Geld zu verdienen. Das Problem ist erkannt – aber noch lange nicht gebannt.

Jahrzehnte der Selbstverleugnung

Allzu viele Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten mit akademischem Abschluss arbeiten hierzulande noch weit unterhalb ihres Ausbildungsniveaus. Deutschlands Einwanderungssystem leidet immer noch an den Jahrzehnten der Selbstverleugnung (“Deutschland ist kein Einwanderungsland”) und der daraus folgenden mangelnden Trennung zwischen Flucht- und Arbeitsmigration. Das ändert sich erst langsam.

Die Diskussion um den “Spurwechsel” zwischen Asyl- und Einwanderungsverfahren zeigte, wie grundlegend kaputt das hiesige System eigentlich ist. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz stellt einen für Deutschland fast schon revolutionären Wechsel dar.

Es muss aber auch richtig gehandhabt werden – durch einen ganzheitlichen Ansatz bei der Einwanderungsberatung. “Unsere Firmen suchen händeringend Fachkräfte”, sagt die Kanzlerin gleich mehrfach in ihrer Videobotschaft vom Wochenende. Aber eine Regierung hat nicht nur die Verantwortung, die Wirtschaft mit Arbeitskräften zu versorgen, sondern muss auch die Folgen für die Beschäftigten und auch die Herkunftsländer mitdenken.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Im Punkt “Vielfalt” ist Deutschland besser geworden

Tarifflucht und Dumpinglöhne müssen ebenso vermieden werden wie ein ungebremster “brain drain” in den Herkunftsländern. Bereits jetzt leiden osteuropäische Krankenhäuser, aber auch Verkehrsunternehmen unter extremem Personalmangel – Ärzte und Busfahrer gleichermaßen sind in den goldenen Westen aufgebrochen. Hier braucht es eine Solidarität innerhalb der EU, zum Beispiel über Austausch- und Qualifizierungsverträge.

Doch ein Gutes gibt es: Der Wandel ist in Deutschland angekommen. Im Kriterium “Vielfalt” schneiden andere Länder schlechter ab – Alltagsrassismus gibt es leider überall. Für Deutschland kann das nur bedeuten, hier nicht nachzulassen und keine Diskriminierung zuzulassen. Ein friedliches Miteinander ist ein Standortfaktor. Vielleicht der wichtigste.


Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken