Belarus: Lukaschenkos Wahlfarce bringt die EU in ein Dilemma
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Eine Frau spricht während der Demonstrationen gegen das Wahlergebnis in der belarussischen Hauptstadt Minsk mit Polizisten.
© Quelle: imago images/ITAR-TASS
Brüssel. Die Vorstellung, “Europas letzter Diktator” werde sich dem Wählerwillen beugen, war naiv und hat sich wieder einmal als ein Wunschtraum erwiesen. Alexander Lukaschenko hat einfach das Wahlergebnis verbogen und sich eine sechste Amtszeit als Präsident gesichert. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert geht das nun schon so in Weißrussland.
Dass Lukaschenko 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt habe, seine Herausforderin Swetlana Tichanowskaja aber nicht einmal 10 Prozent – solche Zahlen wirken nicht nur erfunden, sie sind es auch. Auf solche Zahlen kann nur eine Wahlkommission kommen, die Lukaschenko ergeben ist. Nicht einmal zu einer symbolischen Geste, also ein paar Prozentpunkten mehr für die Opposition, war die Kommission fähig. Das zeigt, wie sehr Lukaschenko die Wähler in Belarus im Grunde verachtet.
Opposition ist vereint
Doch nach einer Nacht brutaler staatlicher Gewalt gegen Demonstranten, die den Wahlbetrug nicht akzeptieren wollten, scheint auch klar zu sein: Die Ära des Autokraten in Minsk könnte langsam zu Ende gehen. Die Betonung liegt dabei auf könnte.
Erstmals ist die Opposition gegen Lukaschenko vereint und nicht mehr nur auf die Hauptstadt des Landes beschränkt. Die Proteste haben das ganze Land erfasst. Diese Opposition wird zwar weiter den Schlägen und Fußtritten ausgesetzt sein. Doch sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr verschwinden. Lukaschenko kann sich nur noch auf einen willfährigen Apparat verlassen, auf die Mehrheit der Menschen in Belarus dagegen nicht mehr.
Nun stellt sich die Frage, wie lange der Apparat noch loyal gegenüber Lukaschenko ist. Die belarussische Führungselite ist wie ein Mafiaclan mit einem ins Alter gekommenen Paten. Noch wagen sich die Unterlinge nicht aus der Deckung. Doch jede noch so monolithisch wirkende Organisation hat Sollbruchstellen. Die schwere Wirtschaftskrise in Belarus und Lukaschenkos miserables Pandemiemanagement dürften Absetzbewegungen im Apparat eher noch beschleunigen.
Auch der Europäischen Union hat der Wahlbetrug von Minsk ein neues Problem beschert – mit Folgen, die heute nicht abzusehen sind. Es ist schon richtig, wenn jetzt aus den meisten politischen Lagern in der EU gefordert wird, dass Brüssel Haltung zeigen müsse.
Scharfe Worte aus der EU
Aber was heißt das schon konkret? Dass die EU die Wahltravestie mit scharfen Worten verurteilt, das kennt Lukaschenko seit vielen Jahren. Proteste aus dem Ausland beeindrucken ihn nicht. Wenn der frühere deutsche Außenminister Guido Westerwelle noch lebte, könnte er von einem Besuch in Minsk im Jahr 2010 erzählen, als ihm ein selbstherrlicher Lukaschenko eine Lektion in demokratischer Theorie geben wollte.
Die EU könnte nun wieder schärfere Sanktionen gegen die belarussische Staatsführung verhängen. Bis vor wenigen Jahren gab es solche Strafmaßnahmen gegen 170 Einzelpersonen und drei Unternehmen. Davon übrig geblieben sind Sanktionen gegen drei Belarussen und ein EU-Waffenembargo, weil sich in Brüssel zwischenzeitlich der Eindruck festsetzte, dass Lukaschenko sich hier und dort doch konstruktiv gezeigt hat.
Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass es zu schärferen Sanktionen kommen wird. Die EU müsste Sanktionen einstimmig beschließen. Das ist nicht zu erwarten, denn mindestens Ungarn würde sich wahrscheinlich querstellen.
Sanktionen – aber gegen wen genau?
Noch schwieriger zu lösen ist aber die Frage, gegen wen sich Sanktionen richten sollen. Im Staatsapparat richten Strafen aus Brüssel wenig aus. Träfen sie dagegen die Bevölkerung, dann bestrafte die EU jene, die sie eigentlich beschützen müsste. Außerdem würde Lukaschenko in diesem Fall versuchen, Europa als Feindbild zu stilisieren.
Die EU steckt in einem Dilemma. Sie ist uneinig. Sie weiß nicht, wen sie bestrafen sollte. Und sie muss damit rechnen, dass jede Reaktion auf den Wahlbetrug von Minsk Ärger mit Moskau bringen kann. Der russische Präsident Wladimir Putin und Lukaschenko sind zwar nicht die besten Freunde. Aber sicher ist auch: Putin würde es nicht akzeptieren, wenn Belarus sich auf den Weg Richtung EU und Nato machte. Der Krieg in der Ukraine ist dafür ein besonders bitteres Vorbild.