Offenbar auch zivile Opfer

Berg-Karabach meldet 27 Tote durch Angriffe Aserbaidschans – scharfe internationale Kritik

Auf diesem vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellten Videostandbild ist eine Explosion über einem Gebiet zu sehen, in dem sich nach aserbaidschanischen Angaben Stellungen der armenischen Streitkräfte in Berg-Karabach befinden.

Auf diesem vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellten Videostandbild ist eine Explosion über einem Gebiet zu sehen, in dem sich nach aserbaidschanischen Angaben Stellungen der armenischen Streitkräfte in Berg-Karabach befinden.

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Der aserbaidschanische Militäreinsatz im Südkaukasus hat nach örtlichen Angaben schon am ersten Tag mehr als zwei Dutzend Menschen in der betroffenen Region Berg-Karabach das Leben gekostet. Bislang seien 27 Todesopfer bestätigt, darunter zwei Zivilisten, schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, am Dienstagabend auf der früher als Twitter bekannten Plattform X. Darüber hinaus seien in der Konfliktregion mehr als 200 Menschen verletzt worden. Aus 16 Orten seien insgesamt rund 7000 Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht worden.

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Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte den breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs am Morgen begonnen. Die Region liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Die beiden ehemals sowjetischen Nachbarländer kämpfen bereits seit Jahrzehnten um Berg-Karabach. Im jüngsten Krieg 2020 hatte die durch Öl- und Gaseinnahmen hochgerüstete Armee Aserbaidschans bereits weite Teile Karabachs erobert.

Als Bedingung für das Ende des jetzigen Militäreinsatzes nannte Aserbaidschan die Niederlegung der Waffen und die Abdankung der armenischen Führung in der Region Berg-Karabach. Andernfalls würden die Kampfhandlungen bis zum Ende geführt.

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ARCHIV - 02.12.2020, Aserbaidschan, Kalbajar: Ein aserbaidschanischer Panzer rollt über eine Straße, nachdem eine Region in Berg-Karabach in aserbaidschanische Kontrolle übergeben wurde. Im Südkaukasus hat die Ex-Sowjetrepublik Aserbaidschan eine neue Militäroperation zur Eroberung der Konfliktregion Berg-Karabach gestartet. Das Verteidigungsministerium in Baku sprach am Dienstag zur Begründung von einer «Antiterroroperation lokalen Charakters zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung» in der Region. Berg-Karabach liegt auf aserbaidschanischem Gebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Foto: Emrah Gurel/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Tragödie im Südkaukasus: Europas „Gaspartner“ Aserbaidschan lässt die Panzer rollen

Im Windschatten von Russlands Krieg gegen die Ukraine greift Aserbaidschans Diktator Ilham Aliyev die überwiegend von Armeniern bewohnte Exklave Berg-Karabach an. Den Armeniern drohen wieder einmal Tod und Vertreibung. Verliert der Westen mit Aserbaidschan jetzt seinen nächsten „Gaspartner“?

Anwohner der Gebietshauptstadt Stepanakert verbreiteten Aufnahmen, die den Beschuss von Wohnhäusern zeigen. In den Vierteln gebe es keine militärischen Objekte, klagen sie. Der frühere Regierungschef von Berg-Karabach, Ruben Wardanjan, berichtete auf seinem Telegram-Kanal von massivem Artilleriefeuer auf das gesamte Gebiet. „Die Führung von Armenien muss Arzach anerkennen und sich dem Schutz unserer Bürger anschließen“, forderte er als Konsequenz.

Kreise: UN-Sicherheitsratssitzung zu Berg-Karabach am Donnerstag

International wurde Aserbaidschan für sein gewaltsames Vorgehen kritisiert. Die Bundesregierung etwa verlangte von der Führung in Baku ein sofortiges Ende der Militäraktion in Berg-Karabach. „Armenien und Aserbaidschan sind jetzt in einer sehr kritischen Situation, und deshalb ist für uns ganz klar, dass diese Kriegshandlungen sofort beendet werden müssen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte: „Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren.“ Auch die US-Regierung zeigte sich „zutiefst besorgt“ über die aktuellen Entwicklungen und forderte Aserbaidschan auf, die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen.

Angesichts des aserbaidschanischen Angriffs wird es offenbar auch eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates geben. Aus Diplomatenkreisen in New York verlautete am Dienstag, die Sitzung zu diesem Thema sei für Donnerstagabend (MESZ) einberufen worden. Zuvor hatte Aserbaidschans Nachbarland Armenien den UN-Sicherheitsrat um Hilfe gebeten.

Russland fordert Ende des Blutvergießens

Auch Russland, traditionell die Schutzmacht Armeniens, hat die Konfliktparteien aufgefordert, die Feindseligkeiten unverzüglich zu stoppen und zivile Opfer zu vermeiden. „Wegen der schnellen Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in Berg-Karabach rufen wir die Konfliktparteien auf, das Blutvergießen sofort zu beenden, die Kampfhandlungen einzustellen und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden”, hieß es in einer am frühen Mittwochmorgen veröffentlichten Mitteilung des russischen Außenministerium, wie die Nachrichtenagentur Tass berichtete.

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Die in der Region stationierten russischen Soldaten unterstützen die Zivilbevölkerung in Berg-Karabach, hieß es weiter. So werde unter anderem medizinische Hilfe geleistet und bei Fragen zur Evakuierungen geholfen.

Rückendeckung bekam Aserbaidschan hingegen aus der Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, sein Land unterstütze die Schritte zum „Schutz der regionalen Integrität Aserbaidschans“.

Russland fordert „Ende des Blutvergießens“ in Berg-Karabach

Die Kämpfe müssten sofort eingestellt werden, um weitere Opfer zu vermeiden, teilte Moskau in einer Erklärung mit.

Heftige Proteste in Armeniens Hauptstadt Eriwan

Die ebenfalls islamisch geprägte Türkei gilt als Schutzmacht Aserbaidschans, wohingegen das christlich-orthodoxe Armenien traditionell auf die Unterstützung Russlands setzt, das in der Region auch eigene Soldaten stationiert hat. Mittlerweile aber braucht Moskau seine Kämpfer in erster Linie für den eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beobachter hatten deshalb bereits befürchtet, dass Aserbaidschan diese instabile Lage für militärisches Vorgehen nutzen könnte. Schon vor Beginn des jüngsten Beschusses war die humanitäre Lage in Berg-Karabach katastrophal, weil Aserbaidschan den einzigen Zugang Armeniens in die Exklave – den sogenannten Latschin-Korridor – blockierte.

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In Armeniens Hauptstadt Eriwan brachen am Dienstagabend heftige Proteste gegen die eigene Regierung aus, es kam teils zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Demonstranten forderten von Regierungschef Nikol Paschinjan ein entschiedenes Vorgehen sowie Unterstützung der armenischen Bewohner Berg-Karabachs.

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Berg-Karabach ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken umkämpft. In den 90er Jahren hat sich die dortige Bevölkerung unterstützt von Eriwan in einem blutigen Bürgerkampf von Baku gelöst. 2020 gelang dem durch Öl- und Gaseinnahmen hochgerüsteten Aserbaidschan die Revanche, es holte sich große Teile Berg-Karabachs zurück. Der dabei ausgehandelte und von russischen Truppen kontrollierte Waffenstillstand wurde in der Vergangenheit schon mehrfach gebrochen. Seit Monaten hat Aserbaidschan zudem den Latschin-Korridor als einzigen Zugang Armeniens zu Berg-Karabach blockiert. Die humanitäre Lage dort gilt als katastrophal.

RND/dpa

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