Berlin und die Angst vor der Techszene

San Francisco an der Spree: Der Start-up-Club „Factory“ orientiert sich stilistisch eindeutig an kalifornischen Zentralen der Internet-Economy .

San Francisco an der Spree: Der Start-up-Club „Factory“ orientiert sich stilistisch eindeutig an kalifornischen Zentralen der Internet-Economy .

Berlin. Drinnen herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre, draußen tobt der tägliche Kampf ums Überleben. Aus den Fenstern der Bibliothek der „Factory Görlitzer Park“ haben Mitglieder des neu eröffneten Business-Clubs für Start-ups und Tech-Unternehmen direkten Blick auf die zweite boomende Branche von Kleinunternehmern in Berlin: Auf der stillgelegten Bahnbrücke über den Landwehrkanal haben sich die Dealer aus dem angrenzenden Görlitzer Park versammelt. Alle paar Stunden rauscht ein Kleinbus der Polizei heran, dann gibt es ein paar Minuten Unruhe.

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Drinnen aber laufen die Geschäfte ungestört. Auf 14 000 Quadratmetern Fläche sollen sich Gründer und Konzerne in Club-Atmosphäre treffen und gemeinsam das nächste große Ding schaffen. Restaurant, Café, Berlins größtes Bällebad und smarte Gepäckschließfächer gibt es bereits. Konzerne wie Vodafone und Siemens haben sich neben Blockchain-Spezialisten und namenlosen IT-Gründern eingemietet.

Udo Schloemer tänzelt durch das Gebäude, verteilt hier ein Lächeln, da eine Umarmung und begrüßt alle in seinem unverwechselbaren Schwäbisch. Früher war er Immobilienentwickler, jetzt ist er Geschäftsführer von „Europas größtem Start-up-Club“, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Dabei geht es nicht mehr nur um die Existenzgründer, um die Kleinen in der Branche. Berlins boomende Technologie-Industrie zieht längst auch die Großen an, die „Corporates“, wie es im Branchensprech heißt.

„Wenn du hier bist, ist es egal, ob du CEO eines Konzerns bist oder jemand, der ganz neu anfängt“ Udo Schloemer, Geschäftsführer der „Factory Görlitzer Park“.

„Wenn du hier bist, ist es egal, ob du CEO eines Konzerns bist oder jemand, der ganz neu anfängt“ Udo Schloemer, Geschäftsführer der „Factory Görlitzer Park“.

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Schloemer stellt sich auf eine Treppe in einem Flügel, der noch Rohbau ist, und holt weit aus: „Unsere Idee in der Factory ist die Gemeinschaft. Jeder kann von jedem etwas lernen. Start-ups von Corporates, Corporates von Start-ups. Wenn du hier bist, ist es egal, ob du CEO eines Konzerns bist oder jemand, der ganz neu anfängt. Hauptsache, du kannst etwas beitragen.“

Dann bricht wieder der Immobilienentwickler durch, der er von Haus aus ist: „Die Lage hat mich hier am meisten fasziniert. Mitte ist für viele zu teuer geworden, hier gibt es noch Potenzial, in Kreuzberg genauso wie in Treptow.“

Der alte Industriebau steht direkt am ehemaligen Mauerstreifen. Hier begann einmal die Unternehmensgeschichte der Agfa. Lange nach dem Mauerfall blieben die angrenzenden Kieze in Kreuzberg und Treptow vom Bauboom ausgespart. Das ist vorbei: Nirgends in der Hauptstadt stiegen die Mieten jüngst so rasant wie rund um den Görlitzer Park. Hier hat sich nicht nur die internationale Partyszene niedergelassen, sondern – durchaus in deren Windschatten – die ebenso internationale Tech-Industrie.

Und nun kommen die ganz Großen der Branche.

Google will in einem früheren Umspannwerk am Landwehrkanal einen „Google Campus“ für befreundete Start-ups errichten, Zalando baut an der Spree die letzte Brache voll, und Schloemer wirbt damit, dass bis zu 10 000 Factory-Mitglieder gleichzeitig in dem neuen Bau Platz haben.

10 000 Factory-Mitglieder sollen hier einmal arbeiten.

10 000 Factory-Mitglieder sollen hier einmal arbeiten.

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Hat er ein elitäres Raumschiff in diesen einst wild-lebendigen Teil der Stadt gesetzt? Der Wachmann vor der Tür achtet darauf, dass die Welten klar getrennt bleiben. Schloemer aber sagt: „Wir sind nicht elitär. Der monatliche Beitrag in der Factory beträgt 50 Euro. Hier kann jeder Mitglied werden. Ich komme aus einer Handwerkerfamilie in Stuttgart, das war damals eine üble Gegend. Ich sehe also keinen Grund, warum die Kiezkids aus Kreuzberg oder Treptow es nicht auch schaffen können.“

Ein paar Hundert Meter weiter, am Umspannwerk, wo im Herbst Google seinen Campus eröffnen will, sitzen Katalin Gennburg und Felix Hartenstein und sprechen vom Wagniskapital, das in die Metropolen fließt, und einem „Clash, der ex­tremer nicht sein könnte“: „Wollen wir, dass wir in zehn Jahren in dieser Stadt noch leben können?“

Gennburg ist Sprecherin für Stadtentwicklung der Berliner Linken-Fraktion, Hartenstein ist Stadtökonom. Zusammen diskutieren sie am Freitag auf der Internetkonferenz re:publica über den Einfluss der Tech-Industrie auf die Stadt. Man könnte die Frage auch so formulieren: Wie viel San Francisco muss Berlin befürchten? Der Boom im angrenzenden Silicon Valley hat in der kalifornischen Metropole zu schweren sozialen Verwerfungen geführt, Wohnen ist für Normalverdiener unbezahlbar geworden. Und: Die Giganten der IT-Industrie residieren immer noch im suburbanen Valley, aber die nächste Generation der Internetbranche wie Airbnb und Uber ist mit ihren Zen­tralen in die Stadt gezogen.

„Ein Clash, der ex­tremer nicht sein könnte“: Katalin Gennburg und Felix Hartenstein sehen den geplanten Google-Campus im alten Kreuzberger Umspannwerk eher skeptisch.

„Ein Clash, der ex­tremer nicht sein könnte“: Katalin Gennburg und Felix Hartenstein sehen den geplanten Google-Campus im alten Kreuzberger Umspannwerk eher skeptisch.

Selbst Udo Schloemer in der Factory befürchtet inzwischen, dass Berlins Boom irgendwann ins Unerfreuliche kippen könnte. Denn er begann ja im Tief der 1990er-Jahre, als die Wirtschaft am Boden lag und sich überall Freiräume auftaten. Berlin war damals die Stadt des faktisch bedingungslosen Grundeinkommens: Jeder kam irgendwie durch. Aus diesem Freiheitsgefühl aber entstand der Ruf der Stadt, in der alles geht. Doch je mehr geht, desto gefährdeter ist das fragile Gebilde Berlin. „Ich habe die Befürchtung, dass Berlin elitär werden könnte“, sagt Schloemer. „Dann würde es nicht mehr funktionieren. Die Stadt lebt immer noch davon, dass hier alles für alle möglich ist.“

Gegenüber dem Rathaus Schöneberg, wo John F. Kennedy 1963 mit seinem „Ich bin ein Berliner“ dem Stadtmarketing einen zeitlosen Slogan schenkte, sitzt der Staatssekretär für Digitalisierung und schwärmt von den Stärken Berlins. „Aktuell verlagern viele Konzerne der früheren Old Economy ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen nach Berlin, weil sie hier in die Breite arbeiten können“, sagt Christian Rickerts. Er nennt die Bahn, die einen neuen Campus aufbaut, und den Werkzeughersteller Würth aus Schwaben. „Hier finden sie Spezialisten und Fachkräfte aus den vielfältigsten Bereichen, zum Beispiel mit Datenkompetenz, für künstliche Intelligenz, mit Blockchain-Erfahrungen.“ 88 000 Berliner arbeiten in der Digitalwirtschaft, sie verdienen im Schnitt 1000 Euro mehr als der Durchschnittsberliner.

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Alles vom Feinsten für die Start-ups – aber die Nachbarn können ihre Miete nicht mehr zahlen?

Alles vom Feinsten für die Start-ups – aber die Nachbarn können ihre Miete nicht mehr zahlen?

Wann aber wird es zuviel für die Stadt? Darüber diskutiere man intensiv, sagt Rickerts. Ein Ergebnis ist ein Lärmschutzfonds von einer Million Euro. Damit soll die Clubszene unterstützt werden, die immer öfter in Konflikte mit neu zugezogenen Nachbarn gerät. Und von Raumschiffen wie der Apple-Zentrale in Cupertino hält man auch nichts: „Die Firmen, die sich in der Stadt ansiedeln, haben auch eine Verantwortung und müssen dieser gerecht werden.“

Man rede mit allen Kritikern, sagt Google-Sprecher Ralf Bremer und habe in Kreuzberg „viele Missverständnisse ausräumen können“. Aber er sagt auch: „Wir können die Probleme, die mit dem Strukturwandel Berlins verbunden sind, als einzelnes Unternehmen nicht lösen. Wir sind auch nicht für diese Probleme verantwortlich.“

Von Jan Sternberg

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