Bidens Rede zur Lage der Nation: nur 15 Minuten Einigkeit gegen Putin
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Joe Biden, Präsident der USA, spricht zu Abgeordneten bei seiner Rede zur Lage der Nation vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses im Kapitol. Hinter ihm sitzen Kamala Harris (links), Vizepräsidentin der USA, und Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses.
© Quelle: Saul Loeb/Pool AFP via AP/dpa
Washington. An der Wand hinter dem Präsidenten hing das rot-weiß-blaue Sternenbanner. Doch im Plenarsaal des amerikanischen Kongresses dominierten die Töne Blau und Gelb. Mehrere Parlamentarierinnen hatten sich in den ukrainischen Nationalfarben gekleidet. Viele Kollegen hielten kleine Fähnchen des von Russland überfallenen Landes in ihrer Hand. Oben auf der Tribüne verfolgte die ukrainische Botschafterin Oksana Markarowa die Veranstaltung.
Es war ein ungewöhnliches „State of the Union“, das Amerika in der Nacht zu Mittwoch erlebte. Normalerweise dient die jährliche Rede zur Lage der Nation dem Präsidenten dazu, vor den versammelten Vertreterinnen und Vertretern von Repräsentantenhaus und Senat seine Erfolge anzupreisen und die Vorhaben für die kommenden zwölf Monate auszubreiten. Angesichts katastrophaler Zustimmungswerte von unter 40 Prozent hätte Joe Biden dazu dringenden Grund gehabt. Doch seit einer Woche überschattet der Ukraine-Krieg alle politischen Ereignisse. Und so war die wichtigste Botschaft des Abends nicht an die amerikanischen Wählerinnen und Wähler, sondern an Wladimir Putin gerichtet.
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Der russische Autokrat versuche, die Fundamente der freien Welt zu erschüttern, leitete Biden seine Rede ein: „Aber er hat sich übel verkalkuliert.“ Das ukrainische Volk stelle sich dem Angreifer mutig entgegen, und die Amerikanerinnen und Amerikaner stünden an seiner Seite: „Im Laufe unserer Geschichte haben wir gelernt, dass Diktatoren, die keinen Preis für ihre Aggression zahlen müssen, mehr Chaos verursachen.“ Auch sonst habe sich Putin getäuscht, wenn er geglaubt habe, den Westen spalten zu können: „Wir sind geeint, und Putin ist zunehmend isoliert.“
Putin werde „einen hohen Preis zahlen“, droht Biden
Da gab es tatsächlich kräftigen Beifall von beiden Parteien im Kongress, obwohl viele Trumpianer Sympathien für Putin hegen. Biden stellte die „mächtigen Sanktionen“ heraus, drohte den Oligarchen mit der Verfolgung durch eine neue Taskforce und kündigte die Sperrung auch des amerikanischen Luftraums für russische Maschinen an. „Putin hat Gewalt und Chaos ausgelöst“, wetterte Biden. Dafür werde er „einen dauerhaft hohen Preis“ bezahlen.
Knapp eine Viertelstunde dauerte die Passage. Danach war es mit der Einigkeit im Saal vorbei. Biden wandte sich der Innenpolitik zu: Er pries sein billionenschweres Corona-Hilfsgesetz und das gewaltige Infrastrukturpaket an, die im vergangenen Jahr vom Kongress verabschiedet wurden. Und er warb für eine Senkung der Arzneikosten, eine bessere Kinderbetreuung, höhere Unternehmenssteuern und eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar – alles Bestandteile seines Sozial- und Klimapakets, das die Republikanische Partei entschieden ablehnt.
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Joe Biden, Präsident der USA, spricht am 1. März in Washington zu Abgeordneten bei seiner Rede zur Lage der Nation vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses im Kapitol.
© Quelle: Jim Lo Scalzo/Pool epa via AP/dp
Das Problem ist freilich: Für diese Vorhaben gibt es bislang nicht einmal in seinen eigenen Reihen eine Mehrheit. Und obwohl sich die amerikanische Wirtschaft – auch dank der Geldspritzen der beiden anderen Gesetze – mit einem Wachstum von 5,7 Prozent und sechs Millionen neuen Jobs im vergangenen Jahr sehr ordentlich entwickelte, schlägt die positive Entwicklung nicht auf das Empfinden der Bürgerinnen und Bürger durch. Im Gegenteil: Knapp mehr als die Hälfte glaubt laut einer aktuellen Umfrage der Zeitung „USA Today“, in einer Rezession oder Depression zu leben.
Die rasante Inflation verdunkelt die wirtschaftliche Lage
Der Grund dafür ist die Preisexplosion, die zuletzt 7,5 Prozent erreichte und sich besonders schmerzhaft beim Benzin zeigt. „Die Inflation raubt vielen Familien die Zugewinne, die sie sonst hätten“, räumte Biden das lange missachtete Problem ein. „Ich habe verstanden.“ Es sei seine Toppriorität, die Entwicklung zu bremsen. Das ist, wie Ökonomen regelmäßig betonen, nicht ganz einfach. So blieb die Passage mit den konkreten Maßnahmen ziemlich vage.
Eine Reihe allgemein formulierter überparteilicher Vorhaben – vom Kampf gegen die Opioid-Suchtkrise über einen besseren Schutz von Jugendlichen auf Onlineplattformen bis zur stärkeren Unterstützung der Militärveteranen – deutet darauf hin, dass Biden nicht damit rechnet, noch ein konkretes massives Gesetzespaket gemeinsam mit der Republikanischen Partei durchs Parlament bringen zu können. Im Herbst stehen Zwischenwahlen an. Dann könnte die hauchdünne Mehrheit der Demokratischen Partei endgültig verloren gehen.
„Wir stimmen in viel mehr Dingen überein, als wir öffentlich zugeben“, beschwor der Präsident gleichwohl sein Mantra von der Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg, das durch die Trump-Republikaner konterkariert wird. Ein wenig klang das Pathos am Ende seiner einstündigen Rede wie eine Selbsthypnose. Doch war es wohl auch an die Adresse jenes Mannes in Moskau gerichtet, der die Welt gerade in Atem hält: „Die Lage der Nation ist stark, weil das amerikanische Volk stark ist. Wir sind heute stärker als vor einem Jahr. Und wir werden in einem Jahr noch stärker sein.“