Auch im dritten Anlauf keine Mehrheit

Regierungsbildung gescheitert – Bulgarien nimmt Kurs auf Neuwahlen

Nach dem neuerlichen Scheitern einer Regierungsbildung muss in Bulgarien zum fünften Mal innerhalb von drei Jahren ein neues Parlament gewählt werden (Symbolbild).

Nach dem neuerlichen Scheitern einer Regierungsbildung muss in Bulgarien zum fünften Mal innerhalb von drei Jahren ein neues Parlament gewählt werden (Symbolbild).

Berlin. In Bulgarien ist nach der Wahl vom 2. Oktober 2022 nun auch der letzte Versuch gescheitert, eine Regierung zu bilden. Damit steuert das Land im Frühjahr auf Neuwahlen und damit auf die fünfte Abstimmung innerhalb von zwei Jahren zu.

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Zuletzt waren die Sozialisten von der BSP von Präsident Rumen Radew mit einer Regierungsbildung beauftragt worden und konnten im dritten und laut Verfassung letztmöglichen Anlauf keine Mehrheit finden, wie Parteichefin Kornelia Ninowa am Dienstag erklärte.

Eine Art Präsidialregierung

„Damit haben wir die absurde Situation erreicht, dass es zwar im Parlament theoretisch eine Mehrheit gibt, sich diese Mehrheit aber nicht entschließen kann, Verantwortung zu übernehmen“, erläutert die Vizedirektorin der in Sofia ansässigen Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR), Vessela Tcherneva, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Bis zur nächsten Wahl im März oder April wird das EU- und Nato-Mitgliedsland Bulgarien nun weiter von einer von Radev eingesetzten Interimsregierung geführt, auf die der Staatschef großen Einfluss hat.

„Wir haben quasi eine Art Präsidialregierung, die eigentlich keine strategischen Entscheidungen mit Langzeitwirkung treffen sollte“, erklärt Tcherneva.

Faktisch aber hat der Ministerrat unlängst eine Energiestrategie für das Land bis 2050 verabschiedet, zu der beispielsweise auch der Ausbau der Kernenergie gehört. Während das Parlament bereits für die Erweiterung des alten Atomkraftwerks sowjetischer Bauart in Kozloduj um zwei Reaktoren gestimmt hatte, sprach sich die Interimsregierung zusätzlich für den Bau eines ganz neuen AKW in der Ortschaft Belene aus.

Kozloduj erzeugt über ein Drittel der von Bulgarien benötigten Elektroenergie und ermöglicht sogar den Export von Strom an umliegende Länder wie die Türkei. Auch trug es zur stabilen Energieversorgung bei, als Russland im April 2022 Bulgarien als erstem EU-Land den Gashahn zudrehte.

Hohe Akzeptanz für Atomenergie

„Atomkraft besitzt in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz“, sagt Tcherneva. Dennoch gibt es kritische Expertenstimmen, dass sich Belene gar nicht lohnt. „Das Projekt hat langfristige Folgen und Kosten, die eigentlich in einer öffentlichen Diskussion thematisiert werden sollten“, sagt die Politikwissenschaftlerin, die auch Beraterin der prowestlichen Regierung von Kiril Petkow war.

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Er war im Dezember 2021 mit seiner Partei „Wir setzen den Wandel fort“ als Überraschungssieger aus den Wahlen hervorgegangen und hatte eine aus vier Parteien bestehende Koalition geschmiedet, die allerdings schon im Juni 2022 durch ein Misstrauensvotum wieder gestürzt wurde, weshalb es dann im Oktober erneut Wahlen gab.

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Massive Hilfe für Kiew

Obwohl Bulgarien offiziell keine Waffen an die Ukraine lieferte, weil der damalige Koalitionspartner, die russlandfreundlichen Sozialisten, dies ablehnten, hat die Regierung Petkow gleich zu Beginn des russischen Angriffs Kiew massiv geholfen.

Das geht aus Recherchen der „Welt“ hervor, wonach Bulgarien sehr früh Munition und Rüstungsgüter in Milliardenhöhe lieferte, die über Zwischenhändler auf indirektem Weg von Rumänien und Polen aus in die Ukraine gelangten.

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

„Unbemerkt exportierte Bulgarien zudem Diesel in die Ukraine und sicherte so zwischen April und August bis zu 40 Prozent des Bedarfs der Panzer und Fahrzeuge von Kiews Armee“, heißt es in dem Bericht, der als Quellen Ex-Premier Petkow und den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba nennt.

Ninowa muss es gewusst haben

Die Chefin der bulgarischen Sozialisten und damalige Vizepremierministerin Kornelia Ninowa muss davon gewusst haben, denn als Ministerin für Wirtschaft war sie auch für den Waffenhandel zuständig. Auf eine parlamentarische Anfrage bestätigte Ninova, dass der Rüstungsexport vom 1. März bis 30. Juni 2022 im Vergleich zum Vorjahr um das Dreifache gestiegen war, berichtete die „Deutsche Welle“.

Bulgarien Rüstungsfirmen aus der Zeit des Kommunismus können in großem Umfang Munition für Waffen sowjetischer Bauart oder deren Nachfolger liefern.

Deutsche Patriot-Raketen-Einheit nach Polen aufgebrochen: „Angst habe ich nicht, aber Respekt“

Ein Raketeneinschlag mit zwei Toten in Polen war der Auslöser: Die Bundeswehr hilft dem Nato-Partner Polen beim Schutz seines Luftraums. Konkret sind es die Soldaten und Soldatinnen der Flugabwehrraketengruppe 24 aus Mecklenburg-Vorpommern, die mit ihren Patriots verhindern sollen, dass sich so etwas wiederholt.

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Mittlerweile hat sich Bulgarien Ende 2022 mit dem von Staatschef Radew eingesetzten Übergangskabinett nach langem politischen Streit auch für ein erstes offizielles militärisches Hilfspaket für die Ukraine entschieden.

Umfragen zeigen, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung in Sorge ist, dass Bulgarien durch die Lieferung von Waffen direkt in den Krieg verwickelt werden könnte.

Vom Piloten zum Staatschef

Davor warnte auch Staatschef Radew immer wieder, der 2016 als Unabhängiger für die Bulgarische Sozialistische Partei (BSDP) antrat und seit Januar 2017 in der nunmehr zweiten Amtsperiode bulgarischer Präsident ist.

Der ausgebildete Kampflugzeugpilot und ehemalige Befehlshaber der Luftstreitkräfte hat in den 1990er-Jahren eine Zusatzausbildung in den USA absolviert, stand bis zum Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine aber für engere Beziehungen Bulgariens zu Russland.

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Sofia hatte zu Sowjetzeiten eine sehr enge Bindung an Moskau, nicht zuletzt, weil Russland als Befreier vom türkischen Joch gilt, unter dem das christliche Bulgarien 500 Jahre gelitten hatte. Im Russisch-Türkischen Krieg 1877/78 siegten die Russen und drängten die Türken bis kurz vor Istanbul zurück.

Putins Ansehen ist gesunken

Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts „Alpha Research“ ist jedoch das Vertrauen der Bulgaren in Russlands Präsident Wladimir Putin schon in den ersten Kriegstagen auf 32 Prozent und später auf 25 Prozent gefallen.

„Viele Bulgaren haben Russland gegenüber große Sympathie“, sagt Tcherneva, „aber der brutale Angriffskrieg gegen die Ukraine hat vielen doch auch verdeutlicht, dass Russland heutzutage ein Aggressor ist.“

Gas kommt jetzt aus Griechenland

Als Russland im Frühjahr 2022 seine Gaslieferungen an Bulgarien einstellte, hätten viele Menschen Angst gehabt. Mittlerweile habe sich jedoch das Gefühl durchgesetzt, dass das Leben auch ohne russisches Gas weitergeht.

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Bulgarien hat zwischenzeitlich Flüssiggas (LNG) aus den USA bekommen, und im Herbst ist eine neue Pipeline in Betrieb gegangen, die Gas aus aserbaidschanischer Produktion über Griechenland auf den Balkan bringt und den gesamten Bedarf des Landes deckt.

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