Bundespräsident Steinmeier auf Mutmach-Tour an der Neiße

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) und seine Frau Elke Büdenbender werden bei ihrer Ankunft im Siemens Turbinenwerk von Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, begrüßt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) und seine Frau Elke Büdenbender werden bei ihrer Ankunft im Siemens Turbinenwerk von Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, begrüßt.

Görlitz/Ostritz. Ein Mix aus Sonne und Wolken über Görlitz. Und dazu fast 20 Grad Celsius. Christoph Schulze schaut in den Himmel. „Wie gemacht für den Anlass“, sagt der Vize-Betriebsratschef des Turbinenwerks. Es ist ein großer Tag für das Werk, denn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dessen Ehefrau Elke Büdenbender haben sich angesagt - begleitet von einem Großaufgebot Medienvertretern.

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Einen ganzen Tag lang will Steinmeier Ostsachsen bereisen, ist bei den Mitarbeitern im Siemens-Werk und anschließend bei Kommunalpolitikern. Ferner besucht er ein Begegnungszentrum in Großhennersdorf und trifft sich zwischendurch mit Ehrenamtlichen in Ostritz. Vielleicht ist das Medieninteresse auch deshalb so groß. Ostritz an der sächsisch-polnischen Grenze ist zum neuen Treffpunkt von Neonazi-Veranstaltungen geworden. Die Region will das nicht unwidersprochen hinnehmen und protestierte zuletzt an diesem Wochenende mit einem Friedenslauf dagegen.

Kurz nach halb Zehn rollen mehrere schwarze Limousinen auf dem Werksgelände vor. Steinmeier steigt freudestrahlend aus und begrüßt versammelte Kommunalpolitiker und Siemens-Vertreter. Görlitz ist bekannt für seine wunderbar erhaltenen Straßenzüge, die vielfach schon als Filmkulisse dienten. Das Siemens-Werk steht dem nicht nach. Neben neuen Industriehallen künden sanierte Backsteingebäude von einer Werksgeschichte, die mehr als hundert Jahre zurückreicht.

Steinmeier zu Besuch bei Siemens

Erster Halt bei seinem Rundgang ist die Turbinen-Schaufel-Fertigung. Computergesteuerte Maschinen fräsen aus Stahlblöcken Schaufeln für Dampfturbinen der unterschiedlichsten Art und Größe. „Die kleinsten Schaufeln sind fünf Zentimeter, die größten bis zu 1,90 Meter“, erklärt Siemens-Sprecherin Elke Fuchs. Eingesetzt werden die Turbinen unter anderem als Kompressoren in der Chemie oder in Generatoren zur Stromerzeugung. Torsten Mikonya erklärt dem Bundespräsidenten an einem Schaubild die Bearbeitung des Stahls und den Einzug der Digitalisierung. Der Steinmeier-Besuch sei für ihn und seine Kollegen ein „herausragendes Ereignis“. Seit 1985 ist der Schichtleiter im Görlitzer Werk tätig, „aber so hohen Besuch hatten wir noch nie“, zeigt sich der 50-jährige Familienvater angetan.

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Steinmeier macht bei seinem Rundgang an mehreren derartigen Schautafeln halt, die die Zukunftsfähigkeit des Betriebs aufzeigen sollen. Die Presse darf hier nicht mit, aus Geheimhaltungsgründen. Man befinde sich im Wettbewerb mit Konkurrenten aus aller Welt, sagt Betriebsratsvize Scholze, der zugleich Innovationsmanager am Standort ist. Längst schon fertigen die Görltizer nicht nur Dampfturbinen für die Braunkohleverstromung. Das Werk ist breit aufgestellt, erklärt Scholze. Wasserstoff, Drei-D-Druck, Energiespeicher - mit all dem beschäftige man sich seit Längerem. Das habe auch eine wichtige Rolle beim Erhalt des Standortes gespielt. „Wir in Görlitz haben uns ständig neu erfinden müssen.

15.10.2018, Sachsen, Görlitz: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l) und seine Frau Elke Büdenbender (l) und Michael Kretschmer (M, CDU), Ministerpräsident von Sachsen, sprechen beim Besuch des Görlitzer Siemens Turbinenwerkes mit den Mitarbeitern. Unter dem Motto "Land in Sicht · Zukunft ländlicher Räume" bereist der Bundespräsident ländlich geprägte Regionen in Deutschland. Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

15.10.2018, Sachsen, Görlitz: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l) und seine Frau Elke Büdenbender (l) und Michael Kretschmer (M, CDU), Ministerpräsident von Sachsen, sprechen beim Besuch des Görlitzer Siemens Turbinenwerkes mit den Mitarbeitern. Unter dem Motto "Land in Sicht · Zukunft ländlicher Räume" bereist der Bundespräsident ländlich geprägte Regionen in Deutschland. Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Das hat letztlich auch Joe Kaeser überzeugt“, meint Scholze. Der Siemens-Konzern-Chef hatte noch im November vergangenen Jahres den Wegfall Tausender Stellen weltweit verkündet, darunter auch die Schließung des Werks an der Neiße. Das habe eine Welle der Entrüstung ausgelöst, was letztlich in einem kreativen Arbeitskampf mündete. Aber der massive Protest gegen die Schließungspläne allein sei es nicht gewesen, der Kaeser zum Umdenken bewegt habe. „Wir konnten überzeugend darlegen, dass wir die richtigen Antworten haben auf industrielle Anforderungen, auch und gerade im Rahmen der Energiewende“, so der Görlitzer Scholze. Er spricht von der DNA, vom innovativen Geist am Standort. Schon heute liefere man keine Standardprodukte mehr, sondern entwickle beim Kunden nach dessen Wunsch und Erfordernissen. „Keine unserer Turbinen gleicht einer anderen.“

Steinmeier zeigt sich nach seinem Rundgang beeindruckt. Er habe den Prozess um die Schließungspläne verfolgt und sei froh, dass sich Gewerkschaft, Betriebsrat und Management geeinigt haben, das Siemens-Werk fortzuführen und den überwiegenden Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Das sei ein wichtiges Signal für Görlitz, die Mitarbeiter und ihre Familien, aber auch für die Region. Steinmeier erwähnte auch den Abbau von 170 Arbeitsplätzen in den nächsten zwei Jahren als Teil des Interessenausgleichs. Das sei schmerzlich. Jetzt gehe es darum, den Standort langfristig zukunftsfähig zu machen. Er sei zuversichtlich, dass das gelingen werde.

Auf den Ausgang der Bayern-Wahl angesprochen, sagte der Bundespräsident, er sei überzeugt, dass die Parteien verantwortungsvoll mit dem Ergebnis umgehen werden. „Es sind große Veränderungen, die sich in diesem Wahlergebnis niederschlagen.“ Welche Schlüsse daraus für den Bund und die politische Debatte insgesamt zu ziehen seien, das müssten die Verantwortlichen in den Parteien miteinander diskutieren. Sagt es und fährt zum nächsten Termin seine Ostsachsen-Tour unter dem Motto „Land in Sicht“.

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Sachsen lebendiger als sein Ruf

Im Landratsamt tragen sich der Präsident und First Lady Elke Büdenbender in die goldenen Bücher von Stadt und Kreis ein, dann sagt Steinmeier Grundsätzliches über seine Reisen durch die Provinzen: „Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass es ganz entgegen dem öffentlichen Eindruck keineswegs Depression gibt, es sind auch keineswegs entleerte Räume. Hier ist viel mehr los als die Öffentlichkeit weiß.“

Vor dem Aufbruch nach Ostritz bestätigt Steinmeier noch seinen Besuch in Chemnitz am 1. November. Er will dort die in Berlin erprobte „Kaffeetafel“ aufbauen, um ins Gespräch zu kommen. Dass das gerade in Chemnitz nicht einfach wird, weiß der Präsident. „Manche wollen nicht zuhören. manche wollen nicht sprechen, sondern einfach nur Recht behalten. Aber ein Gesprächsangebot müssen wir immer machen.“ Steinmeier stapelt tief in den AfD-Hochburgen Sachsens. Aber er zeigt sich unbeirrt.

Nächster Halt: Ostritz

Vor dem Eiscafé am Ostritzer Marktplatz sitzt einer, der nörgelt. Der Steinmeier könne ruhig wegbleiben, das schaffe nur Unruhe, sagt er und blinzelt in die Oktobersonne. Gegenüber, vor dem Rathaus, erzählt Bürgermeisterin Marion Prange dem Präsidenten von ihrem Kampf gegen die Neonazis. Sie spricht vom Friedenslauf am vergangenen Wochenende und dem Friedensfest auf dem Marktplatz in drei Wochen. Denn dann werden unten, im Hotel Neisseblick, wieder die Neonazi-Bands auftreten und NPD-Größen von Uwe Voigt bis Thorsten Heise sprechen. Die schmucke 2300-Einwohner-Kleinstadt an der Neiße zwischen Görlitz und Zittau ist zum neuen Wallfahrtsort für Rechtsextreme geworden. Aber den Marktplatz sollen sie nicht kriegen, sagt Prange. „Dann müssen wir wieder unsere Fahrzeuge wegfahren und alles ist abgesperrt“, schimpft der Nörgler auf der anderen Platzseite über das Friedensfest. „Was da unten im Hotel passiert, stört hier keinen“, schiebt er nach.

Die Zivilgesellschaft in der Provinz zu stärken ist ein hartes Brot. Und Steinmeier, am Montag in Begleitung von First Lady Elke Büdenbender und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), schwärmt aus, um Mut zu machen. „Land in Sicht“, heißt die Reihe, er war schon in der Uckermark und im bayerischen Wald, nächste Woche geht es in die von Truppenabzug und Strukturwandel gebeutelte Südwestpfalz. Diese Reisen gehören zu Steinmeiers liebsten Verpflichtungen, der Präsident ist sein eigener Heimatminister. In Görlitz, nach dem Eintrag in die goldenen Bücher von Stadt und Kreis sagt Steinmeier Grundsätzliches über seine Reisen durch die Provinzen: „Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass es ganz entgegen dem öffentlichen Eindruck keineswegs Depression gibt, es sind auch keineswegs entleerte Räume. Hier ist viel mehr los als die Öffentlichkeit weiß.“

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„Niemand darf sich an die Seite von Hetzern stellen“

In Ostritz besucht Steinmeier die „Schkola“, die freie Schule ist die einzige am Ort. Er spricht mit engagierten Ostritzern wie Michael Schlitt vom Internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal. Schlitt veranstaltet die Friedensfeste. „Jedes Mal, wenn die Rechtsextremen nach Ostritz kommen, organisieren wir eine Gegenveranstaltung“, sagt er trotzig und schiebt hinterher: „Wir sind ein kleiner Verein, es ist nicht so einfach, das drei Mail pro Jahr zu machen.“ Kretschmer hat er erneut als Schirmherrn gewinnen können, nun hofft er auf Unterstützung Steinmeiers. „Der Bundespräsident kann uns helfen, dass wir noch bekannter werden. Das er heute vorbeikommt, ist schon einmal ein tolles Zeichen.“

Bei Steinmeier hat Schlitt damit einen Nerv getroffen. Später, vor Ehrenamtlern in Großhennersdorf, sagt der Präsident: „Niemand darf sich an die Seite von Hetzern stellen, die andere Menschen bedrohen, verächtlich machen und ihrer Würde berauben. Man kann in Deutschland auch seine Meinung sagen, seine Unzufriedenheit äußern, ohne Verfassungsfeinden hinterherzulaufen. Jeder Einzelne ist gefordert, für die Grundlagen unseres friedlichen Zusammenlebens einzutreten, und, ja, sie zu verteidigen, wenn es Not tut.“

Steinmeier bei Kaffeetafel in Chemnitz

Am 1. November wird Steinmeier Chemnitz besuchen. Er will dort die in Berlin erprobte „Kaffeetafel“ aufbauen, um ins Gespräch zu kommen. Dass das gerade in Chemnitz nicht einfach wird, weiß der Präsident. „Manche wollen nicht zuhören, manche wollen nicht sprechen, sondern einfach nur Recht behalten. Aber ein Gesprächsangebot müssen wir immer machen.“ Steinmeier stapelt tief in den AfD-Hochburgen Sachsens. Aber er zeigt sich unbeirrt.

Und wenn es gute Nachrichten gibt, nimmt er sie mit. Etwa diejenige, dass das vor einem Jahr noch von Schließung bedrohte Siemens-Werk in Görlitz nun vorerst gerettet ist. Einen Vormittag nimmt sich der Präsident für den Werksbesuch Zeit. Steinmeier zeigt sich nach seinem Rundgang beeindruckt. Er habe den Prozess um die Schließungspläne verfolgt und sei froh, dass sich Gewerkschaft, Betriebsrat und Management geeinigt haben, das Siemens-Werk fortzuführen und den überwiegenden Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Das sei ein wichtiges Signal für Görlitz, die Mitarbeiter und ihre Familien, aber auch für die Region. Steinmeier erwähnte auch den Abbau von 170 Arbeitsplätzen in den nächsten zwei Jahren als Teil des Interessenausgleichs. Das sei schmerzlich. Jetzt gehe es darum, den Standort langfristig zukunftsfähig zu machen. Er sei zuversichtlich, dass das gelingen werde.

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Von Andreas Dunte und Jan Sternberg / RND

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