Jahresbericht der Wehrbeauftragten

Pistorius will mit neuem Soldatengesetz Rechtsextremismus in der Truppe bekämpfen

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sitzt auf der Regierungsbank bei der Vorstellung des Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten bei der 97. Sitzung des Deutschen Bundestag.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sitzt auf der Regierungsbank bei der Vorstellung des Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten bei der 97. Sitzung des Deutschen Bundestag.

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Berlin. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat während der Debatte über den Bericht der Wehrbeauftragten eine Novelle des Soldatengesetzes in Aussicht gestellt. Gerade mit Blick auf Fälle von Rechtsextremismus in der Truppe soll der neue Entwurf Abhilfe schaffen.

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Man wisse, dass es diese Fälle gibt, so Pistorius, „leider“. „Aber ich sage auch, der überwiegende Teil der Truppe steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes, sie sind gut ausgebildet und wissen, für welche Werte sie einstehen“, so der SPD-Politiker. Mit der Gesetzesnovelle wolle man die Bedingungen für Soldatinnen und Soldaten verbessern und dafür sorgen, dass „diejenigen, die nachweislich gegen unsere Verfassung arbeiten und sie ablehnen schneller aus dem Dienst entfernt werden können“, so Pistorius. Die Reform des Soldatengesetzes solle noch in den kommenden Wochen vor der Sommerpause oder direkt danach eingebracht werden, versprach der Minister.

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Die Fälle von Rechtsextremismus „erfordern weiterhin unsere volle Aufmerksamkeit“, sagte auch Högl bei der Debatte im Parlament. 2022 seien die Fälle im Vergleich zum Vorjahr zwar gesunken. Doch die Verfahren zu diesen Vergehen dauerten noch zu lange, kritisierte die Wehrbeauftragte. Högl hatte in ihrem Jahresbericht darauf hingewiesen, dass in der vergangenen Legislaturperiode das Vorhaben nicht umgesetzt wurde, bei besonders schweren Fällen eine vereinfachte Entlassung innerhalb der ersten acht Dienstjahre möglich zu machen. Aktuell kann laut Paragraf 55 Absatz 5 ein Soldat oder eine Soldatin auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn sein oder ihr Verbleiben das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.

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„Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber in den Reihen der Sicherheitsbehörden ist es ein noch größeres Problem“, erklärte die Grünen-Abgeordnete Merle Spellerberg im Bundestag. Die Dringlichkeit sehe man auch an der Razzia im „Reichsbürger“-Milieu in den vergangenen Monaten, bei denen auch aktive und ehemalige Mitglieder von Sicherheitsbehörden festgenommen wurden. Dennoch: Man erwarte von den Bundeswehrangehörigen, „dass sie für unser liberales Wertesystem einstehen. Im Gegenzug sollten sie sich darauf verlassen können, dass wir uns ausreichend einsetzen für ihren Schutz.“

Pistorius will Verteidigungsministerium neu organisieren

Zudem erneuerte Pistorius seine Ankündigung, die Strukturen im Verteidigungsministerium zu verschlanken. Die Mitarbeitenden im Bendlerblock seien fähig, so Pistorius. Sie arbeiteten hart und mit Hingabe. Aber: „Wenn die Leute gut sind, aber die Ergebnisse sind es nicht, dann stimmen vielmehr die Strukturen und Abläufe nicht und müssen verändert werden.“ Man wolle nicht noch mehr Bürokratie und Posten schaffen, sondern für ein gemeinsames Denken, Führen und Entscheiden sorgen. „Ich will die Zeitenwende schneller und kraftvoller umsetzen und auch sichtbar in der Struktur unseres Hauses machen“, kündigte der Verteidigungsminister an.

Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, spricht im Deutschen Bundestag.

Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, spricht im Deutschen Bundestag.

„Russlands Krieg ändert alles, auch und vor allem für die Bundeswehr“, stimmte Pistorius mit einer Kernaussage des Wehrberichts überein. Angesichts dessen wolle man auf das bauen, was die Truppe stark mache: die Frauen und Männer in der Bundeswehr. Högls Bericht helfe dabei, Schwachstellen zu erkennen und besser zu werden. „Er ist damit auch unverzichtbarer Teil der Zeitenwende.“

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Högl: „Die 100 Milliarden Euro allein werden nicht ausreichen“

In ihrem Bericht hatte die Wehrbeauftragte das langsame Tempo hin zu einer vollständigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr kritisiert. „Zwar sind die ersten Projekte auf dem Weg. Doch ist bei unseren Soldatinnen und Soldaten 2022 noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen. Zu behäbig ist das Beschaffungswesen“, schreibt die SPD-Politikerin in dem Bericht, der Mitte März vorgestellt wurde. „Die Lastenbücher der Truppe sind voller geworden, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht.“

Angesichts der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine plädierte Högl zudem auf einen Finanzierungsrahmen für die Truppe, der weit über das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen hinausgehe. „Die 100 Milliarden Euro allein werden nicht ausreichen, sämtliche Fehlbestände auszugleichen, dafür bedürfte es nach Einschätzung militärischer Expertinnen und Experten einer Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro.“ Jetzt aber gehe es spürbar voran, sagte Högl am Donnerstag im Bundestag. Besonders die Ausgaben von 2,4 Milliarden Euro für die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten kämen bei der Truppe an.

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Dennoch: „Unsere Bundeswehr hat von allem zu wenig“, stellte die Wehrbeauftragte fest. Das Geld des Sondervermögens müsse nun zügig und spürbar bei den Soldatinnen und Soldaten ankommen. Denn im vergangenen Jahr sei davon „leider“ noch nichts ausgegeben worden, erklärte Högl.

Mit Blick darauf erklärte die CDU-Abgeordnete Kerstin Vieregge, dass der Berichts als „Warnung vor dem Weiter so“ zu verstehen sei. „Das zweite Jahr der Zeitenwende darf nicht verschlafen werden wie das erste“, forderte das Mitglied des Verteidigungsausschusses. Für die anstehenden Haushaltsverhandlungen wünsche ihre Fraktion dem Verteidigungsminister „viel Kraft“, um mehr Geld für die Bundeswehr zu erstreiten. Der CSU-Abgeordnete Florian Hahn nannte den Wehrbericht „alarmierend“.

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„Die Herausforderung beim Personal ist noch größer als beim Material“

Bereits Anfang April forderte Högl außerdem, sich bei der Stärkung der Bundeswehr neben dem Material auch auf die Personalgewinnung zu fokussieren. „Das Verteidigungsministerium verfolgt das Ziel, dass die Bundeswehr von aktuell rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 bis zum Jahr 2031 wächst“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Ich halte das für nicht erreichbar.“

Högl verwies auf einen Rückgang bei den Bewerbungen und eine hohe Abbrecherquote bei den Rekrutinnen und Rekruten. „Die Herausforderung beim Personal ist noch größer als beim Material“, sagte sie. Auf einem Arbeitsmarkt, der dringend Leute suche, sei die Bundeswehr schwer unter Druck. „Ein Problem ist es aber, wenn Interessierte sich bewerben und dann ein Jahr lang nichts vom Karrierecenter der Bundeswehr hören. Das können wir uns in keinem einzigen Fall erlauben“, sagte Högl.

Im Bundestag machte Högl zudem deutlich, dass Übergriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung in der Truppe noch immer Sorge bereite. Im vergangenen Jahr habe es allein 34 Eingaben sowie 357 meldepflichtige Ereignisse gegeben. 80 Prozent der Betroffenen seien Frauen, machte Högl deutlich. Auch dieser Umstand sei ausschlaggebend dafür, ob sich Frauen für die Bundeswehr interessierten.

mit Material von dpa und epd

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