China: Wenn der Bierbrauverein zur „illegalen NGO“ erklärt wird
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Eine Überwachungskamera ist vor einer chinesischen Nationalflagge installiert (Archivbild).
© Quelle: epa Diego Azubel/EPA/dpa
Peking. Seit neun Jahren trifft sich die „Beijing Homebrewer’s Society“ (BHS) bereits regelmäßig in Pekinger Pubs, wo die zahlreichen Mitglieder über neue Craft-Beer-Sorten fachsimpeln und Tipps zum richtigen Bierbrauen austauschen. Die BHS ist eine lose organisierte Truppe junger Menschen, die vor allem eins verbindet: die Liebe zum kühlen Blonden.
Eigentlich recht harmlos, oder? In Chinas Hauptstadt sieht die Staatsmacht dies jedoch anders: Seit dem Wochenende nämlich wird die BHS als „illegale NGO“ geführt und ist mit einem zehnjährigen Verbot belegt. Zuvor hatte ein Hobbyblockwart – mutmaßlich ein konkurrierender Wirt – die Gruppe bei den Behörden angeschwärzt.
Diese fanden schließlich heraus, dass die Bierbrauergemeinschaft keine offizielle Regierungsgenehmigung führte – eine Lizenz, die so schwer zu bekommen ist, dass die Gruppe es nach Jahren vergebener Mühe irgendwann aufgegeben hatte.
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Auf sozialen Medien sorgt der – auch für chinesische Verhältnisse absurde – Fall für eine Mischung aus Verwirrung, Spott und Trauer. „Wir entfernen uns immer weiter von einer Zivilisation“, kommentiert ein User auf der Onlineplattform Weibo. Ein anderer, offensichtlich patriotischer Nutzer meint: „NGOs, die mit sogenannten Menschenrechten oder demokratischen Werten rumalbern, sollen sich natürlich auflösen. Aber wieso sollte man Gruppen verbieten, die sich mit Getränken auseinandersetzen?“
Fall zeigt hochpolitisiertes Gesellschaftsklima
Man könnte den Vorfall als rein kafkaesken Auswuchs der Pekinger Bürokratie abbuchen. Doch er lässt sich auch als Parabel lesen über das hochpolitisierte Gesellschaftsklima in der chinesischen Hauptstadt, das keinen Platz mehr lässt für soziale Freiräume abseits staatlicher Kontrolle. Ein Klima voll Paranoia, in dem unbescholtene Durchschnittsbürgerinnen und -bürger rasch unter Verdacht geraten und andere zu übereifrigen Blockwarts mutieren.
Für das Auge ersichtlich manifestiert sich jenes Klima nirgendwo so deutlich wie in der Pekinger Stadtplanung. Chinas Hauptstadt hat sich zunehmend abgeschottet: Die Universitätsgelände – früher beliebt für Tagesausflüge – bleiben Besucherinnen und Besuchern versperrt, staatliche Museen lassen sich ausschließlich nach vorheriger Registrierung inklusive Sicherheitscheckpoint betreten und praktisch jeder Quadratkilometer wird von Überwachungskameras durchleuchtet.
Praktisch alle Wohnanlagen werden zudem von hohen Mauern umzäunt und von Nachbarschaftskomitees in schwarzen Uniformen bewacht. Seit der Pandemie messen sie die Körpertemperatur eines jeden Einwohners und einer jeden Einwohnerin und fragen unregistrierte Besucher nach ihrem Ausweis. Vor über drei Jahrzehnten waren es ebenjene Nachbarschaftskomitees, die den Behörden beim Aufspüren der Studentenaktivistinnen und -aktivisten vom Tiananmen-Platz halfen.
Technologie beflügelt Stasi-Mentalität
Doch die technologische Entwicklung hat die Stasi-Mentalität noch weiter beflügelt. Allein in Chaoyang, dem mit 3,5 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadtteil Pekings, gibt es laut Medienberichten 130.000 registrierte Mitglieder einer Bürgerwehr, die sich als freiwillige Polizeihelfer verstehen – und beim Finden von Dieben, Drogendealern und „verdächtigen Personen“ helfen. Die lokale Polizeibehörde vom Bezirk Chaoyang hat für ihre Unterstützerinnen und Unterstützer bereits vor vier Jahren eine eigene App programmiert, auf der sie jedes Jahr Tausende Hinweise erhält.
Erst Ende letzter Woche sorgten die zivilen Ordnungshüter für ihren prominentesten Fang: Sie meldeten der Polizei „Verdacht auf Prostitution“ in einem Wohnkomplex, in dem die herbeigeeilten Polizisten schließlich den 39-jährigen Starpianisten Li Yundi mit einer zehn Jahre jüngeren Prostituierten fanden.
Auf dem Weibo-Account outete die Polizei den mutmaßlich kriminellen Star auf besonders höhnische Weise. Sie postete ein Foto mit einer Klaviertastatur und versah das Bild mit der Unterschrift: „Die Welt ist nicht einfach schwarz und weiß, aber man muss schon zwischen schwarz und weiß unterscheiden können.“
Und das chinesische Büro für öffentliche Sicherheit hat erst im März dieses Jahres eine „Anti-Betrugs-App“ veröffentlicht, um gegen Phishinganrufe und andere Hochstapelei vorzugehen. Doch die App, die unter anderem Anrufe und Textnachrichten in Echtzeit aufzeichnet, hat auch dazu geführt, dass chinesische Nutzerinnen und Nutzer von lokalen Polizeibeamten zum Verhör gebeten wurden, weil sie bestimmte ausländische Nachrichtenseiten auf ihrem Handy aufgerufen haben.
Erst am Dienstag, so erzählt ein Bewohner aus dem südchinesischen Guangdong, sei er beim Besuch der örtlichen Polizeiwache dazu aufgefordert worden, die umstrittene App auf seinem Smartphone zu installieren. „Wenn nicht, können wir Ihnen bei Ihrem Anliegen nicht helfen“, sagte einer der Beamten. Erst nach einer langwierigen Diskussion ließen sie den Bürger auch ohne App auf die Wache.