Chinas Nationaler Volkskongress: Xi Jinping und sein riesiges Scheinparlament
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Chinas Staatsoberhaupt Xi JInping.
© Quelle: picture alliance / Xinhua News Agency
Peking. Wie jedes Jahr bereitet sich die chinesische Hauptstadt in den ersten Märztagen auf den nahenden Volkskongress vor: Zehntausende Mitglieder der Nachbarschaftskomitees zeigen demonstrative Präsenz auf den Straßen, die Polizei hat an sämtlichen Brücken der Innenstadt kleine Wachposten unter Zeltplanen errichtet, und die Internetzensoren legen dieser Tage Sonderschichten ein.
Der Nationale Volkskongress, die alljährliche Tagung des chinesischen Scheinparlaments, ist ein ritualisiertes Politereignis von immenser Dimension: Knapp 3000 Abgeordnete aus allen Provinzen reisen für die zweiwöchige Veranstaltung nach Peking an. Gemeinsam mit ihren Sekretären und den Mitgliedern der gleichzeitig stattfindenden Konsultativkonferenz dürften sich deutlich über zehntausend Besucher in der Hauptstadt befinden.
Die Gesetze, die sie während des Volkskongresses abnicken werden, liefern Beobachtern tiefe Einblicke in Chinas politische und wirtschaftliche Stoßrichtung der künftigen Monate. Und dieses Jahr ist obendrein ein ganz besonderes: Denn Xi Jinping wird seine beschlossene dritte Amtszeit nun formell beginnen – und dabei auch seine neue Führungsriege an loyalen Jasagern vorstellen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der neuen Nummer zwei des Landes: Li Qiang, Parteisekretär von Shanghai, wird wohl als künftiger Premierminister die wirtschaftlichen Geschicke leiten. Der 63-Jährige gilt zwar einerseits als unternehmerfreundlich und pragmatisch, doch hat gleichzeitig auch den katastrophalen, zweimonatigen Lockdown in der wirtschaftlichen Hafenmetropole vor genau einem Jahr zu verantworten.
Eine fixe Kennzahl, die gleich am ersten Tag des Kongresses ausgegeben wird, ist das jährliche Wachstumsziel. Im dritten und finalen Jahr der „Null Covid“-Politik konnte dieses erstmals seit Langem nicht erreicht werden. Nun, nach der abrupten Corona-Öffnung, rechnen Experten damit, dass man für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von etwas über 5 Prozent ausgeben wird. „Das kann sich zwar durchaus sehen lassen, sollte aber im Grunde leicht zu erreichen sein“, sagt Trey McArver vom Analysehaus „Trivium China“. Die Botschaft sei deutlich: Man wolle zwar wieder zu solidem Wachstum zurückkehren, den Druck auf die Wirtschaft jedoch nicht allzu forcieren.
Wirtschaftliche Probleme in Aussicht
Doch die Erholung läuft nach anfänglichem Zögern nun gut an. Die aktuellen Daten haben sogar sämtliche Erwartungen übertroffen: Laut dem staatlichen Einkaufsmanagerindex ist das herstellende Gewerbe im Februar so rasant gewachsen wie seit einer Dekade nicht mehr, und auch die Exporte haben erstmals seit zwei Jahren wieder zugelegt. Dennoch sind die nachhaltigen Aussichten eher trübe: Die Immobilienkrise ist weiterhin nicht gelöst, die geopolitischen Spannungen mit den USA nehmen zu, und über dem langfristigen Aufstieg der Volksrepublik schwebt bereits das Damoklesschwert des demografischen Wandels. Von daher sind gemessen am derzeitigen Entwicklungsstadium 5 Prozent Wachstum für China eigentlich zu wenig, wenn es mittelfristig zu den führenden Industrienationen aufschließen möchte.
Zudem zeigen sich immer offener die Grenzen eines Marktes, der von einer zunehmend autoritären Partei überwacht wird: Das Vertrauen der internationalen Unternehmen wurde durch die radikalen und dogmatischen Corona-Lockdowns insbesondere des Vorjahrs angekratzt. Die heimischen Techkonzerne wurden durch politisch motivierte Regulierungskampagnen an die Kandare genommen.
Xi Jinping als Generalsekretär der KP China wiedergewählt
Xi Jinping erhält eine dritte fünfjährige Amtszeit und festigt seine Stellung als mächtigster Staatschef seit Mao Tse-tung.
© Quelle: Reuters
Und erst Mitte Februar ist einer der einflussreichsten Investmentbanker des Landes „verschwunden“. Über mehrere Wochen konnte Bao Fan, Gründer von „China Renaissance“, nicht einmal vom Firmenvorstand kontaktiert werden. Mittlerweile heißt es aus anonymen Kreisen, dass der 52-Jährige wohl wegen eines Korruptionsskandals von den Sicherheitsbehörden festgehalten wird – entweder als Informant oder aber als Beschuldigter.
Dass in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach wie vor regelmäßig CEOs von großen Unternehmen ohne rechtsstaatliche Grundlage verschwinden können, ist mit ein Grund dafür, warum ein Großteil der wirtschaftlichen Elite einen ausländischen Reisepass besitzt. Jack Ma, der wohl bekannteste und einst reichste Unternehmer Chinas, lebt laut Medienberichten mittlerweile in Japan, nachdem er sich in seiner Heimat in einer provokanten Rede mit dem staatlichen Bankensektor angelegt hatte.
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Als deutscher Kämpfer in der Ukraine: „Der Krieg ist vorüber, wenn ich die russische Grenze im Osten sehe“
Stefan ist früher in Afghanistan im Einsatz gewesen. Jetzt kämpft der Ex‑Bundeswehrsoldat in der Ostukraine gegen russische Besatzer. Er erzählt, wann der Krieg für ihn zu Ende ist – und was er Neonazis rät, die sich der internationalen Legion anschließen wollen.
Xi Jinping wird seinen Kurs der politischen Kontrolle weiter fortsetzen
Wer die jüngsten Signale aufmerksam verfolgt hat, wird keinen Zweifel daran hegen, dass Xi Jinping seinen Kurs der politischen Kontrolle weiter fortsetzen wird: Höchstwahrscheinlich wird der mächtigste Staatschef seit Mao Tsetung die ideologische Lehre noch tiefer in die Verfassung einschreiben, den Finanzsektor umstrukturieren und den Einfluss der Partei auch innerhalb der Privatwirtschaft ausbauen.
Der Kontrollwahn nimmt mittlerweile orwellsche Züge an: Erst Ende Februar hat der Staatsrat gemeinsam mit dem Zentralkomitee der KP eine Direktive zur „juristischen Bildung und Theorieforschung“ herausgegeben, die sich gleichermaßen an Juraprofessoren wie Wissenschaftler richtet. Darin wird eine „entschlossene Opposition und Boykott“ von „falschen westlichen Konzepten“, etwa „Gewaltenteilung“, „Konstitutionalismus“ und „Unabhängigkeit der Justiz“, aufgerufen. „Denn diese Prinzipien sind eine direkte Herausforderung für die Parteikontrolle“, kommentiert James M. Zimmerman, ein seit Jahrzehnten in Peking ansässiger Anwalt, auf Twitter.
Dieser Tage lässt sich leicht vergessen, dass sich Chinas Politapparat noch vor nicht allzu langer Zeit deutlich pluralistischer und liberaler gerierte als unter Xi Jinping. Beim internationalen Volkskongress wurde zwar noch nie ein Gesetz abgelehnt, doch die „nordkoreanisch“ anmutenden Abstimmungsergebnisse von bis zu 100 Prozent Zustimmung waren nicht immer die Norm. Als die Abgeordneten Anfang der 90er-Jahre etwa über den umstrittenen Bau des Drei-Schluchten-Staudamms abstimmten, gab es nicht nur über 170 Gegenstimmen, sondern auch mehr als 600 Enthaltungen – heute wäre dies undenkbar.
Auch dass sich die Nachrichtenkorrespondenten wie früher frei auf dem Gelände des Volkskongresses bewegen und auch spontan Abgeordnete auf ihrem Weg in die Große Halle des Volkes ansprechen konnten, dürfte der Vergangenheit angehören. Wer als Medienvertreter auf der Zuschauertribüne Platz nehmen möchte, muss sich bereits am Vortag in Quarantäne begeben. Erneut bietet die – offiziell in China „besiegte“ – Corona-Pandemie einen bequemen Vorwand, um die politische Elite vor kritischen Fragen abzuschirmen.