Corona-Krise: Die Türkei zwischen Pandemie und Pleite
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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei
© Quelle: imago images/Xinhua
Geschlossene Geschäfte, ausgestorbene Einkaufsstraßen, verwaiste Plätze, leere Strände: Auch in der Türkei hinterlässt Covid-19 dramatische Spuren. In wenigen Ländern breitet sich das Coronavirus derzeit so rasant aus wie dort. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einem „dramatischen Anstieg der Infektionen“. Am Montagabend stieg die Zahl der gemeldeten Fälle auf 90.980. Damit hat die Türkei nun bei den festgestellten Infektionen China überholt und ist in der Weltrangliste auf Platz 7 vorgerückt, gleich hinter Großbritannien.
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Lange spielte die Regierung in Ankara die Gefahr herunter. Staatschef Erdogan sträubte sich gegen die von den Fachleuten geforderten Kontaktsperren, aus Sorge um die ohnehin angeschlagene Wirtschaft. Inzwischen räumt auch Erdogan ein, dass die Epidemie „ernste ökonomische Folgen“ haben wird. Um die weitere Ausbreitung des Virus zu bremsen, erließ die Regierung ab Donnerstag eine viertägige Ausgangssperre für Istanbul sowie weitere 30 Städte und Provinzen.
Kapitalabflüsse in Milliardenhöhe
Die Epidemie lähmt die Wirtschaft. Der Tourismus, der rund zwölf Prozent zum türkischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt, steht still. Auch die türkische Automobilindustrie, der wichtigste Exporteur und ein bedeutender Devisenbringer des Landes, hat ihre Produktion heruntergefahren. Analysten erwarten, dass die türkische Wirtschaft in diesem Jahr um mindestens fünf Prozent schrumpfen wird.
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Ein türkischer Gesundheitsbeamter in Schutzausrüstung misst die Temperatur eines Anwohners mit Mundschutz auf einem Lebensmittelmarkt, wenige Stunden vor Beginn einer Ausgangssperre zur Eindämmung einer Ausbreitung des Coronavirus.
© Quelle: Uncredited/AP/dpa
Wie prekär die Lage ist, lässt sich am Kurs der türkischen Lira ablesen. Sie fiel am Dienstag gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit der schweren Währungskrise vom Sommer 2018. Einer der Gründe sind die massiven Kapitalabflüsse. Im ersten Quartal zogen Anleger rund 6,5 Milliarden Dollar aus der Türkei ab.
Hinter der Kapitalflucht stehen wachsende Sorgen vor drohenden Zahlungsschwierigkeiten des Landes. Zwar belaufen sich die Staatsschulden der Türkei nur auf rund 31 Prozent des BIP. Rechnet man aber die Auslandsschulden der türkischen Banken und Unternehmen hinzu, ist die Quote doppelt so hoch. In den kommenden zwölf Monaten müssen Staat und Unternehmen für den Schuldendienst 172 Milliarden Dollar aufbringen. Die Brutto-Devisenreserven und Goldbestände der Türkei belaufen sich aber nur noch auf knapp 90 Milliarden Dollar.
Hilfsabkommen mit dem IWF „nicht auf der Tagesordnung"
Die Türkei könnte zwar, wie schon in der schweren Finanzkrise von 2001, den IWF um Hilfskredite bitten. Erdogan, der den Fonds als „weltgrößten Kredithai“ beschimpft, will aber davon bisher nichts wissen. Er fürchtet die Spar- und Reformauflagen, die damit verbunden wären. Sein Sprecher Ibrahim Kalin versicherte jetzt, ein Hilfsabkommen mit dem IWF stehe „nicht auf der Tagesordnung der Türkei“. Viele Analysten glauben aber, dass Erdogan letztlich in den sauren Apfel beißen und IWF-Hilfen beantragen muss. Sonst könnte dem Land noch im Laufe dieses Jahres ein Zahlungsausfall drohen. Die Entwicklung in der Türkei gleicht der in Argentinien. Auch dort strangulierten hohe Dollarschulden die Wirtschaft. Die Ende Oktober 2019 gewählte neue Linksregierung von Präsident Alberto Fernandez lehnte Hilfe des IWF ebenfalls strikt ab. Jetzt droht dem Land der Staatsbankrott.