Coronavirus – Die Regeln der Krise

Europas größte Sorge: Dass Coronapatienten nicht mehr ausreichend versorgt werden können. Der Aufwand in den Intensivstationen – wie hier in Locarno in der italienischsprachigen Schweiz – ist groß.

Europas größte Sorge: Dass Coronapatienten nicht mehr ausreichend versorgt werden können. Der Aufwand in den Intensivstationen – wie hier in Locarno in der italienischsprachigen Schweiz – ist groß.

Es ist ein meisterlicher Spagat. Als sich der Ministerpräsident Bayerns am Montagmorgen vor die Kameras stellt, spricht er außergewöhnlich ruhig, langsam und bedacht – um dann nichts Geringeres zu verkünden als: “Wir rufen den Katastrophenfall aus.”

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Markus Söder sieht dabei, bei einer Pressekonferenz eher unüblich, direkt in die Kameras – als wolle er zu jedem Bürger persönlich durchdringen. Dann verliest er eine alphabetische Liste sämtlicher Einrichtungen, die geschlossen werden, von A wie Arbeitsämter bis Z wie Zoos. “Das gilt ab jetzt zu diesem Zeitpunkt”, erklärt der CSU-Politiker. Prescht Bayern unnötig vor? Oder wird das Beispiel Schule machen in ganz Deutschland?

Shutdown in Bayern

Nach der Einführung strenger Kontrollen an den Bundesgrenzen, nach Veranstaltungs- und Versammlungsverboten allerorten, greift die bayrische Staatsregierung zu einem Mittel, das in der Regel bei Naturkatastrophen zum Einsatz kommt – normalerweise aber beschränkt sich die Ausrufung des Katastrophenfalls auf einzelne Regionen. Ab sofort aber lebt Bayern mit dem Shutdown: Der öffentliche Betrieb ist wegen der Coronapandemie heruntergefahren. Damit aber die Grundversorgung sichergestellt bleibt, wird im Gegenzug das strenge bayrische Ladenschlussgesetz für Lebensmittelhändler gelockert.

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Es geht nun ums Wesentliche: die Gesundheits- und Nahrungsversorgung, das Aufrechterhalten des Systems – und gleichzeitig das Aufhalten massenhafter Neuinfektionen. Dafür werden beinahe stündlich neue Maßnahmen verkündet und mitunter kontrovers diskutiert.

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD), hat etwa die neuen Grenzkontrollen in Europa und damit auch in Deutschland kritisiert: “Das Virus macht vor Grenzen keinen Halt”, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). “Grenzschließungen sind allenfalls aus psychologischer Sicht und nur gegenüber stark betroffenen Ländern verständlich.” Laut Expertenmeinung sei es das Wichtigste, dass jede und jeder seine sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziere.

Ähnliche Debatten gibt es auf allen Ebenen, über die Schließung von Spielplätzen oder Restaurants oder eine Ausgangssperre, wie sie in Spanien gilt. Welche Maßnahme ist nötig, welche übertrieben? Wie lange sind sie notwendig? Professor Gérard Krause, Leiter der Abteilung für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, hat eine klare Antwort: Seiner Meinung nach läuft es gut mit dem Krisenmanagement in Deutschland. “Wirklich bewerten kann man das aber nur in der Rückschau”, betont der Epidemiloge, “und da reden wir von frühestens in einem Jahr.”

Im Moment würden alle Vorgaben darauf ausgelegt, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Ob sinnvoll oder übertrieben, “man darf nicht vergessen, dass ein Großteil aller Maßnahmen aktuell ergriffen wird, um Zeit zu gewinnen”. Es gehe vor allem darum, die Zahl der Infektionen über die Zeit zu strecken, um so auch die schweren Fälle über die Zeit zu verteilen. So sollen die Belastungen der Krankenhäuser gemindert werden.

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Das ist die große Angst: dass Kranke nicht mehr ausreichend versorgt werden können. Wie in Italien.

Die Zahl der Infektionen dort ist in einem so kurzen Zeitraum so rasant gestiegen, dass ältere Infizierte und solche mit schweren Vorerkrankungen nicht mehr angemessen behandelt werden konnten. Mehr als 1800 Menschen in Italien sind bereits am Covid 19-Virus gestorben, mehr als 25 000 sind infiziert. Italienische Verhältnisse sind auch für Deutschland nicht ausgeschlossen, sagt Epidemiologe Krause: “Wir befinden uns noch im aufsteigenden Teil der Infektionswelle.”

Mit vielen Partnern hat der Infektionsforscher während der weltweiten Ebolakrise ein hilfreiches Tool entwickelt: eine Echtzeitsoftware für die Überwachung von Ausbrüchen und Epidemien namens Sormas (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System). Es wird in Afrika bislang in 400 Distrikten mit über 80 Millionen Einwohnern genutzt – und kann nun Deutschland in der Coronakrise helfen. “Das Programm ist dafür gemacht, das Krisenmanagement der Gesundheitsämter zu unterstützen”, sagt Krause. Es helfe, Kontaktpersonen von Erkrankten zu identifizieren, zu kontaktieren, Verläufe zu dokumentieren – digital und mobil auch in entlegenen Regionen. Deutschland nutze zwar ein gutes digitales Meldesystem, bei dem aber das Kontaktpersonenmanagement noch nicht so ausgebaut sei, “deshalb haben wir nun eine spezielle Version von Sormas für deutsche Gesundheitsämter erstellt”.

Infektionsketten in Echtzeit

Sormas hilft den Ämtern ganz konkret bei der täglichen Abfrage von Symptomen. Vor allem, wenn aus einer Kontaktperson ein Patient wird, können die Infektionsketten dann in Echtzeit dargelegt werden. Ein Test läuft bereits in Hessen, die Nachfrage sei hoch, sagt Krause. “Wir wollen es rasch allen interessierten Gesundheitsämtern anbieten”, sagt Krause.

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Die Frage ist, wie lange es noch sinnvoll ist, ein engmaschiges Kontaktpersonenmanagement zu betreiben. Noch eine Weile, meint Krause: “Es hilft ja nicht nur, sämtliche Kontaktpersonen von Infizierten zu finden, sondern dann auch zu entscheiden: Um welche Personen müssen wir uns vorrangig medizinisch kümmern – und wen kann man sozusagen sich selbst überlassen, nachdem man ihn mit Informationen versorgt hat.”

Grundsätzlich gibt der Epidemiologe zu bedenken: Jede Maßnahme hat auch unerwünschte Wirkungen. Beispiel Grenzschließung: Will man in Kauf nehmen, dass auch Pendler, die im Gesundheitssystem im Grenzgebiet arbeiten, nicht mehr arbeiten können? Da gilt es abzuwägen. Auch EU-Parlamentarierin Barley betont: “Die Coronakrise stellt die europäische Solidarität und Zusammenarbeit auf die Probe. Die EU-Kommission muss und wird hier koordinieren.” Ob das gelingt, wenn schon die Koordination in Deutschland so schwierig ist?

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