Das Ende einer Ära: Angela Merkels schwerstes Jahr

Angela Merkel beim 31. Parteitag der CDU Deutschland in der Messe in Hamburg.

Angela Merkel beim 31. Parteitag der CDU Deutschland in der Messe in Hamburg.

Berlin. Ganz am Ende begegnen sich Angela Merkel und ihre Nachfolgerin auf der Bühne in den Hamburger Messehallen, sanft legt Merkel die Hände auf die Schultern von Annegret Kramp-Karrenbauer. Es folgt eine leichte, fast zärtliche Umarmung, die getragen ist von Rührung, Erleichterung und echter Freude.

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Wenn es so etwas wie einen letzten Wunsch einer Parteivorsitzenden im Amt geben würde, dann wäre er bei Angela Merkel wahrscheinlich gewesen, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihr nachfolgen würde. Natürlich durfte Merkel diesen Wunsch nie formulieren, es hätte nur alles schwieriger gemacht. Aber es ist gelungen.

Am 7. Dezember endet in Hamburg die Ära der Parteivorsitzenden Angela Merkel. Nach einem Jahr voller politischer Querelen hat die Kanzlerin sich damit dem Druck aus den eigenen Reihen gebeugt – und doch ihren langsamen Abschied von der politischen Bühne selbstbestimmt eingeleitet.

Die Frau der tausend politischen Tricks

Drei Parteichefs haben die CDU in der Nachkriegszeit geprägt. Konrad Adenauer hat die Bindung Deutschlands an den Westen vollzogen. Helmut Kohl hat die Wiedervereinigung vollbracht und Europa zusammengeführt. Und mit Angela Merkel ist die CDU in der Moderne angekommen. Nicht nur, weil sie die erste Ostdeutsche, die erste Frau an der Spitze der westdeutschen Männerpartei wurde – sondern auch, weil sie die CDU gesellschaftspolitisch umgekrempelt hat.

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Doch Merkels Weg war immer auch umstritten. Selten hat sie das so gespürt wie im Jahr 2018. Der Widerstand gegen ihre Flüchtlingspolitik hat Merkel letztlich zu dem Rückzug gebracht. Nach einem Jahr, das auch Merkel, die Frau der tausend politischen Tricks, an ihre Grenzen gebracht hat.

Nach komplizierten Koalitionsverhandlungen beginnt im Frühling endlich die neue alte Koalition zwischen Union und SPD mit der Arbeit. Doch schon bald prägt der Streit das Bild. CSU-Chef Horst Seehofer fordert Zurückweisungen an der Grenze für bereits registrierte Asylbewerber und provoziert damit im Frühsommer das Ende der Koalition und Neuwahlen. Doch dahinter steht der unausgetragene Grundsatzkonflikt zwischen Merkel und der CSU über die Flüchtlingspolitik. Er wird das gesamte Jahr prägen.

Schwieriger Dialog: Am Rande des G-7-Treffens im Juni in Kanada reden Angela Merkel und andere hochrangige Politiker auf US-Präsident Donald Trump ein.

Schwieriger Dialog: Am Rande des G-7-Treffens im Juni in Kanada reden Angela Merkel und andere hochrangige Politiker auf US-Präsident Donald Trump ein.

In jenen Junitagen besucht Merkel eine Schule für Flüchtlinge in Libanons Hauptstadt Beirut. Auf dem Schulhof spielen die Kinder Fuß- und Basketball, machen Geschicklichkeitsspiele. Merkel mischt sich fast eine Stunde lang unter die Schüler, wirft einen Basketball mit einigen Mädchen hin und her, albert herum, streckt einem Mädchen zum Spaß die Zunge heraus.

Was für manchen Politiker kein Pro­blem wäre, ist für Merkel ein Moment dramatischer Anspannung. Die herumfliegenden Bälle bergen jederzeit das Risiko eines unerwarteten Abprallers, der Merkel irgendwo im Gesicht treffen könnte und dessen Bild am nächsten Tag die Titelseiten der Zeitungen schmücken würde.

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Echte Probleme statt virtueller Debatten

Merkel hasst diese Vorstellung, denn in 18 Jahren an der Spitze der Union musste sie viel Spott über ihr Aussehen ertragen. Seitdem schützt sie sich und minimiert die Gefahren. Doch an diesem Tag in Beirut ist die Lage anders. Sie muss jetzt ein Risiko eingehen, es geht um sie selbst.

Mitten im erbittertsten Streit innerhalb der Union will die Kanzlerin die Aufmerksamkeit in der Flüchtlingsdebatte wieder auf die echten Pro­bleme vor Ort lenken, statt sich in virtuellen Debatten um nur noch wenige vorhandene Flüchtlinge zu verlieren, die man an der deutsch-österreichischen Grenze zurückweisen könnte.

Hadern mit den Kritikern ihrer Flüchtlingspolitik

Es sind die Tage Ende Juni, in denen Merkel ihren Rückzug an der Parteispitze beschließt, so wird man es später erfahren. Es sind die vielleicht emotionalsten Tage Merkels als Parteichefin. Sie scheint erstmals nicht mehr weiterzuwissen. Sie hadert damit, dass die Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik nicht loslassen können und immer wieder den Herbst 2015 neu verhandeln wollen.

Merkel glaubt, nur wenn man diese Tage als Teil der Geschichte akzeptiert, könne man wieder frohen Mutes nach vorn marschieren. Ihre Kritiker glauben, nur wenn das Jahr aufgearbeitet wird, kann der Neustart gelingen. Auf ihren Reisen ist Merkel kontrolliert und dann wieder aufgewühlt, je nachdem, ob die Kameras an- oder ausgeschaltet sind. Merkel kämpft.

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Doch erst nach der Landtagswahl in Hessen und einer ebenso schweren Krise rund um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen folgt im Oktober der Showdown. Die Landes-CDU von Volker Bouffier rettet sich mit zweistelligen Verlusten als gerupfter Verlierer ins Ziel.

Beobachterin eines Wahlkampfes

Am Morgen nach dem Wahltag verkündet Merkel im Parteipräsidium ihren Rückzug von der Parteispitze im Dezember und das Ende ihrer Kanzlerschaft spätestens 2021. Sie trennt die Ämter, obwohl sie es nie wollte. „Ein Wagnis“, gesteht Merkel später vor Kameras ein. Die internen Sitzungen laufen noch, da verkündet Friedrich Merz bereits seine Kandidatur für die Nachfolge Merkels.

Nun ist klar, dass Merkel als Beobachterin eines Wahlkampfes enden wird. Eines Wahlkampfes um ihre eigene Nachfolge. Sie wolle neutral in dem Dreikampf zwischen Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn bleiben, hatte Merkel betont. Am Ende siegte Kramp-Karrenbauer. Und mit ihr auch ein wenig der Stil Angela Merkels.

Von Gordon Repinski/RND

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