Dauerhafte Grenzkontrollen? “Das wäre ökonomischer Selbstmord”
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Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange warnt vor wirtschaftlichen Folgen der neu eingeführten Grenzkontrollen.
© Quelle: Villegas
Brüssel. Bernd Lange ist Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament. Der SPD-Politiker aus Niedersachsen ist 64 Jahre alt.
EU-Kommission und Coronakrise
Hat die EU die Coronaviruskrise rechtzeitig angepackt?
Nein. Die EU-Kommission hat viel zu viel Zeit verstreichen lassen. Diesen Vorwurf muss sich die Behörde in Brüssel machen lassen. Was hat die Kommission gemacht, als es in China losging? Sie ist nach Afrika gefahren, sie ist nach Griechenland gefahren. Sie hat alles Mögliche gemacht. Den Virusausbruch aber hatte die Kommission nicht auf dem Schirm. Nicht einmal an das Banalste ist gedacht worden. Es müsste doch selbstverständlich sein, dass es zunächst einmal darum geht, dass es Solidarität bei der Verteilung von medizinischer Schutzausrüstung geben muss.
Stattdessen haben wir nationale Alleingänge erlebt.
Das ist das Problem. Die Kommission hätte viel schneller dazu aufrufen müssen, dass wir eine gerechte Verteilung von Schutzausrüstung in der EU brauchen. Es gibt nur einige Länder, in denen zum Beispiel Schutzmasken hergestellt werden. Belgien gehört nicht dazu. Ich frage mich, wie Belgien an die Ausrüstung kommen soll, wenn einige EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, das Zeug horten. Jetzt hat die EU-Kommission das ein wenig korrigiert. Aber das ist viel zu wenig und viel zu spät geschehen.
Auswirkungen der Grenzkontrollen in Europa und Deutschland
Wie werden sich die Grenzkontrollen, die auch die Bundesregierung jetzt eingeführt hat, auf die Lieferketten auswirken?
Es gibt da zwei Ebenen. Wir sind im pharmazeutischen Bereich zu fast 80 Prozent von China abhängig. Auch der Maschinenbau bei uns ist immens von Elektronik abhängig, die in Asien hergestellt wird. Und Schiffe brauchen nun einmal sechs Wochen von China bis Europa. Da wird es noch Probleme geben, zumal die Chinesen die Produktion noch nicht vollständig wieder hochgefahren haben.
Und die zweite Ebene?
In Deutschland ist das verarbeitende Gewerbe zu fast 70 Prozent abhängig von Zulieferern aus der EU. Durch diese Grenzkontrollen wird es zu Verzögerungen kommen, die gerade in der Automobilproduktion wegen der Just-in-Time-Lieferung durchschlagen. Deswegen halte ich von diesen Grenzkontrollen sehr, sehr wenig.
Dauerhafte Grenzkontrollen nach Coronaviruskrise wären “ökonomischer Selbstmord”
Ist Schengen, also der freie Verkehr von Menschen und Güter, ernsthaft in Gefahr?
Das Risiko ist da, dass die Politik in manchen Mitgliedsstaaten über dauerhafte Grenzkontrollen nachdenkt. Das wäre wirtschaftlicher Sprengstoff. Aber ich hoffe doch sehr, dass es dazu nicht kommen wird, wenn die Coronaviruskrise einmal vorbei ist. Da hängen etwa 3 Prozent des Bruttonationalprodukts dran. Das haben wir lang und breit beim Brexit diskutiert. Die Wertschöpfungsketten sind so eng miteinander verzahnt. Es ist völlig absurd zu glauben, wir könnten Produktionen innerhalb Europas wieder auf die Nationalstaatsebene ziehen. Das wäre ökonomischer Selbstmord.
RND