Der EU-Etat soll trotz Brexit größer werden
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Haushaltskommissar Günther Oettinger will in Zukunft einen EU-Etat von 1279 Milliarden Euro schaffen.
© Quelle: dpa
Brüssel. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz fackelte am Mittwoch nicht lange. Schon Stunden vor der Veröffentlichung des Etat-Entwurfes der EU-Kommission sagte er, der Vorschlag sei weit davon entfernt, akzeptabel zu sein. „Unser Ziel muss darin bestehen, dass die EU nach dem Brexit schlanker, sparsamer und effizienter wird“, sagte er.
Tatsächlich legten Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein Haushaltskommissar Günther Oettinger aber wenig später ein Zahlenwerk vor, mit dem die EU zwischen 2021 und 2027 deutlich mehr Geld ausgeben dürfte: Statt wie bisher (2014 bis 2020) 1087 Milliarden Euro sollen es dann 1279 Milliarden sein. Und das, obwohl durch den Austritt Großbritanniens im gleichen Zeitraum rund 98 Milliarden Euro weniger an Beiträgen nach Brüssel fließen.
Berlin überweist etwa 23 Milliarden Euro pro Jahr
Juncker sprach dennoch von einem „pragmatischen Plan“. Oettinger lobte: „Wir investieren noch mehr in Bereiche, in denen ein Mitgliedstaat alleine keine Lösungen finden kann.“ Für Deutschland würde eine solche Anhebung der Beiträge von heute einem Prozent des Bruttonationaleinkommens auf dann 1,11 Prozent teuer werden.
In einer ersten Stellungnahme sprachen Bundesaußenminister Heiko Maas und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (beide SPD) von zusätzlichen Zahlungen in Höhe von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Derzeit überweist Berlin etwa 23 Milliarden Euro pro Jahr. Dennoch sei der Vorschlag „ein erster wichtiger Schritt“.
Mehr Geld soll es demnach für Forschung, die digitale Wirtschaft, Grenzschutz sowie Sicherheit und Verteidigung geben. Dagegen will die EU-Behörde die Zuwendungen für die Landwirtschaft sowie für die Regionen (Kohäsionspolitik) um jeweils fünf Prozent kürzen. Allerdings solle es „Modernisierungen“ geben, um die vorhandenen Finanzmittel effizienter zu nutzen.
Dazu schlägt die Kommission vor, die Zahl der Förderprogramme von 58 auf 37 zu kürzen, damit die Bürokratie verschlankt werden kann. Außerdem werde es künftig möglich sein, nicht genutzte Gelder einfacher für andere Zwecke auszugeben.
Brüssel rechnet mit 22 Milliarden Euro Extraeinnahmen
Zu den großen Überraschungen des Etatentwurfs gehören neue Einnahmequellen und insbesondere die Koppelung der Fördermittel an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Deren „Achtung ist eine Grundvoraussetzung für die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und eine wirksame EU-Finanzierung“, schreibt die Kommission.
Konkret heißt das: Brüssel darf künftig die finanziellen Zuwendungen der Union „aussetzen, verringern oder beschränken“, wenn Rechtsstaatlichkeitsdefizite festgestellt werden – wie das in Polen oder Ungarn gerade der Fall ist.
Zuständig dafür wäre der Ministerrat der 27 Mitgliedstaaten. Damit haben sich offenbar die Hardliner in der Kommission durchgesetzt. Präsident Juncker wollte eine solche Wohlverhaltensklausel eigentlich vermeiden. Es blieb nicht seine einzige Niederlage.
Denn Haushaltskommissar Oettinger konnte sich auch mit weiteren wichtigen Forderungen nach neuen Finanzquellen durchsetzen. Auf der Suche nach frischem Kapital will Brüssel nämlich bis zu 20 Prozent der Gewinne aus dem Emissionshandel einziehen. Außerdem sollen drei Prozent der neuen gemeinsamen konsolidierten Körpersteuer in den Etat der EU fließen.
Zusätzlich soll jeder Mitgliedstaat pro Kilo Plastikmüll, der nicht recycelt wird, 80 Cent an die Gemeinschaftskasse überweisen. Unterm Strich würden so rund 22 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich eingenommen werden – das sind zwölf Prozent des Etats.
Das politische Tauziehen steht erst an
Allerdings ist das erst ein Entwurf. Nun beginnt das eigentliche Tauziehen: Die Kommission muss in den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament einen Kompromiss finden. Zeit dafür gibt es noch genug.
Zwar wollten die Beteiligten eigentlich rechtzeitig vor der Europawahl 2019 dem Wähler sagen, wie sich die Union künftig finanziert. Doch auch eine spätere Einigung bis Ende 2020 käme noch rechtzeitig. Bis dahin wird viel gestritten werden. Denn abgesehen von Deutschland hat sich bisher keine EU-Regierung bereit erklärt, freiwillig mehr für Europa zu bezahlen.
Von Detlef Drewes/RND