Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Ein Hürdenlauf
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Ein Halbjahr im Zeichen von Europa: Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft.
© Quelle: Robert Michael/dpa-Zentralbild/d
Berlin. Fragt man Politiker und Regierungsbeamte nach ihrem Ausblick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, besteht die Antwort oft aus einem Seufzen. Viel zu groß seien die Erwartungen der Europäer an die Bundesregierung, heißt es dann. Doch in die Klagen mischt sich auch ein selbstbewusster Unterton. Denn wo die Erwartungen hoch sind, ist auch das Zutrauen groß. Die Bundesregierung will in den kommenden sechs Monaten versuchen, diesem schmeichelhaften Bild von Deutschland in Europa gerecht zu werden.
“Es wäre auch ohne Corona eine sehr wichtige Ratspräsidentschaft geworden”, sagte Außenminister Heiko Maas zu Wochenbeginn der Nachrichtenagentur dpa. “Durch die Pandemie haben sich die Erwartungen der Mitgliedsstaaten und der Problemdruck noch einmal erhöht – wir nehmen die Herausforderung jedenfalls sehr ernst”, so der SPD-Politiker.
Knackpunkt Corona-Hilfspaket
Ein erster Höhepunkt der ersten deutschen EU-Ratspräsidentschaft seit 13 Jahren steht bereits in zwei Wochen an. Auf dem – dann wieder physischen – Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs will Kanzlerin Angela Merkel eine Einigung im Streit um das Corona-Hilfspaket der EU erzielen. Gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron legte Merkel im Mai den Vorschlag für ein 500 Milliarden Euro umfassendes Paket mit nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen für jene Länder vor, die von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie besonders hart getroffen sind.
Doch unter anderem Österreich und die Niederlande wollen Kredite statt Zuschüsse vergeben. Daher schlägt die EU-Kommission einen Kompromiss vor, der zusätzlich zu den 500 Zuschussmilliarden weitere 250 Milliarden an Krediten vorsieht. Die Bundesregierung drängt auf eine rasche Einigung, damit das Geld schnell fließen kann. Dafür will sie den Skeptikern in der EU mit klaren Bedingungen für die Zuschüsse entgegenkommen.
Knackpunkt EU-Budget
Das Corona-Hilfspaket ist nicht der einzige Konflikt, bei dem es ums Geld geht. Rasch muss auch das Budget der EU für die nächsten sieben Jahre beschlossen werden. Wer zahlt wie viel in den EU-Haushalt ein? Und wer bekommt wie viel wofür? Die EU-Kommission plant mit einem Haushalt in Höhe von 1,1 Billionen Euro. Nach dem EU-Austritt Großbritanniens muss die Last unter den Nettozahlern neu verteilt werden. Die jetzt ausgelaufene kroatische Präsidentschaft hat hier nicht vermitteln können. Der Corona-Schock hat das Thema von der Tagesordnung verdrängt. In Berlin geht nun der Verdacht um, manch ein EU-Partner spiele weiter auf Zeit – in der Hoffnung, dass Deutschland als reichstes Land der EU den Streit kurz vor knapp damit beilegen werde, dass es selbst tiefer ins Portemonnaie greift.
Knackpunkt Klima
In den Verhandlungen für den EU-Haushalt – den “mehrjährigen Finanzrahmen” – geht es nicht nur um Summen, sondern auch um politische Ziele. Kanzlerin Merkel will das Budget der EU stärker als bisher an zwei Prioritäten ausrichten: an der Bekämpfung des Klimawandels und der Forcierung der Digitalisierung. Mehr Klimaschutz, besseres Netz: Dagegen kann doch niemand etwas haben, könnte man meinen. Doch die Interessen liegen mitunter weit auseinander. Beispiel Klimaschutz: Während Frankreich, das seine Energie aus Atomstrom bezieht, Tempo bei der CO₂-Reduktion machen kann, steht das Kohleland Polen unter Verweis auf viele Arbeitsplätze auf der Bremse. Die Bundesregierung gibt sich als ehrlicher Makler – eine Rolle, die ihr jedoch nicht jeder in Europa abnimmt. Dies liegt am deutschen Sonderweg der Energiewende, aber auch an deutsch-russischen Gasgeschäften.
Knackpunkt China
Zudem ist es der Bundesregierung ein Anliegen, die außenpolitische Stimme der EU zu stärken. So will sie an einer gemeinsamen Haltung gegenüber China arbeiten – keine leichte Aufgabe angesichts üppiger chinesischer Investitionen etwa in Griechenland und Ungarn. Der für September geplante EU-China-Gipfel findet nicht statt – offiziell wegen Corona. Die Absage liegt aber auch daran, dass die Verhandlungen für ein EU-China-Investitionsabkommen nicht vorankommen.
Knackpunkt Außenpolitik
Überdies will Berlin sein Gewicht zur Beilegung des Krieges in Libyen einsetzen. Der libysche Bürgerkrieg steht auch im Fokus des ebenfalls am Mittwoch beginnenden, einmonatigen deutschen Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat. Und auch in Sachen EU-Erweiterung soll es vorangehen: Die Bundesregierung hofft, noch in diesem Jahr Beitrittskonferenzen mit Nordmazedonien und Albanien abhalten zu können.
Knackpunkt Brexit
Große außenpolitische Bedeutung hat auch der Brexit. Bis Ende des Jahres muss ein Abkommen mit London stehen – sonst fällt Großbritannien für EU-Unternehmen auf den Status einen Drittstaates, mit erheblichen Handelshemmnissen.
Knackpunkt Trump
Druck dürften auch die US-Wahlen auf die deutsche Ratspräsidentschaft ausüben – schließlich hackt US-Präsident Donald Trump auf Deutschland besonders gern herum. Außenminister Maas warnt derweil vor falschen Hoffnungen für die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses: “Jeder, der meint, dass mit einem Präsidenten der Demokratischen Partei wieder alles so wird in der transatlantischen Partnerschaft, wie es mal war, unterschätzt die strukturellen Veränderungen.”