Wahlrecht, Wagenknecht und Wählerschwund: die Linkspartei im Endgame
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Da bekam sie noch Applaus von der Linken-Fraktion: Sahra Wagenknecht im vergangenen Jahr im Bundestag
© Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress
Berlin. Wer einen Eindruck davon bekommen wollte, wie eine moderne linke Oppositionspartei auch in diesen Zeiten kraftvoll auftreten kann, der musste sich den Auftritt von Jan Korte in der Bundestagsdebatte zur Reform des Wahlrechts ansehen: Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion schimpfte am Freitag weitgehend frei und unbeirrt über Applaus und Zwischenrufe hinweg, aber mit einer solchen Wut im Bauch über die Gesetzesänderung der Ampel, dass er selbst aus der Unionsfraktion Applaus bekam – obwohl er die in seiner Rede ebenfalls abstrafte.
„Ihre bigotte Arroganz, die ist wirklich unübertroffen“, rief der Mann mit Bart, Brille und dunkelblauem Anzug, aber natürlich ohne Krawatte, den Rednern von FDP und Grünen ins Gesicht, „andere brauchten dafür sechzehn Jahre!“ Dabei zeigte er dann auf die eben noch jubelnde CDU/CSU-Fraktion. Später bekam auch noch die AfD ihr Fett weg, die in Ostdeutschland von den neuen Wahlregeln profitieren werde.
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Kein Wunder, dass der gebürtige Osnabrücker, der schon seit 2005 für die Linke im Bundestag sitzt, seit 2009 im Fraktionsvorstand und seit 2017 Parlamentarischer Geschäftsführer ist, noch vor Kurzem als potenzieller Nachfolger für Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch gehandelt wurde, falls der nach derzeit fast acht Jahren den Posten freiwillig aufgeben würde. Man kann sich vorstellen, dass Korte noch einmal frischen Wind in die Fraktion gebracht hätte.
Doch dazu wird es nicht kommen. Am Montag vor einer Woche hatte der 45-Jährige bekannt gegeben, dass er sich aus dem Fraktionsvorstand zurückzieht. Wenn demnächst die zur Mitte der Legislatur turnusmäßigen Wahlen für die gesamte Fraktionsführung anstehen, will Korte gar nicht mehr antreten.
Das ist symptomatisch für die Linke in diesen Tagen: Wo man hinschaut, zerfällt sie. Nachdem am Wochenende die Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht bestätigte, dass sie tatsächlich erwäge, eine Abspaltung und damit eine Konkurrenzpartei zur Linken zu gründen – sie wolle bis Jahresende darüber entscheiden, sagte sie dem ZDF –, erklärte Linken-Co-Chef Martin Schirdewan am Montag in Berlin, er sei „stinksauer“ auf Wagenknecht.
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In Zeiten, in der eine Linke gebraucht werde, anzukündigen, in den kommenden Monaten über die Gründung einer Konkurrenzpartei nachzudenken, sei „wirklich verantwortungslos und parteischädigend“, klagte der Parteivorsitzende. Sie sollte sich von der Idee distanzieren und der Partei, die sie bekannt gemacht habe, den nötigen Respekt zollen, forderte er. Schon in den Wochen zuvor hatte Wagenknechts Absage an eine erneute Kandidatur für die Linke zur nächsten Bundestagswahl alte Spekulationen über eine Abspaltung neu geschürt.
Pragmatiker und bekannte Gesichter gehen
Für die Linke ist damit ein Countdown eingeleitet: In diesem Jahr heißt es für die Partei „alles oder nichts“. Denn während Korte erklärte, die Gründe für seinen Rückzug seien „fast ausschließlich persönlicher Natur“, so wirft der prominente Kopf vom Realo-Flügel das Handtuch doch zusammen mit zahlreichen anderen Pragmatikern, die entnervt vor den zahlreichen internen Querelen fliehen – oder längst geflohen sind, wie 2021 Bundestagsfraktionsvize Fabio De Masi und, nach zwölf Jahren, Stefan Liebich, zweimaliger Wahlkreisgewinner in Berlin-Pankow.
Letzter Katalysator war der Krieg in der Ukraine, der den ewigen Riss durch die Partei erneut offenlegte und weiter verstärkte: den zwischen den Anhängern und Anhängerinnen der Fundamentalopposition und denen, die an die Sozialdemokratie anschlussfähig sind und rot-rot-grüne Bündnisse anstreben. Sogar einen Zeitpunkt nannten viele der Entnervten: die Rede, in der Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht im Bundestag der Bundesregierung vorwarf, einen „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland „vom Zaun gebrochen“ zu haben.
Die Linke schaffe es nicht, „den faschistischen Diktator Putin“ als solchen zu benennen und zu ächten, klagte da etwa Steffen Bockhahn, viele Jahre direkt gewählter Linken-Abgeordneter im Bundestag und nun Sozialsenator in Rostock – und verkündete seinen Parteiaustritt. Der Zufall will es, dass zeitgleich in Berlin wegen Franziska Giffeys Entscheidung für eine schwarz-rote Koalition mit Sozialsenatorin Katja Kipping und Kultursenator Klaus Lederer zwei weitere Namen mit Strahlkraft aus der Regierung fliegen. Nicht einmal an der Parteispitze könnten sie der Linken nun noch helfen: Kipping war schon Chefin, Lederer wollte ihr nicht nachfolgen.
Sarah Wagenknecht: Entscheidung über Parteigründung bis Jahresende
Einer weiteren Kandidatur für die Linke hatte die Bundestagsabgeordnete Wagenknecht eine Absage erteilt.
© Quelle: dpa
Stattdessen mühen sich an der Parteispitze nun die ehemalige hessische Landtagsabgeordnete Janine Wissler, die mit der Verstrickung in einen parteiinternen MeToo-Skandal ins neue Amt startete, und der weithin unbekannte Martin Schirdewan. Zu Wagenknechts Ankündigung erklärten sie am Samstagabend per Mail: „Angesichts von Krieg, Klimakrise, Inflation und Streiks ist die Linke mehr denn je gefordert. Anzukündigen, dass man im Verlauf der nächsten Monate über die Bildung einer konkurrierenden Partei entscheiden will, ist verantwortungslos.“ Alle Mitglieder sollen „Spaltungsbestrebungen eine Absage erteilen“.
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Die Ironie daran: Wagenknecht hätte es 2021 gar nicht mehr in den Bundestag geschafft, wären da nicht die drei Direktmandate in Ostdeutschland gewesen. Sie holte als Spitzenkandidatin für ihren Landesverband in NRW dagegen klägliche 3,7 Prozent, und auch mit bundesweit 4,9 Prozent gäbe es keine Linksfraktion im Bundestag mehr.
Genau deshalb klagte Jan Korte am Freitag auch so leidenschaftlich über das neue Wahlrecht: Die Ampel hat genau diese Regelung gestrichen, dass sich mit drei Direktmandaten die 5-Prozent-Hürde umgehen lässt. So wäre der schlimmste Fortgang für die Linkspartei nun: Verlust der Promis und Pragmatiker, Abspaltung des Wagenknecht-Flügels, Abwendung oder Zersplitterung der Wählerschaft – und das Ende an der 5-Prozent-Barriere. Das vielleicht größere Problem der Partei ist nur: Viele Ideen, wie es besser laufen könnte, hat auch kaum noch jemand.