Die Macht der Bilder: Wie sich Selenskyj und Putin inszenieren
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Putin (links) zog eine Kriegszwischenbilanz – währenddessen besuchte Selenskyj (rechts) Washington.
© Quelle: imago/dpa/Montage
Man könnte ihn fast übersehen. Ganz unscheinbar im olivgrünen Sweatshirt steht der ukrainische Präsident Selenskyj inmitten des Saals auf dem Capitol Hill in Washington und spricht über den Krieg in seinem Heimatland. Er ist umringt von Mitgliedern des Kongresses, hinter ihm klatschen Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA, und Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, im Stehen Applaus.
Über Selenskyj der Schriftzug „In God we trust“, an der Wand die amerikanische Flagge. Auf einem anderen Bild sieht man ihn mit der amerikanischen Flagge durch die Menge gehen, zahlreiche Menschen sind kaum einen Meter entfernt und strecken die Arme nach ihm aus. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet.
Völlig anders mutet dagegen der Auftritt von Putin im russischen Verteidigungsministerium am selben Tag an. Dicke Tische und mehrere Meter Gang trennen den russischen Staatschef von seinen Offizieren, vor denen er erstmals seit Beginn des Krieges eine Bilanz gezogen hat. Alle sitzen geordnet in Reihen, Putins Blick ist starr auf die Menge gerichtet. Niemand wagt sich zu regen.
Ein weiteres Foto zeigt Putin bei seiner Rede vor einem stalinistisch-anmutenden Gebäude. Flankiert von seinem uniformierten Verteidigungsminister Sergei Shoigu und seinem ebenfalls uniformierten Generalstabschef Valery Gerasimov. Beide halten die Blicke gesenkt.
Die Architektur bestimmt Nähe und Distanz
Die Bilder sind natürlich nicht zufällig entstanden, sondern sind Kommunikationsmittel der Staatsoberhäupter. „Diese Bilder sollen die öffentliche Meinung beeinflussen. Sie entstehen nicht zufällig, sondern vorab wird überlegt, welche Botschaft transportiert werden soll und wie man dies inszenieren kann“, erklärt Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln, im Gespräch mit dem RedaktionNetzwerk Deutschland (RND). „Selenskyj hat zum Beispiel eine ukrainische Flagge mitgebracht, die dann hinter ihm entfaltet wurde. Auch ein sehr eindrückliches Bild! Plötzlich weht die ukrainische Flagge im Kongress neben der Amerikanischen.“
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Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht vor einer ukrainischen Flagge, die von Frontsoldaten in der umkämpften ukrainischen Provinz Donezk, signiert wurde und nun von Kamala Harris (links), Vizepräsidentin der USA, und Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, gehalten wird.
© Quelle: Jacquelyn Martin/AP/dpa
Auch die Anordnung der Personen im Bild und deren Bewegungsspielraum habe eine große Bedeutung. Dafür sind die Gegebenheiten der ausgewählten Orte entscheidend, weiß Jäger.
„Die Architektur gibt vor, wie nah Selenskyj und Putin den Menschen um sie herum kommen. Im Kongress, wo Selenskyj sprach, geht es gar nicht anders, als dass alle gedrängt beieinanderstehen. Selenskyj wäre um ein Bad in der Menge also rein räumlich nicht herumgekommen“, so der Politikwissenschaftler. „Im russischen Verteidigungsministerium dagegen sind die Plätze so angeordnet, dass Putin eine deutliche Distanz zu den Offizieren hat. Er ist der Alleinherrscher.“ Beide Orte seien eine bewusste Entscheidung gewesen.
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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, hat bei seinem ersten USA-Besuch seit Beginn des Krieges eine Rede bei einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses auf dem Capitol Hill in Washington gehalten.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Experte Jäger: „Putin ist jemand, der gegenübersteht“
Wenn Putin – wie bei dem kürzlich bekannt gewordenen Sektvideo – einmal zwischen den Offizieren steht, hat man als Beobachter trotzdem den Eindruck, als gehöre er eigentlich nicht dazu. Das Abgehobensein von allen anderen ist zentraler Teil seiner Inszenierung.
„Putin ist niemand, der sich in eine Gruppe hineinbegibt. Er ist jemand, der gegenübersteht. Jemand, den alle anschauen, so wie Kim Jong Un von seinen Untergebenen angeschaut wird“, sagt Jäger. „Putin wird auch mal flankiert von Personen, aber man sieht sofort: Er trifft die Entscheidungen. Die anderen sind Beiwerk, die haben nichts zu sagen.“
Putin ist niemand, der sich in eine Gruppe hineinbegibt. Er ist jemand, den alle anschauen, so wie Kim Jong Un von seinen Untergebenen angeschaut wird.
Thomas Jäger,
Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln
Das zeige auch die Auswahl seines Publikums: ausschließlich ältere, männliche Offiziere. „Putin hat sich kein Publikum ausgesucht, das diverser ist, weil er vermitteln wollte ‚Wir führen diesen Krieg aus eigener Kraft zu Ende.‘ Daher zeigt er sich im russischen Verteidigungsministerium vor Offizieren – nicht mit Zivilisten.“
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Russlands Verteidigungsminister Sergei Shoigu, Präsident Wladimir Putin und Generalstabschef Valery Gerasimov (von links) bei der erweiterten Sitzung des russischen Verteidigungsministeriums.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Das zeigt auch das Bild im Hintergrund an der Wand. „Putin vermittelte die Botschaft: Wir sind stark genug, um gegen jeden Gegner zu gewinnen. Wir brauchen keine Hilfe. Darauf verweist bildsprachlich auch die Abbildung des stalinistischen Gebäudes hinter ihm: Wir sind stark – aus eigener Kraft“, sagt Jäger. „So haben Putin und Selenskyj beide eine emotionale Seite adressiert. Selenskyj, indem er sagte: Wenn wir Weihnachten bei Kerzenschein dasitzen, hat das nichts mit Romantik zu tun, sondern weil wir keinen Strom haben. Damit benutzt er ein ganz starkes Bild, um sein Ziel – Hilfe in Form von Waffen und Geld – zu untermauern.“
Putin kann sich nicht neu erfinden
Schon vor Beginn des Krieges war Putin bekannt dafür, sich in Bildern bewusst zu inszenieren. Von ihm gibt es Aufnahmen bei der Tigerjagd, beim Tauchen und beim Judo. Es sind vor allem Bilder, die seine Tatkraft und Entschlossenheit demonstrieren sollten.
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Wie toxisch ist Putins Männlichkeit?
Der russische Präsident Wladimir Putin inszeniert sich gerne besonders maskulin und hat ein patriarchalisches Weltbild. Nun will er mit dem Krieg in der Ukraine seine Dominanz beweisen. Ein typischer Fall von „toxischer Männlichkeit“? Experten erklären, wie Putins Verständnis von Männlichkeit sein Handeln bestimmt und warum der Begriff „toxische Männlichkeit“ auch problematisch sein kann.
Aber die Art der Darstellung hat sich mit Beginn des Krieges verändert: Plötzlich sieht man Putin nicht mehr beim Angeln in Flecktarn, sondern in schwarzem Anzug hinter überlangen Tischen, klar abgegrenzt vom Militär. „Wenn man an das Bild von Putin denkt, der mit nacktem Oberkörper reitet, würde man annehmen, dieser Mann trägt im Krieg Militärkleidung – wie Selenskyj“, sagt Jäger. Dass Putin Anzug trägt, hält der Experte nicht für einen Zufall. „Die politische Idee dahinter ist: ‚Wir sind nicht im Krieg. Was in der Ukraine passiert, berührt die russische Gesellschaft nicht direkt.‘“
Putin trägt Anzug. Das ist kein Zufall. Die politische Idee dahinter ist: „Was in der Ukraine passiert, berührt die russische Gesellschaft nicht direkt.“
Thomas Jäger,
Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln
Das sei auch zu Anfang der „militärischen Spezialoperation“ die Verständigung zwischen der russischen Führung und der Gesellschaft gewesen. Seit der Mobilmachung sei der Krieg aber auch in sehr vielen Familien angekommen. „Die Gleichgültigkeit funktioniert nicht mehr. Aber Putin bleibt bei seiner Inszenierung. Denn auch das ist eine Botschaft: ‚Es läuft alles nach Plan.‘ Da kann er sich nicht neu erfinden.“