Kritik an „Manifest für den Frieden“

Die Methode Wagenknecht: Fakten verdrehen, Zitate verkürzen, Missliebiges weglassen

Sahra Wagenknecht hat zusammen mit Alice Schwarzer ein „Manifest für den Frieden“ verfasst

Sahra Wagenknecht hat zusammen mit Alice Schwarzer ein „Manifest für den Frieden“ verfasst

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Sie ist wieder da. Dabei war es nach dem 24. Februar 2022 zunächst ruhig um die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht geworden. War es Scham? Hatte sie noch am 20. Februar 2022, vier Tage vor Kriegsbeginn also, in der Talkshow von Anne Will mit vor Empörung bebender Stimme gesagt, ein russischer Einmarsch in die Ukraine werde „herbeigeredet“ – von interessierten Kreisen natürlich. Und die sind für Sahra Wagenknecht eigentlich immer nur in einem Land der Erde zu finden – doch dazu später mehr.

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+++ Alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine im Liveblog +++

„Russland hat faktisch kein Interesse, einzumarschieren“, sagte Wagenknecht an jenem 20. Februar 2022. Und „wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter Nationalist, der sich berauscht, Grenzen zu verschieben.“ Und manch einer wird danach gedacht haben, wie gut, dass Politikerinnen, die so falsch liegen, keinerlei politische Verantwortung haben. Danach war es still geworden um die rote Sahra.

Heute, ein Jahr und etliche Interviews später, sitzt die Linken-Politikerin wieder in Talkshows, gibt Interviews und hat zusammen mit Alice Schwarzer ein „Manifest für den Frieden“ verfasst, in dem sie den Kanzler aufruft, sich gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu stellen und verstärkt auf Verhandlungen mit dem russischen Regime zu setzen.

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Geht es Sahra Wagenknecht tatsächlich um Frieden? Manchmal ist es hilfreich, sich ihre Aussagen genau anzusehen – das, was sie sagt, wie sie es sagt und was sie nicht sagt.

„Aber jetzt tobt dieser Krieg“

Im ARD-Talk von Sandra Maischberger am 8. Februar leitete sie ihre Ausführungen mit dem immer gleichen Bekenntnis ein: „Das ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, für den gibt es keine Rechtfertigung. Ich habe nie gesagt, das dieser Krieg gerechtfertigt ist, ich lehne Kriege grundsätzlich ab“, sagte sie. „Ich finde, dass ein Staat nie das Recht hat, seine Interessen militärisch durchzusetzen. Aber jetzt tobt dieser Krieg und jetzt denke ich, da ist der Westen in der Pflicht, alles dafür zu tun, um diesen Krieg zu beenden.“

Das ist typisch: Wagenknecht beschreibt diesen Krieg als eine Art Naturereignis – „er tobt“. Niemand wird direkt dafür verantwortlich gemacht, der Aggressor wird nicht beim Namen genannt. Aber: Der Westen sei „in der Pflicht“ – nicht Moskau, nicht die Verbündeten des Aggressors in Peking, Teheran oder Pjöngjang.

„Die russische Seite war zu erheblichen Zugeständnissen bereit“

In verschiedenen Interviews, mit teils variierenden Details, spricht Sahra Wagenknecht neuerdings von einem ominösen Friedensplan, der im März 2022 angeblich unterschriftsreif gewesen sei. Wagenknecht bei Maischberger: „Der ehemalige israelische Ministerpräsident Bennett hat vor Kurzem ein Interview gegeben, hat darauf hingewiesen, dass der Krieg hätte im Frühjahr hätte zu Ende sein können, dass es Verhandlungen gegeben hat, weil immer gesagt wird, Putin verhandelt nicht, dass sogar die russische Seite zu erheblichen Zugeständnissen bereit war.“

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Heftiger Gegenwind für Forderungen von Wagenknecht und Schwarzer
09.02.2023, Nordrhein-Westfalen, Köln: Sahra Wagenknecht (Die Linke, l), Politikerin, und Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin, stehen im Rheinauhafen am Rhein. Wagenknecht und Schwarzer haben Bundeskanzler Scholz (SPD) aufgefordert, im Ukraine-Krieg auf Verhandlungen statt auf Waffenlieferungen zu setzen. In einem gemeinsamen "Manifest für den Frieden" warnten die beiden Frauen am Freitag vor einer "Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg". (zu dpa "Wagenknecht und Schwarzer warnen vor "Rutschbahn" in den Atomkrieg") Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sehen die Welt auf einer „Rutschbahn“ in den Atomkrieg.

Tatsache ist: Naftalli Bennet erzählt in dem Interview, welches auf Youtube abrufbar ist, er sei am 5. März auf Einladung Putins in einem vom israelischen Geheimdienst bereitgestellten Flugzeug nach Moskau geflogen. Bennett sagte, Putin hätte damals einige substanzielle Zugeständnisse gemacht – erläutert aber als einziges Detail, der Kreml wollte auf „die Demilitarisierung der Ukraine“ und auf eine Tötung Selenskyjs verzichten – wobei Moskau zu diesem Zeitpunkt bereits herbe Rückschläge einstecken musste. Zu Wagenknechts Behauptung, „die Russen waren bereit, sich hinter die Linien des 24. Februar zurückzuziehen, also hinter den Anfang“, gibt es keinerlei Indiz.

Tatsache ist auch: Der ukrainische Präsident erklärte sich damals tatsächlich bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten – eine Position, die er kurze Zeit später auch öffentlich wiederholte.

„Vor allem die USA haben blockiert“

Wagenknecht sagt bei Maischberger, „dass es der Westen, sprich vor allem die USA und Großbritannien, waren, die damals den Friedensschluss, der in greifbarer Nähe war, blockiert haben. Das sagt der ehemalige israelische Ministerpräsident!“ Hier hat Wagenknecht den tatsächlichen Aussagen von Naftali Bennett eine eigene Gewichtung angedichtet – gespeist aus einem tief sitzenden Antiamerikanismus: Der Israeli sagte nämlich, dass vor allem Boris Johnson als Vertreter einer „aggressiven“ Position aufgefallen sei, während Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und teils auch die US‑Regierung die Kontakte als Fortschritte sahen.

Was Wagenknecht schlicht verschweigt: Für das Scheitern einer Übereinkunft zum damaligen Zeitpunkt macht Bennett vor allem zwei andere Faktoren verantwortlich: 1. Die ungeklärte Frage, was mit den eroberten Gebieten passieren soll, sowie fehlende russische Sicherheitsgarantien. 2. Die Enthüllungen von Butscha, wo die ukrainischen Truppen im April nach dem Zurückdrängen der Russen Massengräber mit ermordeten Zivilisten fanden. Danach habe Selenskyj alle Gespräche gestoppt und sei darin vom Westen bestärkt worden.

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Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak bestätigte kürzlich in einem Interview mit der „Bild“, dass der entscheidende Punkt in den Verhandlungen Sicherheitsgarantien gewesen seien. Wagenknecht verschweigt all das – gibt vor allem den USA die Schuld.

„Dass dort Demokratie gegen Autokratie kämpft, dass halte ich für eine falsche Erzählung“

Eine von Wagenknechts Kernthesen ist: In diesem Krieg kämpft ein korruptes System gegen ein anderes korruptes System, Unrechtsstaat gegen Unrechtsstaat, Schurke gegen Schurke. In mehreren Interviews vermittelt sie an bestimmten Stellen den Eindruck einer vorgeblichen Distanz zu den politischen Systemen Russlands und der Ukraine.

O-Ton beim Maischberger am 8. Februar: „Ich habe keine Sympathien für Putin, ich habe auch keine Sympathie für den russischen Oligarchen­kapitalismus, das liegt mir fern. Ich halte nur die Erzählung, dass in der Ukraine die Freiheit und die Demokratie verteidigt wird und dass dort Demokratie gegen Autokratie kämpft, das halte ich für eine falsche Erzählung. Dort steht der russische Oligarchen­kapitalismus gegen den ukrainischen Oligarchen­kapitalismus. Die sind beide ein korruptes System.“

Tatsächlich gibt es auch noch in der Ukraine Oligarchen – vor allem als Erbschaft des alten Systems. Doch einer der wichtigsten Impulse Kiews für den Wandel ist es bis heute, dieses korrupte Erbe zu bekämpfen. Fast täglich gibt es Berichte über den Kampf der ukrainischen Gesellschaft gegen diese Geißel.

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Diese angebliche Ausgewogenheit, angesichts des Zustands der russischen Zivilgesellschaft ohnehin eine Zumutung, gibt sie aber an anderer Stelle auf – und teilt heftig gegen Kiew aus: So habe Selenskyj „ein Dekret unterschrieben, dass nicht verhandelt wird, solange nicht der letzte Russe von der Krim vertrieben wurde.“ Das stimmt so natürlich nicht, richtig ist vielmehr, dass Präsident Selenskyj Anfang Oktober ein Dekret unterschrieb, welches Verhandlungen mit Präsident Putin verbietet – ein feiner Unterschied. Trotzdem behauptet Wagenknecht im Interview Ende Januar im Deutschlandfunk fröhlich weiter, „die jetzige Strategie der ukrainischen Regierung ist ja, wir wollen gar nicht verhandeln. Nun kann man sagen, wer weiß, ob Putin verhandeln will. Ich weiß das nicht. Zumindest verbal schließt die russische Führung Verhandlungs­bereitschaft nicht aus“, behauptet sie.

„Kriegsverbrechen werden von beiden Seiten verübt“

„Kriegsverbrechen verübt werden von beiden Seiten übrigens, sagt die UN. Aber gerade deswegen muss man alles dafür tun, um ihn zu beenden“, so Wagenknecht im ARD-Talk von Maischberger. Auch hier versucht sie wieder, beide Seiten auf eine moralische Stufe zu stellen. Tatsächlich gibt es auch Berichte über Kriegsverbrechen, mutmaßlich begangen von ukrainischen Soldaten. Aber die Zahl der dokumentierten Vorfälle, der Zeugenaussagen, der gefundenen Massengräber etc. steht in keinem Verhältnis zu den systematischen Kriegsverbrechen der russischen Armee.

Als der ehemalige Bundesinnenmister Gerhard Baum interveniert, dass „sein (Putins) Kriegsziel die Vernichtung der Ukraine“ sei, entgegnet Wagenknecht: „Das ist Ihre These. … Die Russen waren bereit, sich hinter die Linien des 24. Februar zurückzuziehen, also hinter den Anfang.“

„Die ganze Presse ist unter Zensur, alternative Parteien sind verboten, die oppositionellen Fernsehsender sind verboten“

Als Sandra Maischberger Zahlen auf der Basis von Umfragen nennt, denen zufolge 90 Prozent der Ukrainer weiterkämpfen wollen, selbst wenn Bomben fallen und es einen Nuklearschlag gibt, holt Wagenknecht zum Rundumschlag aus. Sie geißelt die Verhältnisse im angegriffenen Land und stellt die dort ermittelten Umfrageergebnisse infrage: „Die ganze Presse ist unter Zensur, die alternativen Parteien sind verboten, die oppositionellen Fernsehsender sind verboten … Ob unter solchen Umständen eine authentische Umfrage zustande kommt, ich weiß es nicht.“ Sie weiß es offensichtlich doch – sie misstraut den Zahlen.

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„Kiew hat versucht, die Nato mit in den Krieg hineinzuziehen. Das ist schon eine klare Strategie“

Während wir laut Wagenknecht also „heilfroh sein“ können, „dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter Nationalist, der sich berauscht, Grenzen zu verschieben“ (Wagenknecht im ARD-Talk von Anne Will am 20. Februar 2022), sieht die Linken-Politikerin vor allem im ukrainischen Präsident Selenskyj einen Problemfall – und Kriegstreiber. Wagenknecht im DLF-Interview: „Er (Selenskyj) hatte nukleare Präventivschläge gefordert, er hat, als die ukrainische Rakete zwei Polen getötet hat, wider besseres Wissen die Russen dafür verantwortlich gemacht. Selbst die ‚FAZ‘ hat damals getitelt: Kiew hat versucht, die Nato mit in den Krieg hineinzuziehen. Das ist schon eine klare Strategie.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fand erneut deutliche Worte gegen die Teilnahme russischer Athleten bei Olympia.

Sahra Wagenknecht hält ihn für einen Kriegstreiber, auch wenn sie das so nicht gesagt hat: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

Aus der Summe ihrer Aussagen geht hervor, dass sie mit der ukrainischen Politik, der ukrainischen Gesellschaft und Demokratie größere Probleme hat als mit der russischen. Vermutlich liegt es daran, dass hier ein Land, getragen vom überwiegenden Willen seiner Bevölkerung, bereit ist, ausgerechnet für das bei Sahra Wagenknecht so verhasste westliche Demokratiemodell zu kämpfen. Und dass andererseits ein Regime, welches von sich in Anspruch nahm, die westliche Dominanz mit Gewalt zu brechen, sich moralisch ins Abseits manövriert hat.

„US‑General Milley hat klar gesagt, keine Seite kann diesen Krieg gewinnen“

Gern bemüht Sahra Wagenknecht als Kronzeugen ihrer Thesen Institutionen oder Politiker, die ihr politisch nicht nahestehen: Die „FAZ“, den israelischen Ex-Premier Naftali Bennett oder den US‑Generalstabschef Mark Milley. Diese Zitate werden dann gern verkürzt, amputiert oder aus dem Zusammenhang gerissen.

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Ihr aktuelles „Manifest für den Frieden“, basierend auf dem Einfrieren des Frontverlaufs bei gleichzeitigen Verhandlungen, begründet Wagenknecht vor allem damit, dass keine Seite den Krieg gewinnen könne. Als Kronzeugen zitiert sie Milley, der habe laut Wagenknecht angeblich „klar gesagt, keine Seite kann diesen Krieg gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen die gesamte Ukraine erobern, ist gleich null. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine die Russen vollständig militärisch aus dem Land hinaustreiben, womöglich auch noch von der Krim, sei genauso gering“, sagte sie im DLF-Interview.

Die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine, definiert als Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschließlich der von ihnen beanspruchten Krim …, ist in absehbarer Zeit nicht hoch.

Mark Milley,

US-Generalstabschef

Tatsächlich gesagt hat Milley aber, „die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine, definiert als Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschließlich der von ihnen beanspruchten Krim …, ist in absehbarer Zeit nicht hoch“. Und dann konkret: „Das wird nicht in den nächsten paar Wochen passieren, außer die russische Armee bricht komplett zusammen, was unwahrscheinlich ist“, so Mill – der dann noch hinzufügt, dass die Wahrscheinlichkeit eines russischen Siegs über die Ukraine „gegen null geht“.

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