Die Milliarden der Mullahs erzürnen das Volk
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Männer des Wortes – Männer der Wirtschaft: Eine Gruppe Mullahs in den Straßen von Ghom.
© Quelle: picture alliance / robertharding
Teheran. Wenn der Präsident so spricht, müsste doch eigentlich alles gut werden. Hassan Ruhani, reformorientierter Regierungschef der Islamischen Republik Iran, hat der Nachrichtenagentur Tasnim jedenfalls gerade ganz klar gesagt: „Wir können uns nicht einen Lebensstil aussuchen und dann den beiden Generationen nach uns sagen, sie müssten genauso leben. Das ist unmöglich. Die Vorstellungen der jungen Generation vom Leben und der Welt sind anders als unsere.“ Und: „Es wäre unfair zu behaupten, die Demonstranten hätten nur ökonomische Beschwerden – sie haben wirtschaftliche, politische und soziale Forderungen.“
Haben die Proteste gegen das Regime der Mullahs, die den Iran seit bald zwei Wochen erschüttern, also gefruchtet? Wird es nun – anders als nach den letzten großen Unruhen 2009 – echte, tiefgreifende gesellschaftliche Reformen geben?
Niemand rechnet im Ernst damit. Es ist aber auch nicht damit zu rechnen, dass die Demonstrationen und Anti-Regime-Slogans in absehbarer Zeit einfach wieder ganz verschwinden. Sie flauen ab, gewiss. Aber die Wut der Bürger sitzt tief.
Die Demonstrationen richten sich auch gegen die Selbstbedienung der Ajatollahs. Die religiöse Führung ist reicher, als es der Schah von Persien in seinen besten Zeiten war. Während die Bevölkerung zusehends verarmt.
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Wer ist das Volk? Polizisten blockieren Studenten, die sich den Protesten an der Uni Teheran anschließen wollen.
© Quelle: AP
Präsident Ruhani hat den Iranern vor zwei Jahren ein besseres Leben versprochen. Er hat den Atom-Deal mit der internationalen Gemeinschaft ausgehandelt, im Gegenzug für den Verzicht auf die Entwicklung von Nuklearwaffen ist ein Großteil der Wirtschaftssanktionen aufgehoben worden. Doch die Sanktionen sind der kleinste Teil des iranischen Problems. Das größere Problem ist die enge Verwobenheit von Politik und Wirtschaft. Derentwegen ist für den Großteil der Menschen eben gar nichts besser geworden. Die Wahrheit ist: Der Iran erlebt tatsächlich einen Boom – und steckt gleichzeitig in der Krise.
Die Weltbank hat es jüngst bestätigt: Das Wachstum im Iran betrug im vergangenen Jahr stolze 12,5 Prozent. Die Staatseinnahmen sind um 80 Prozent gestiegen. Die Inflation ist von 34 auf 10 Prozent gefallen. Aber: Offiziell sind rund 13 Prozent der Perser ohne Job, bei den Jungen unter 25 Jahren sind es gar 40 Prozent. Und: 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Derweil scheffeln die Mullahs Milliarden. Religiöse Megastiftungen spielen die Hauptrolle im iranischen Wirtschaftssystem. Die Stiftungen erhalten von der Regierung eine Vorzugsbehandlung. Sie genießen Monopolrechte und Steuerermäßigungen, keine Aufsicht kontrolliert ihre Bücher. Zum Dank unterstützen die „Bonyads“ den Revolutionsführer, die Religionselite und die Revolutionsgarden, die dafür sorgen sollen, dass das Regime überlebt. Ohne dass die Öffentlichkeit bisher erfahren hätte, mit welchen Kosten das verbunden ist.
Der Präsident – Einpeitscher wider Willen
Dann hat Präsident Ruhani für mehr Transparenz gesorgt. Und damit die Protestwelle eingeleitet:
Zu gären beginnt es Mitte Dezember, wenige Tage nachdem Ruhani das Budget fürs nächste Fiskaljahr vorstellt. Er verschreibt dem Land nicht nur einen Sparkurs, er kündigt auch Subventionskürzungen und höhere Preise für Grundnahrungsmittel an.
Erstmals enthüllt er im Parlament aber auch, wer mehr Steuergelder erhalten wird, während die Bürger den Gürtel enger schnallen sollen: Revolutionsgarden, religiöse Stiftungen und Sicherheitskräfte. Ruhani macht auch öffentlich, wie viel die kriegerischen Engagements des Irans im Irak, in Syrien, im Jemen und im Libanon kosten.
Die Bürger reagieren zunächst zurückhaltend. Das ändert sich aber am 28. Dezember. Iraner gehen aus Protest gegen Arbeitslosigkeit und steigende Preise auf die Straße, zunächst in der Pilgerstadt Mashhad, später in Dutzenden anderen Städten. Sie schimpfen auf das Regime.
Mashhad ist die zweitgrößte Stadt des Irans mit fast drei Millionen Einwohnern. Hier steht der Schrein des Imam Reza, ein riesiger Komplex von Moscheen, Minaretten und mit Marmor ausgelegten Innenhöfen, größer als der Vatikan. Das Heiligtum der Schiiten zieht im Jahr mehr Pilger an als Mekka während des Hadsch.
Mashhad ist aber auch die Heimat einer der ganz großen religiösen Stiftungen. Die „Stiftung des Heiligtums von Imam Reza“ ist ein viele Milliarden Dollar schweres Konglomerat. Ihr gehören die Hälfte der Immobilien in der Pilgerstadt sowie große Besitztümer in der umliegenden Provinz Khorosa und eine Freihandelszone an der Grenze zu Afghanistan. Zum Imperium gehören ferner zahlreiche Hotels, Banken, Fabriken und Baufirmen.
Aufstand im Zentrum des Rivalen
An der Spitze steht seit bald zwei Jahren Ebrahim Raisi, ein Vertrauter des Revolutionsführers Ali Chamenei. Raisi, ein anti-westlicher Reformgegner, war im Mai 2017 bei den letzten Präsidentschaftswahlen gegen Ruhani angetreten – und hatte verloren. Dass die jüngste Protestwelle gegen die Regierung in der heiligen Stadt Mashhad begann, in der Raisis Stiftung dominiert, ist deshalb vielleicht kein Zufall.
Sicher ist: Topmanager religiöser Institutionen wie der „Stiftung des Heiligtums“ schalten und walten, wie es ihnen beliebt. Sie sind mächtiger als die ranghöchsten Minister und kümmern sich nicht nur ums Geschäft. Sie prägen die Gesellschaft, die Verteidigungs- und Außenpolitik. Zu den einflussreichsten Stiftungen gehört die Bonyad Mostazafan, die „Stiftung für Besitzlose“. Ihr wurde nach der Revolution von 1979 das Vermögen des Schahs übertragen, nachdem dieser das Land verlassen hatte. Das Vermögen wurde durch Enteignungen von Ländereien und Bankguthaben von Exil-Iranern schnell vermehrt. So erhielt sie das damalige Hilton und Teile der Pepsi-Abfüllanlagen. Zur Bonyad Mostazafan gehören heute auch Bergbaufirmen, Zementfabriken oder Großfarmen.
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Im Namen des Systems: Ein Geistlicher fotografiert den Aufmarsch von regierungstreuen Demonstranten in der Stadt Ahwas.
© Quelle: Iranian Students' News Agency, ISNA
Ursprünglich verfolgte die Stiftung ein bescheidenes Ziel. Während des Krieges gegen den Irak (1980 bis 1988) sollte sie Verletzten, Waisen und Witwen helfen. Doch schnell wuchs sie zu einem der wichtigsten Wirtschaftsimperien, ähnlich wie Setad, eine dritte Gruppe, die ebenfalls als religiöse Stiftung organisiert ist. Auch sie besitzt Immobilien und reichlich Anteile an Unternehmen. Laut einer Schätzung von Reuters betrug das Setad-Vermögen im Jahre 2013 bereits 95 Milliarden Dollar. Trotz ihres Einflusses ist wenig über sie bekannt.
Denn nur einer kontrolliert das Konglomerat: Ali Chamenei, der Revolutionsführer. Er tritt zwar bescheiden auf, ohne Prunk und Pomp. Aber das Milliarden-Vermögen, das er beherrscht, stattet ihn mit viel Macht aus. Und mit Geld, das Gefolgsleute gefügig macht.
Zum Beispiel Sadegh Laridschani, seit 2001 Mitglied des Wächterrats, seit 2009 Chef der Justiz, Bruder des Parlamentspräsidenten und Bruder des Außenministers. Er soll der Anti-Korruptions-Organisation GAN zufolge jährlich rund 56 Millionen Euro Schmiergeld auf 63 Auslandskonten deponieren. Laridschani ist verantwortlich für die Inhaftierung von mehr als 3000 Menschen, die jetzt gegen die Macht der Bonyads demonstriert haben.
Revolutionsgarden als Großunternehmer
Revolutionsführer Chamenei sind zudem die Revolutionsgarden unterstellt. Sie wurden nach dem Sturz des Schahs als paramilitärische Truppe gegründet, um das Regime zu schützen. Seither kümmern sie sich auch um Engagements im Ausland. Sie kontrollieren zudem ein potentes Konglomerat, das mindestens ein Drittel der iranischen Wirtschaft beherrscht – von der Kleiderindustrie über Minen, Rüstungsgüter und Einkaufszentren sind fast alle Branchen vertreten.
Auch die größte iranische Firma gehört zum Imperium: Khatam al-Anbiya, auf Deutsch „Siegel des Propheten“, das wichtigste Baukonglomerat. Ob Moscheen, Flughäfen, Öl- oder Gasanlagen, Spitäler oder Hochhäuser gebaut werden: Eine Million Arbeiter von Khatam al-Anbiya übernehmen den Job.
An der Spitze der Revolutionsgarden steht General Mohammed Ali Dschafari. Er hat jetzt erklärt: Die Proteste sind vorbei. Tatsächlich haben nicht zuletzt seine gefürchteten Milizen dafür gesorgt, dass der Protest abflaut. Iraner wissen, dass ein Regimewechsel blutig verlaufen würde. Mehr als das: Die Islamische Republik kann, dank ihrer wirtschaftlichen Verflechtungen, jederzeit Tausende Freiwillige mobilisieren, die gegen Regimekritiker auf die Straße gehen.
Das heißt aber nicht, dass das Regime aufatmen kann. Denn die Misswirtschaft ist nicht beseitigt worden. Daran haben die Mullahs kein Interesse. Die verständnisvollen Worte des Reformpräsidenten Ruhani bleiben da womöglich nur das – schöne Worte. Ohne Folgen.
Von Pierre Heumann/RND