Die Wahl in Brasilien und ein populärer Brandstifter

Zurück in die Diktatur? Jair Bolsonaro, aussichtsreicher Kandidat für das Präsidentenamt in Brasilien, scheint damit zu liebäugeln.

Zurück in die Diktatur? Jair Bolsonaro, aussichtsreicher Kandidat für das Präsidentenamt in Brasilien, scheint damit zu liebäugeln.

Rio des Janeiro. Flavio will den Teufel wählen, dazu ist er fest entschlossen. Das heißt: Ein Teufel ist der Mann natürlich nur für die anderen. Für seine vielen Gegner im eigenen Land. Und für die besorgten Beobachter im Ausland. Rassist, Hetzer, Rechtsextremist, Diktaturverherrlicher: So nennen sie den Politiker Jair Bolsonaro.

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Für Flavio aber, den hageren Rentner mit dem grauen Haar, im weißen Polohemd, ist Bolsonaro nichts von all dem. Für ihn ist der Mann ein Retter. Ein politischer Messias.

„Brasilien ist in ein großes Chaos abgerutscht“, sagt Flavio. „Und Bolsonaro wird das Land neu ordnen.“

Daran glaubt er. Und deshalb ist der ältere Herr aus Barra da Tijuco, dem Nobelstadtteil von Rio, an diesem Tag mit seinem selbst gemalten Plakat zur Avenida Atlantica gezogen, den Boulevard, der sich am Strand von Copacabana entlangzieht. „Ich stimme für Bolsonaro“, hat er darauf geschrieben.

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Es ist der Satz, den Tausende skandieren, die jetzt mit auf der Avenida Atlantica marschieren. Viele tragen das blau-gelbe Nationaltrikot, aus den Boxen dröhnt laute Musik. Volksfeststimmung für einen Rechtspopulisten.

“Wir stimmen für Bolsonaro“: Seine Anhänger jubeln dem Rechtspopulisten zu, lassen dei Nationalflagge wehen – und heben die Faust zum Zeichen der Abwehr von Schwulen und Schwarzen.

“Wir stimmen für Bolsonaro“: Seine Anhänger jubeln dem Rechtspopulisten zu, lassen dei Nationalflagge wehen – und heben die Faust zum Zeichen der Abwehr von Schwulen und Schwarzen.

Sie alle werben für den umstrittensten Kandidaten der Präsidentenwahl in Brasilien: den „Trump Südamerikas“, einen 63-Jährigen, der das Land tief spaltet.

In den Umfragen zum ersten Wahlgang an diesem Sonntag liegt der Ex-Militär mit 35 Prozent der Stimmen vorn. Inzwischen trauen ihm die Demoskopen zu, dass er auch die Stichwahl drei Wochen später für sich entscheidet.

Es ist eine Schicksalswahl, die wichtigste seit dem Ende der Militärdiktatur vor 33 Jahren. Gut möglich, dass die Wahl an diesem Wochenende das Ende der jungen Demokratie in Brasilien einläutet.

Die Krise hat das ganze Land erfasst

Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des Jair Bolsonaro ist Ausdruck einer mittlerweile allumfassenden Krise, in der das Land steckt. Das „Chaos“, das der Rentner Flavio an der Avenida Atlantica beschreibt, besteht aus: einem Korruptionsskandal, der untere anderem einen Ex-Präsidenten ins Gefängnis gebracht hat; einer tiefen Rezession, in der 6,5 Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben; und schließlich einer ausufernden Kriminalität, wegen der rund 60 000 Menschen im vergangenen Jahr ihr Leben verloren.

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Sollte Bolsonaro tatsächlich der nächste Präsident Brasiliens werden, wäre das mehr als der nächste Sieg eines Rechtspopulisten Trumpscher Prägung irgendwo auf der Welt.

„Bolsonaro darf das Land nicht regieren“: Die 18-jährige Fernanda demons­triert mit Tausenden gegen den ultrarechten Kandidaten.

„Bolsonaro darf das Land nicht regieren“: Die 18-jährige Fernanda demons­triert mit Tausenden gegen den ultrarechten Kandidaten.

Brasilien ist das größte Land Lateinamerikas. Das fünftgrößte Land auf der Welt. Ein Rechtsruck hätte Signalwirkung für ganz Südamerika, aber auch rund um den Globus. Bislang spielt Brasilien international eine wichtige Rolle als Vermittler, sei es beim Iran-Abkommen oder bei den Klimaverhandlungen. Mit Bolsonaro an der Spitze wäre der weitere Weg unberechenbar.

„Ich habe große Angst um mein Land“, so sagte es vor Kurzem der Bestseller-Autor Paulo Coelho in einem Interview.

Der Mann, den Coelho fürchtet, setzt als Mittel gegen die Kriminalität ausgerechnet auf eine Liberalisierung des Waffenrechts: Bolsonaro will die „gute Bevölkerung“ bewaffnen, um sie gegen die „böse Bevölkerung“ zu schützen, so drückt er es aus. Der Kandidat hetzt gegen Homosexuelle („Lieber ein toter Sohn als ein schwuler Sohn“) und ist für frauenverachtende Ausraster bekannt („Du bist zu hässlich, um vergewaltigt zu werden“)

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Die heimliche Sehnsucht nach Zucht und Ordnung

Vor allem aber steht er für die heimliche Sehnsucht eines Teils der Brasilianer nach der Rückkehr zur Militärdiktatur, in der nach ihrer Lesart noch Zucht und Ordnung herrschten. Auch mit diesem Tabubruch spielt Bolsonaro immer wieder, in dem er jene Zeit glorifiziert, in der gefoltert und gemordet wurde. Dennoch – oder gerade deswegen – liegt er in den Umfragen mittlerweile 13 Prozent vor seinem ärgsten Widersacher Fernando Haddad. Dieser ist der Ersatzkandidat für Lula da Silva, den immer noch populären, aber wegen angeblicher Korruption inhaftierten Ex-Präsidenten der Arbeiterpartei PT.

Ist Lula tatsächlich schuldig? Das ist längst zu einer Glaubensfrage geworden: Das linke Brasilien glaubt an einen Komplott, das rechte Brasilien ist von seiner Schuld überzeugt. Für Differenzierung ist schon lange kein Platz mehr. „Schuld an dem Chaos“, schimpft Flavio, der Renter und Bolsonaro-Fan, „sind Lula da Silva und dessen Nachfolgerin, Dilma Rousseff.“

Eine zweite Chance? Ex.Präsident Luiz Inacio Lula da Silvaverfolgt die Wahl aus der Gefängniszelle.

Eine zweite Chance? Ex.Präsident Luiz Inacio Lula da Silvaverfolgt die Wahl aus der Gefängniszelle.

Tatsächlich ist deren Partei, die PT, tief in einen Korruptionsskandal um die Baukonzerne Petrobas und Odebrecht verstrickt. Doch in den Skandal verwickelt sind auch Vertreter aller anderen brasilianischen Parteien. Umso besser für Bolso­naro, der ans Werk geht wie der einsame Streiter für eine neue Ordnung.

„Ich habe Angst vor Bolsonaro“, sagt Eduarda. Die Transsexuelle ist eine von vielen Tausend Teilnehmern der Gay-Pride-Parade, die wenige Tage später dort stattfindet, wo zuvor die Bolsonaro-Anhänger marschierten.

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„Ich merke schon jetzt wie sich das Klima ändert“, sagt Eduarda. „Über uns werden Witze gemacht, die Stimmung ändert sich. Die Menschen werden aggressiver.“

Mit seinen gezielten Tabubrüchen gegenüber Schwulen, Frauen und Afro-Brasilianern trifft Bolsonaro aber offenbar den Zeitgeist. Denn abseits der schillernden Gay-Pride-Parade herrscht, etwa in den Favelas, den notdürftig zusammengenagelten Häusern der Armen, ein ex­trem schwulenfeindliches Klima.

Als der brasilianische Künstler Nego de Borel vor einigen Monaten in einem neuen Musikclip einen anderen Rapper küsste, erhielten die Protagonisten Morddrohungen.

Bolsonaro setzt, ganz wie Trump, auf Twitter – und verspricht seinen 1,4 Millionen Followern einfache Lösungen für komplexe Probleme wie Kriminalität und Gewalt. Für den Rest holt er sich Experten. Ebenso wie viele andere Rechtspopulisten stilisiert er sich als Anti-Establishment-Kandidat – dabei gehört er zu den dienstältesten Abgeordneten: Seit 1990 saß er für nicht weniger als neun verschiedene Parteien im Parlament.

Doch der Widerspruch scheint seine Anhänger nicht zu stören. Und dass im Wahlkampf Anfang September ein Angreifer mit dem Messer auf Bolsonaro losging und ihn verletzte, hat seine Popularitätswerte noch einmal erhöht.

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Verzweifelt versuchen Linke und Liberale, Stadtbewohner vorneweg, sich gegen den landesweiten Trend zu stemmen. Tausende Frauen steigen am Sonnabend aus der Metro-Station Cinelandia in Rio, um gemeinsam dem verhassten Rechtspopulisten Bolsonaro die Stirn zu bieten. „Ele Nao“, „er nicht“, hallt es aus Hunderten Kehlen in den unterirdischen Gängen der U-Bahn. Jede neue U-Bahn-Ladung wird mit Beifallsstürmen empfangen. Die Menschen, die sich dem Rechtsruck entgegenstellen wollen, sprechen sich Mut zu. Hunderttausende gehen an diesem Tag auf die Straßen.

„Bolsonaro darf das Land nicht regieren“, sagt die 18-jährige Fer­nanda, die auf ihrem T-Shirt Anti-Bolsonaro-Aufkleber trägt. „Er hasst Frauen, Schwarze und Schwule. Er wird unsere Gesellschaft spalten.“ Dann stimmt sie in den lauten Chor ein: „Nein zum Faschismus.“

„Nein zum Faschismus“: Protest gegen den Rechtsruck in Sao Paulo.

„Nein zum Faschismus“: Protest gegen den Rechtsruck in Sao Paulo.

Sie singen, tanzen, und gelegentlich ist der süßliche Geruch von Marihuana zu riechen. Es ist eine friedliche, kreative Demonstration, die aber auch offenbart: Es fehlt dem Anti-Bolsonaro-Lager an einer übergreifenden Botschaft. Nur gegen einen Kandidaten zu sein, könnte vielleicht zu wenig sein.

Für die Kandidaten der Mitte, die es auch im brasilianischen Wahlkampf gibt, bleibt kaum Platz. Umweltpolitikerin Marina Silva bekommt mit ihrem weitsichtigen Vorschlag, ganz auf nachhaltige Energien zu setzen, weder in den nationalen noch internationalen Medien den Raum, den sie braucht, um ernst genommen zu werden. Die indigene Kandidatin scheint im Kampf der weißen Männer um die Präsidentschaft inzwischen chancenlos.

Das WM-Desaster stärkt die Rechten

Vor ein paar Jahren noch galt Brasilien als kommende Supermacht, als Star unter den Brics-Staaten. Millionen profitierten vom wirtschaftlichen Aufstieg und Lulas intelligenten Sozialprogrammen.

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Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Zwei Faktoren stürzten das Land in die Krise. Für den einen konnten die Politiker des Landes nichts: den Ölpreisverfall. Der andere resultierte aus einem Fehler der Ex-Präsidenten Lula und Rousseff. Die Fußball-WM 2014 und Olympia 2016 nach Brasilien zu holen brachte viel Glanz nach außen – doch beförderte das Chaos im Inneren.

In den Favelas sterben Menschen im Kugelhagel der Banden, die für Olympia und WM vertrieben worden waren. Die WM endete sportlich wie finanziell für Brasilien in einem Desaster – und war die Keimzelle für das, was Brasilien heute erlebt: die Renaissance einer extremen brasilianischen Rechten.

Dass der Rentner Flavio mit seinem Plakat zu fast jedem Auftritt Bolsonaros pilgert, ist Ausdruck seiner Sehnsucht nach der alten Stärke. Den Vorwurf, Bolsonaro sei ein Anhänger der Diktatur, will er nicht gelten lassen. Die Linken, entgegnet er, hätten doch selbst die Diktatoren in Venezuela und Kuba hofiert, als es ihnen in den Kram passte. „Das“, sagt er, „ist doch alles Doppelmoral.“

Von Tobias Käufer/RND

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