Druckmittel oder große Freiheit? Die (un)gefährliche 2G-Regel

Für Geimpfte und Genesene wieder Realität: In Clubs kann dank der 2G-Regeln wieder getanzt werden.

Für Geimpfte und Genesene wieder Realität: In Clubs kann dank der 2G-Regeln wieder getanzt werden.

Hannover. Es muss eine gute Party gewesen sein, alles deutet darauf hin. Die Nacht im Club Cuba in Münster hatten viele ersehnt, es war eine der Ersten nach der Schließung, 380 junge Menschen kamen. Am Eingang mussten sie Genesungs- oder Impfbescheinigungen zeigen, die Kontrollen sollen sehr penibel gewesen sein, erklärten Gäste später, und das Gesundheitsamt hatte auch im Nachhinein am Hygienekonzept nichts auszusetzen.

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Die Bilanz nach dieser Nacht: 85 Infizierte. Trotz 2G. Und das soll jetzt der Königsweg sein, um die vierte Welle dieser Pandemie zu brechen?

Die infektiöse September-Partynacht von Münster dient Kritikern mittlerweile als Kardinalsargument gegen die Regel, dass nur Getestete und Geimpfte in Clubs, Kneipen oder Theater dürfen – und bloß Getestete draußen bleiben. Seht, es funktioniert doch nicht, rufen sie denen zu, die in 2G das epidemiologische Heil sehen. Hamburg war das erste Bundesland, das Veranstaltern masken- und abstandslose Events versprach, wenn sie auf 2G setzten, jetzt will Sachsen in der Öffentlichkeit noch weit strenger darauf setzen. „Überall dort, wo es irgendwie möglich ist“, will der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach 2G verwirklicht wissen.

Wie viel Fremdschutz steckt in der Impfung?

Mit 2G zur Freiheit, das ist das Versprechen hinter dieser Regel – während sich gleichzeitig immer mehr Menschen trotz Impfung mit dem Virus anstecken. Ist die 2G-Regel dann nicht mehr als ein Druckmittel auf Ungeimpfte, das das dann berechtigte Misstrauen von Skeptikerinnen wie der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht weckt?

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Im Grunde geht es dabei um die Kernfragen aller Impfdebatten derzeit: Ist die Impfung gegen Covid-19 reiner Selbstschutz? Mit der Konsequenz, dass das Impfen dann tatsächlich auch reine Privatsache wäre? Eine Entscheidung ganz im Belieben jedes Einzelnen, die Kimmich-Argumentation sozusagen? Und wie viel Fremdschutz steckt angesichts neuer Erkenntnisse in der Impfung?

Tatsächlich boten die vergangenen Monate in Bezug auf die Infektiosität von Geimpften eine Serie von Ernüchterungen. Immer deutlicher wurden die Hinweise, dass und in welchem Umfang auch Geimpfte das Virus weitergeben können. Der anfängliche Traum von der sterilen Immunität, anfangs befeuert von den phänomenalen Wirkungsdaten der mRNA-Impfstoffe, währte nur kurz. Schon im Frühjahr mehrten sich die Hinweise, dass die Antikörperspiegel von Geimpften in den Monaten nach der Impfung rasch absinken – und damit auch die Fähigkeit, das Virus schon beim Kontakt auf den Schleimhäuten zu bekämpfen und die Infektion zu verhindern.

Spätestens im Sommer folgte das böse Erwachen in den USA, als sich bei den Feiern zum Unabhängigkeitstag in Provincetown, einem 3000-Einwohner-Ort an der Spitze von Cape Cod in Massachusetts, trotz hoher Impfquote 470 Menschen infizieren. Die amerikanische Seuchenbehörde CDC schließt daraus, dass auch Geimpfte das Virus weitergegeben haben müssen – und ändert daraufhin ihre Richtlinien: Auch Geimpften empfiehlt sie nun wieder das Tragen von Masken in Innenräumen.

Geimpfte geben das Virus häufiger weiter als gedacht

Es folgen in Israel, dem frühen Vorreiter des massenweisen Impfens, im Spätsommer Inzidenzen an der 800er-Schwelle. Auch in Deutschland mehren sich nun die sogenannten Impfdurchbrüche, rund 150.000 wahrscheinliche Fälle hat das Robert Koch-Institut inzwischen registriert. Schließlich erscheint Ende Oktober eine Studie, die den bisherigen Eindruck nun auch wissenschaftlich belegt und in eine Größenordnung fasst: Geimpfte geben das Virus im Falle einer Infektion häufiger weiter als bislang angenommen, oder auch: als erhofft.

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Die Impfung ist Eigenschutz, kein Fremdschutz.

Hendrik Streeck,

Virologe

Ein Jahr lang hat die oberste britische Gesundheitsbehörde untersucht, wie sich die Infektion unter Familienmitgliedern ausbreitet. Dabei steckten sich 38 Prozent der ungeimpften Kontaktpersonen an – und immerhin auch 25 Prozent der Geimpften. Die Viruslast war bei Geimpften wie bei Ungeimpften vergleichbar hoch. Dies erkläre wahrscheinlich, sagt Professor Ajit Lalvani vom Imperial College London, einer der Autoren, warum Infizierte mit einem Impfdurchbruch ähnlich infektiös sind wie Ungeimpfte. „Überraschenderweise“, fügt Lalvani hinzu, „war schon drei Monate nach der zweiten Impfung das Risiko einer Infektion deutlich höher als zuvor.“ Vor allem die aggressivere Delta-Variante habe die Situation deutlich erschwert. Die Impfung allein, folgert Lalvani, könne Übertragungen in Haushalten daher nicht verhindern.

Der große Nutzen der Impfung

Was bleibt, ist der überragende Schutz vor schweren Verläufen, die die Impfung bietet. Mit 90 Prozent gibt das Robert Koch-Institut derzeit den Schutz der Impfung vor einer starken Erkrankung an.

„Die Impfung ist Eigenschutz, kein Fremdschutz“, schreibt der Virologe Hendrik Streeck auch vor dem Hintergrund dieses neuen Wissens über die Ansteckungen bei Geimpften in einem Beitrag in der „Welt“.

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Das ist, zweifellos, ein gewaltiger Nutzen, den die Impfung bietet. Nur: Wie lässt sich auf der Basis dessen dann eine 2G-Regelung rechtfertigen, die Geimpfte massiv bevorzugt, obwohl sie doch offenbar auch ansteckend sein können?

Es geht dabei auch um die Zwischentöne. „Die Impfung ist in erster Linie ein Selbstschutz“, sagt Reinhold Förster, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Das ist im Moment leider so.“

Die Antikörper schwinden rasch

Dass der Immunologe dennoch die 2G-Regel für gerechtfertigt hält, liegt zum einen an der Kehrseite des Arguments der schnell schwindenden Antikörper. Nach drei Monaten ist deren Level offenbar massiv gefallen. Davor aber sind sie so hoch, dass sie auch das Infektionsrisiko erheblich vermindern. Nach einer Drittimpfung, darauf deuten Studien hin, ist ihr Level sogar noch mal höher als nach der zweiten. Zudem sind Geimpfte auch nur für kürzere Zeit ansteckend, ihr hoher Antikörperlevel fällt deutlich schneller ab als bei Ungeimpften. „Insofern“, betont Förster, „geht von ihnen auch ein geringeres Risiko aus.“

Der Fremdschutz, der soziale Aspekt der Impfung also, mag kleiner sein als erhofft – es gibt ihn aber durchaus. Zumal, ein weiteres Argument, Selbstschutz bei der Impfung auch gleichbedeutend ist mit einem gewissen Fremdschutz: Wer geimpft ist, braucht in aller Regel auch kein Krankenhausbett, verhindert also nicht die Behandlung von anderen Kranken.

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Die dritte Impfung für viele

Aber wären dann nicht Schnelltests eine Möglichkeit, um auch Ungeimpften den Zugang zu Veranstaltungen zu ermöglichen? Welchen Vorteil hat 2G gegenüber 3G – außer wenn man dies einen Vorteil nennen will, dass es den Druck auf Ungeimpfte erhöht? Für Förster ist es die mangelnde Zuverlässigkeit der Schnelltests: Er verweist auf Untersuchungen, wonach diese zum Beispiel nur einen geringen Teil der symptomlosen Infektionen zuverlässig erkennen, eine Metastudie des Cochrane-Instituts zum Beispiel kam hier auf ernüchternde 58 Prozent. Was bei regelmäßigen Tests konstanter Gruppen gerechtfertigt ist, gerate beim einmaligen anlasslosen Testen an die Grenzen. „Deutlich sinnvoller sind 2G-Regelungen plus PCR-Tests für Ungeimpfte“, meint Förster – wobei die PCR-Tests mit ihrem Aufwand und Vorlauf für spontane Clubbesuche eher weniger geeignet sein dürften.

Aus all dem folgt für Förster, dass jetzt vor allem eines geboten ist: eine schnelle dritte Impfung für viele, weit über die bisherige Stiko-Empfehlung hinaus, die diese bislang neben bestimmten Berufsgruppen nur für über 70-Jährige vorsieht. Die Booster-Impfungen sollten seiner Ansicht nach rasch ausgeweitet und beschleunigt werden: „Es macht keinen Sinn, 50- oder 60-Jährige, die sich impfen lassen wollen, nicht zu impfen. Es ist genug Impfstoff da.“ Dies würde dann, wie das Beispiel Israels zeigt, rasch auch die Infektionszahlen wieder deutlich sinken lassen.

2G und die Scheinsicherheit

Doch zumindest bis dahin bieten auch 2G-Veranstaltungen ein lediglich relatives Plus an Sicherheit – weshalb Kritik an 2G vor allem aus zwei Richtungen kommt: Von jenen, denen diese Regel zu streng ist – und jenen, denen sie nicht genug Sicherheit bietet. Die Frankfurter Professorin für Virologie, Sandra Ciesek, spricht deshalb im NDR-Podcast von den „Bauchschmerzen“, die sie sowohl mit 3G- wie mit 2G-Regelungen hat. Diese verhinderten ja nicht, dass sich die Besucherinnen und Besucher vielleicht doch infizierten und das Virus dann weitertrügen – vor allem, wenn man dann am Wochenende „die Großmutter im Altenheim besucht, sollte man extrem vorsichtig sein“.

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Die Altenheime und Krankenhäuser, das sind jene Orte, wo auch 2G rasch an seine Grenzen stößt. In der Hamburger Hartwig-Hesse-Stiftung mit ihren beiden Pflegeheimen geht es für Geschäftsführer Maik Greb daher auch weniger um diese Regeln als vielmehr um möglichst rasche dritte Impfungen.

In seinen Häusern gibt es Tests für Mitarbeiter und Besucher, alle Bewohnerinnen und Bewohner hätten schon eine dritte Impfung, doch während im einen Heim auch die Mitarbeiter geboostert sind, warten die anderen noch, weil die Sechsmonatsfrist noch nicht um ist. So lange, berichtet er, kontrolliere ein Arzt nun regelmäßig den Antikörperstatus der Mitarbeiter. Das Heil, so viel sei sicher, liegt für die Heime nun in der raschen dritten Impfung für möglichst viele, mehr als in einer Debatte über die feinen Unterschiede zwischen 2G und 3G.

Eine Impfpflicht hält er jedenfalls für nicht nötig – die Bereitschaft unter seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei zum Glück sehr hoch.

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