Ehe für alle: Ein überraschendes Bollwerk gegen Amerikas religiöse Rechte
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Wie alles begann: Spencer Stout und sein Ehemann Dustin Reeser posieren 2015 nach der Legalisierung der Ehe für alle durch den Supreme Court mit einem Bild der liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg bei einer Kundgebung in Salt Lake City.
© Quelle: picture alliance / AP Images
Washington. Chuck Schumer trug dieselbe violette Krawatte wie im November 2018, als seine Tochter Alison in Brooklyn ihre Verlobte Elizabeth heiratete. „Das war einer der glücklichsten Momente meines Lebens“, gestand der Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat am Dienstagabend ungewöhnlich emotional und fügte hinzu: „Die heutige Abstimmung ist sehr persönlich für mich“. Das Votum im ehrwürdigen Saal der zweiten Parlamentskammer war noch viel mehr: Es war ein höchst ungewöhnlicher parteiübergreifender Beschluss und ein starkes Signal gegen den von der religiösen Rechten betriebenen gesellschaftlichen Rollback in Amerika.
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Mit 61 zu 36 Stimmen beschloss der Senat ein Gesetz zum Schutz gleichgeschlechtlicher Ehen, die noch vor 25 Jahren vom Kongress ausdrücklich verboten worden waren. Wenn das Paragrafenwerk in den nächsten Tagen erwartungsgemäß vom Repräsentantenhaus bestätigt und dann von Präsident Joe Biden unterzeichnet wird, dürften Millionen Angehörige der LGBTQ-Gemeinde in den USA aufatmen. „Liebe ist Liebe, und Amerikaner sollten das Recht haben, die Person zu heiraten, die sie lieben“, sagte Biden.
In 35 Bundestaaten schlummern Verbote in der Schublade
Kurzfristig wird sich mit dem Inkrafttreten des „Respect for Marriage Act“ wenig ändern. Seit einer Entscheidung des Obersten Gerichts von 2015 ist die gleichgeschlechtliche Ehe in den USA legalisiert. Doch besteht seit der Aufhebung des Abtreibungsrechts in diesem Juni die reale Gefahr, dass der inzwischen ultrarechte Supreme Court weitere frühere Beschlüsse kassiert, wie dies Verfassungsrichter Clarence Thomas mit Blick auf die Ehe für alle und die Empfängnisverhütung bereits angedeutet hat. Sollte das passieren, könnten in 35 US-Bundesstaaten bereits in der Verfassung oder in Landesgesetzen verankerte Verbote der gleichgeschlechtlichen Ehe in Kraft treten.
Das nun beschlossene Bundesgesetz kann zwar keinen Staat zwingen, gleichgeschlechtlichen Paaren die Heirat zu ermöglichen. Aber es verpflichtet alle Bundesstaaten, sämtliche früher oder andernorts legal geschlossene Ehen anzuerkennen. Bislang haben sich 568.000 gleichgeschlechtliche Paare in den USA das Ja-Wort gegeben.
Ein Sieg über rechte Kulturkämpfer
Nicht nur gesellschaftlich ist das Gesetz ein Meilenstein. Auch politisch können die Demokraten einen großen Erfolg verbuchen. Im Senat mussten sie für die erforderliche 60-Stimmen-Mehrheit nämlich mindestens zehn Republikaner auf ihre Seite ziehen, was vielen noch im Sommer angesichts der verhärteten Fronten und der immer schärferen rechten Kulturkämpfe kaum möglich erschien.
Die lesbische Senatorin Tammy Baldwin aus Wisconsin hatte unmittelbar nach dem Abtreibungsurteil des Supreme Courts begonnen, bei ihren Kolleginnen und Kollegen für den „Ehe für alle“-Vorstoß Stimmen zu sammeln. Noch Mitte September wollten nur vier Republikaner mitstimmen. Doch die 60-Jährige gab nicht auf. Sie überzeugte Fraktionschef Schumer, die Abstimmung auf die Zeit nach den Midterm-Wahlen zu verschieben und akzeptierte einigen Ergänzungen des Paragraphenwerks zu, die unter anderem festlegen, dass die Ehe zwischen zwei Menschen geschlossen werden muss und dass kirchliche Institutionen wegen der Ablehnung der Ehe für alle nicht steuerlich benachteiligt werden dürfen. Der Durchbruch kam, als die Mormonen-Kirche erklärte, dass sie gleichgeschlechtliche Ehen respektiere, und der prominente Senator Mitt Romney seine Unterstützung ankündigte. Bei der Abstimmung am Dienstag votierten zwölf Republikaner mit den Demokraten.
Das Gesetz spiegelt auch den bemerkenswerten Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe in den USA. Noch 1996 hatte der Kongress ein Gesetz beschlossen, das die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau definierte. Damals unterstützten nach einer Gallup-Umfrage nur 27 Prozent der Amerikaner die Möglichkeit einer rechtlichen Bindung von Partnern des gleichen Geschlechts. Inzwischen sprechen sich 71 Prozent zugunsten der Ehe für alle aus.