Energie, Verkehr, Industrie: Das sind Deutschlands größte Klimasünder
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5W2KWV4VQR6VBWMIBTHP6HRPV4.jpg)
Rauchende Schlote, zugebaute Städte: Was können wir dem Planeten noch zumuten?
Berlin. „Klima jetzt, Abi später“, steht auf ihren Transparenten. Einen Test haben die Jugendlichen mit ihren Fridays-for-Future-Protesten bereits bestanden: Sie erregen maximale Aufmerksamkeit. Zur besten Sendezeit sitzen sie in Talkshows und erhalten Rückendeckung aus der Wissenschaft.
Die Republik nimmt die Klimapolitik der Bundesregierung mit einem Mal unter verschärfte Beobachtung. Welcher Weg zur Reduzierung schädlicher Treibhausgase ist für ein Industrieland wie Deutschland der richtige?
Lange wurde der Bewegung zum Vorwurf gemacht, auf diese Frage keine Antworten zu haben. Bis zu einem Termin im Berliner Naturkundemuseum in dieser Woche.
Vor der Kulisse riesiger Dinosaurierskelette, die sie als „Opfer des letzten Massensterbens in der Geschichte“ bezeichneten, warnten vier junge Aktivisten vor dem nächsten großen Sterben aufgrund eines Klimawandels.
Und sie formulierten klare Forderungen an die Bundespolitik: das Aus für ein Viertel der deutschen Kohlekraftwerke noch in diesem Jahr, den kompletten Kohleausstieg bis 2030 und eine vollständige Versorgung durch erneuerbare Energien bis 2035. "Und das ist erst der Anfang", sagen die streikenden Schüler.
Ziele und Wirklichkeit klaffen auseinander
Legt man aber die Pläne der Bundesregierung und die Forderungen von Fridays for Future nebeneinander, zeigt sich: Da klafft eine gewaltige Lücke. Der Kohleausstieg ist da nur ein Beispiel. Erst bis 2038 soll er nach den Plänen der Bundesregierung vollzogen sein. In Kanzleramt und Ministerien macht man sich nicht nur Sorgen über das Klima der Zukunft, sondern auch über die sozialen und wahlpolitischen Auswirkungen.
Ein von der Kanzlerin geleitetes Klimakabinett mit sechs Fachministern soll nun den Durchbruch bringen. Am Mittwoch traf sich die Runde zum ersten Mal. Bis Ende Mai soll es konkrete Vorschläge für neue Klimaschutzmaßnahmen geben.
„2019 ist das Jahr des Handelns“, sagt Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Allerdings hätte die große Klimaschutzoffensive längst gestartet sein sollen. Bis zum Jahresende will die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg bringen, um das Klimaziel für das Jahr 2030 – 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 – zu erreichen.
Der Weltklimarat IPCC warnt, dass die globale Erwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzt bleiben muss, um das Risiko von Dürre, Überschwemmungen, extremer Hitze und anderen schwerwiegenden Folgen für Hunderte Millionen Menschen zu begrenzen. Dazu sei notwendig, dass weltweit bis 2050 keine Treibhausgase mehr ausgestoßen würden. Aktuell liegen die globalen CO2-Emissionen bei 37 Milliarden Tonnen im Jahr. Knapp zweieinhalb Prozent davon kommen aus Deutschland.
Die Energiewirtschaft ist der Sektor in der Bundesrepublik, der die meisten Treibhausgase freisetzt – gefolgt von Industrie, Verkehr, Immobilien und Landwirtschaft. Gerade in diesen Bereichen konnte Deutschland die Emissionen bisher nur geringfügig reduzieren.
Die Daten zeigen allerdings, dass Fortschritt möglich ist. Obwohl die globalen Emissionen weltweit jährlich zunehmen, hat Deutschland seine Emissionen im Vergleich zu 1990 um 30,6 Prozent verringert. „Es gibt keinen Grund zu Fatalismus, wir können das schaffen“, meint Ottmar Edenhofer, Leiter des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam. „Es gibt schon die politischen Voraussetzungen. Wir haben nur wenig Mut. Das sagen uns die Kinder und Jugendlichen jetzt.“
Edenhofer ist kürzlich Greta Thumberg begegnet, der Ikone der Bewegung. „Greta zwingt die Politik, Farbe zu bekennen“, findet der Forscher. „Die Schüler haben recht – die Politik muss jetzt handeln.“
Was also muss passieren?
Klimasünder Energiewirtschaft
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/E33OTCXO5VO4BSFF3GBPTDYBZU.jpg)
311 Millionen Tonnen CO2 jährlich – die Energiewirtschaft ist der größte Luftverschmutzer. Der Hunger von Industrie und Privatleuten nach grenzenlos verfügbarem Strom macht das Umschalten schwer.
© Quelle: rnd
Um ein Drittel ist der Ausstoß von Treibhausgasen seit 1990 reduziert worden. Auch 2018 hat es in der Energiewirtschaft deutliche Rückgänge gegeben, unter anderem, weil weitere Kohlekraftwerke vom Netz gegangen sind. Zudem stieg die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wie Windkraft- und Solaranlagen weiter an, begünstigt von den Witterungsbedingungen des vergangenen Jahres.
Mit einem Treibhausgasausstoß von 311 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten ist der Energiesektor immer noch der größte Klimasünder in Deutschland. Auch deshalb will die Regierung bis Ende 2038 schrittweise aus der Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke aussteigen.
Die Regionen, in denen Braunkohle abgebaut wird, halten nichts von den Forderungen der Fridays-for-Future-Kids, den Ausstieg um acht Jahre vorzuziehen. „Wir sind seit 1990 im Prozess, sukzessive aus der Braunkohle auszusteigen“, sagt etwa Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD). „Aus meiner Sicht ist es nicht machbar, die Stromerzeugung durch Braunkohle früher als zum vereinbarten Kompromissjahr 2038 zu beenden.“
Die von der Bundesregierung eingerichtete Expertenkommission hatte empfohlen, für den Strukturwandel zum Abfedern des Kohleausstiegs insgesamt rund 40 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Dieses Jahr sollen über ein Sofortprogramm erste Mittel fließen.
Die Herausforderung ist groß: Wegen der Elektrifizierung vieler Bereiche, etwa des Verkehrs, wird der Stromsektor für den Klimaschutz immer wichtiger. Gleichzeitig war Strom für Privathaushalte noch nie so teuer wie jetzt. Im bundesweiten Durchschnitt kostet eine Kilowattstunde Strom 30 Cent – auch wegen der steigenden Preise von Emissionszertifikaten.
Klimasünder Industrie
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/XLOCUPM3G4HACIU7FB2FO7T47E.jpg)
196 Millionen Tonnen CO2 jährlich – so viel Treibhausgas setzt die industrielle Produktion in Deutschland frei. Es ist seit 2005 nicht weniger, sondern mehr geworden.
© Quelle: RND
Mit 196 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ist die Industrie der zweitgrößte Verschmutzer. Seit 2005 haben sich die Emissionen in der Branche nicht reduziert, sondern sogar noch erhöht. Zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung steht die Industrie vor der großen Herausforderung, auf eine CO2-arme oder -freie Produktion umzustellen.
Beispiele dafür gibt es schon: So setzt die Stahlbranche zunehmend auf Wasserstoff bei der Produktion, was die Emissionen von Treibhausgasen deutlich verringert. In Schweden entsteht zurzeit sogar ein Pilotprojekt zur Stahlherstellung ohne fossile Energien.
Um der Industrie angesichts hoher Kosten für Produktionsänderungen entgegenzukommen, stellt das Umweltministerium 45 Millionen Euro zur Verfügung: Geld, das vor allem für energieintensive Branchen wie Stahl, Zement, Kalk und Chemie gedacht ist.
Nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie erwartet die Politik zu viel von dem Sektor. Eine CO2-Minderung von 80 Prozent „bei optimaler politischer Steuerung“ sei nach heutigem Stand der Technik verkraftbar, allerdings nur mit Investitionen von rund 1,5 Billionen Euro bis 2050. Das Ziel einer Verringerung der Treibhausgasemissionen von 95 Prozent bis 2050 aber sei unrealistisch.
Klimasünder Verkehr
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LCYEHUI634ITQFL2KL6B3ELL2Y.jpg)
162 Millionen Tonnen CO2 pusten Benzin- und Dieselautos sowie Lkw jedes Jahr in die Atmosphäre. Dabei liße sich hier durch Verhaltensänderung am meisten bewirken.
© Quelle: RND
Der Verkehr steht derzeit im Mittelpunkt der Klimadebatte – denn es ist der einzige Sektor, in dem seit 1990 so gut wie keine Fortschritte bei der Verringerung der CO2-Emissionen erzielt wurden. Sie liegen immer noch bei 162 Millionen Tonnen pro Jahr. Nun soll der Ausstoß innerhalb von zehn Jahren um 40 bis 42 Prozent sinken. So haben es Union und SPD im Koalitionsvertrag festgehalten.
„Im Bereich Verkehr sind wir weit, weit von den Zielen entfernt“, klagt Klimaökonom Edenhofer. Zwar verbraucht das einzelne Auto weniger Treibstoff als früher – dafür gibt es aber viel mehr Autos, die mehr fahren. Und natürlich hat auch der Lkw-Verkehr zugenommen. „Wirksame Emissionsminderungen sind im Verkehr wie in allen Sektoren nur mit einer CO2-Steuer zu erreichen“, ist Edenhofer überzeugt.
Oder doch einfach höhere Preise? 2018 jedenfalls ging der Treibhausgasausstoß durch den Verkehr leicht zurück. Eine Erklärung könnten laut Umweltministerium höhere Preise für Benzin und Diesel sein – und in der Folge weniger Autofahrten. An Ideen jedenfalls mangelt es nicht.
Über 60 Maßnahmen zur Emissionsminderung hat eine Arbeitsgruppe für das Verkehrsministerium diskutiert. Schlagzeilen machte das Tempolimit auf Autobahnen. Auch ein Bonus-Malus-System wäre denkbar: Wer ein klimafreundliches Auto kauft, wird gefördert, wer einen Spritfresser will, zahlt drauf. Das Verkehrsministerium setzt allerdings vor allem auf den massiven Ausbau der E-Mobilität, des öffentlichen Nahverkehrs sowie alternativer Kraftstoffe.
Ein Thema für sich ist der internationale Flugverkehr. Flugbenzin wird nämlich überhaupt nicht besteuert. Das wäre allerdings absolut notwendig, sagt Professor Niklas Höhne von der Denkfabrik New Climate: „Nur auf diese Weise wird man weniger fliegen und mehr mit der Bahn fahren. Und eine CO2-Steuer wäre ein Auftrag für die Flugindustrie, eine Alternative für Kerosin zu finden.“
Klimasünder Heizung
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IFRFMH7HULB3VRAQYGV6BDX34M.jpg)
117 Millionen Tonnen CO2 jährlich verursacht das Beheizen von Wohn und Geschäftshäusern. Die Verpflichtung zum Fast-Null-Energie-Bauen soll helfen.
© Quelle: RND
Das Heizen und Kühlen von Häusern und Gebäuden erfordert viel Energie – und bringt jährlich 117 Millionen Tonnen CO2 mit sich. Eine europäische Richtlinie sieht vor, dass Neubauten ab 2021 nur noch als „Fast-null-Energie-Gebäude“ gebaut werden dürfen. Wärmepumpen mit Ökostrom gelten als Alternative zu herkömmlichen Heizungsanlagen.
„Es ist relativ einfach, energieneutrale Häuser zu bauen“, sagt Klimaforscher Niklas Höhne. Beim so genannten Bestand sei die Aufgabe schwieriger: „Die meisten älteren Häuser stehen noch für lange Zeit. Das heißt, dass wir den gesamten Gebäudebestand renovieren müssen. Das ist eine große Herausforderung für Besitzer und Politik.“
Klimasünder Landwirtschaft
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/42JFSABJJ65WZ3TCG7KCVFVDMU.jpg)
70 Millionen Tonnen CO2 jährlich – in der Landwirtschaft hat es in 15 Jahren praktisch keinen Fortschritt bei der Reduzierung gegeben.
© Quelle: RND
Hier sind in Bezug auf die CO2-Emissionen (70 Millionen Tonnen jährlich) kaum Fortschritte erzielt worden. Dennoch: Der Sektor spielt eine wichtige Rolle für das Erreichen der Klimaziele. „Ohne die Landwirtschaft werden wir die Klimawende nicht schaffen“, meint Professorin Regina Birner von der Universität Hohenheim.
Sie setzt insbesondere auf drei wichtige Wege, um die Emissionen in der Agrarwirtschaft zu verringern:
• Schutz der Moore
• Reduzierung von Dünger
• Verringerung des Fleischverbrauchs
Den größten Effekt hätte der Moorschutz, da die Nutzung der Moore die Hälfte der Treibhausgasemissionen aus der landwirtschaftlichen Bodennutzung ausmacht. Moore, meint Birner, sollten nur extensiv als Grünland genutzt oder wieder vernässt werden.
Weiterlesen:
Grünen-Politiker: „Fridays for Future erinnert mich an meine Jugend“
Von Ties Brock/RND