KI-Wahlwerbespot gegen Joe Biden: „Die Hemmschwellen sinken“
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Die Republikaner greifen US-Präsident Joe Biden mit einem KI-generierten Wahlwerbespot an.
© Quelle: Screenshot YouTube-Kanal @GOP
Es ist sein Gebiss, an dem man den Fake-Biden am ehesten erkennt. Auf jenem Bild, auf dem er und Kamala Harris strahlend und mit erhobenen Armen den Wahlkampfsieg 2024 feiern, im Hintergrund US-Flaggen und Jubelrufe. Doch im Unterkiefer des Wahlsiegers drängen sich etwas zu viele Zähne; man muss jedoch schon etwas genauer hinsehen, um den Fehler zu finden.
Das Bild gehört zu einem Wahlwerbespot der Republikaner, mit dem sie Amtsinhaber Joe Biden angreifen. Der Spot besteht einzig aus mit künstlicher Intelligenz generierten Bildern – der erste KI-Werbespot in der US-Wahlkampfgeschichte. Er platzt mitten in eine weltweite Diskussion um die Risiken und Täuschungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz.
Erst im März kursierten fiktive Bilder von der Verhaftung Donald Trumps im Zuge seines Gerichtsprozesses in New York. Zuletzt warnte Geoffrey Hinton, einer der Vordenker der künstlichen Intelligenz, vor seinem eigenen Werk. Ein durchschnittlicher Mensch könne nicht mehr erkennen, „was noch wahr ist“, sagte Hinton.
Das Wahlkampfvideo gegen Biden zeichnet eine düstere Zukunft nach dem fiktiven Wahlsieg der Demokraten: China greift Taiwan an, die amerikanischen Banken kollabieren, Flüchtlingsströme durchbrechen die Grenzen im Süden der USA, und in den amerikanischen Großstädten eskalieren Kriminalität und Gewalt. Das letzte Bild des 33-sekündigen Clips zeigt einen überfordert wirkenden Biden an seinem Schreibtisch.
Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) ordnet Johannes Thimm, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), das Video im Kontext der US-amerikanischen Wahlgeschichte ein.
Herr Thimm, schon heute ist es schwer, Fakten von Fake News in US-Wahlkämpfen zu unterscheiden. Was bedeutet es für den Wahlkampf, wenn Bildern und Videos auf den ersten Blick nicht mehr getraut werden kann?
Es ist richtig, dass neue Technik neue Möglichkeiten der manipulativen Wahlwerbung eröffnet, die es so in der Form vorher noch nicht gegeben hat. Allerdings ist das Phänomen von manipulativen Wahlwerbespots nicht neu. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Kampagne von George W. Bush gegen John Kerry. Damals gab es mehrere Wahlwerbespots einer Gruppe namens Swift Boat Veterans, die Behauptungen aufgestellt hat, dass John Kerry über seinen Militärdienst in Vietnam und Medaillen und Auszeichnungen gelogen hat. Der Wahlwerbespot selbst bestand aus lauter Lügen, die auch hinterher diskreditiert worden sind, aber die wahrscheinlich einen Einfluss in diesem Wahlkampf gehabt haben und John Kerry geschadet haben.
Bush versus Kerry lautete das Duell im Präsidentschaftswahlkampf 2004.
Genau – das war lange vor der Diskussion um Fake News. Unehrliche und negative Wahlkampfwerbung gehört in den USA schon immer dazu. Da wird mit härteren Mitteln und mit manipulativen Methoden gekämpft, die bei uns so nicht üblich sind. Man redet von negative campaigning und attack ads, also Werbespots, die den Gegner angreifen. Das gehört zum Wahlkampfgeschäft dazu.
Trotzdem hat man nun das Gefühl, dass solch ein KI-Video eine neue Dimension eröffnet, um die Wähler in die Irre zu führen.
Das ist zweifelsohne so. Das ist eine sehr aktuelle Entwicklung, bei der wir die Folgen noch nicht abschätzen können. Ich will nur sagen: Obwohl die Möglichkeit, mit KI auch völlig falsche Bilder zu generieren, eine neue Qualität bedeutet, gibt es eine gewisse Kontinuität. Doch die Techniken der Manipulation sind nicht neu. Es wurde auch vorher schon bedrohliche Musik eingesetzt. Es wurden Bilder und Äußerungen komplett aus dem Kontext gerissen. Das Phänomen, dass man mit Bildern und mit Fernsehbeiträgen oder Videos manipulieren kann, ist in der Wahlkampfwerbung in den USA nicht neu.
Krieg, Finanzkrise, Geflüchteten an den US-amerikanischen Grenzen. Das ist die Dystopie, die im Anti-Biden-Spot gezeigt wird. Welche Strategie verfolgen die Republikaner mit diesem Video?
Die Message des Videos zielt darauf ab, Biden als schwachen Präsidenten darzustellen, der den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen ist. Das ist eine Kritik, die generell von den Republikanern an die Präsidentschaft von Biden gerichtet wird. Unterschwellig steckt da auch eine Anspielung auf sein Alter drin, obwohl das nicht explizit genannt wird.
Was für Reaktionen hat das Anti-Biden-Video in den USA ausgelöst?
Ich habe keinen großen Aufschrei mitbekommen, keine große Kontroverse. Im Zeitalter von Donald Trump, der ja auch für seine Lügen bekannt geworden ist, oder von Nachrichtensendern wie Fox News, die sehr lose mit der Wahrheit umgehen und Unwahrheiten verbreiten, ist es erwartbar, dass der Ton eben noch mal rauer wird.
Es ist jedoch zu lesen, dass künstliche Intelligenz den Wahlkampf in Zukunft stärker prägen wird. Was für neue Formen wären in diesem Zusammenhang denkbar?
Durch künstliche Intelligenz falsche Bilder zu generieren beinhaltet auch ganz andere Möglichkeiten, zum Beispiel für Deep Fakes; manipulierte Videoaufnahmen, die auch von ausländischen Akteuren zur Desinformation eingesetzt werden können. Wir hatten im Wahlkampf 2016 schon Versuche, vor allem von russischer Seite, in den Wahlkampf einzugreifen. Wir müssen damit rechnen, dass dies auch in diesem Präsidentschaftswahlkampf wieder passieren wird und ausländische Akteure noch sehr viel weiter gehen werden, als es jetzt das Republikanische Nationale Komitee getan hat.
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War der Wahlkampf 2016 der Beginn des digitalen Zeitalters der Desinformation? Soziale Medien hatten einen sehr viel stärkeren Einfluss als bei früheren Wahlen.
In den USA wurden soziale Medien zu dieser Zeit tatsächlich sehr viel stärker eingesetzt, insbesondere Facebook. Die Firma Cambridge Analytica hat damals ohne deren Einverständnis auf persönliche Daten von Facebook-Nutzern zugegriffen, um gezielt Werbung schalten zu können. Das waren alles neue Phänomene. In sozialen Medien ist die Kontrolle der Echtheit schwächer ausgeprägt als in traditionellen Medien. Das macht es leichter, Falschinformationen zu verbreiten; was besonders viel Empörung generiert, geht besonders leicht viral. Das war im amerikanischen Wahlkampf 2016 eine neue Qualität.
Aber Falschinformationen, wie sie etwa auch im Rahmen der Stop-the-steal-Kampagne von Trump verbreitet wurden, lassen sich leichter widerlegen als künstliche Bilder.
Selbst wenn Falschinformationen im Nachhinein richtiggestellt werden mit Faktenchecks, bekommt man die ursprüngliche Falschinformation nie ganz ausgeräumt. Auch bei Wählern, die im Nachhinein mit Richtigstellungen konfrontiert werden, setzt sich von den ursprünglichen Falschinformationen häufig etwas fest.
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© Quelle: dpa
Die Gefahr besteht also auch bei dem aktuellen KI-Werbespot der Republikaner?
Bei diesem aktuellen Wahlwerbespot geht es nicht so sehr um die einzelne Information, die präsentiert wird, sondern generell darum, ein Narrativ zu schaffen. Ebendieser Eindruck, dass Biden seinen Aufgaben nicht mehr gerecht wird und dass man deswegen einen republikanischen Kandidaten wählen soll. Allgemein ist der Einfluss von Werbung und von Wahlwerbung im Speziellen aber schwer zu messen. In der heißen Phase des Wahlkampfes werden Amerikanerinnen und Amerikaner dermaßen überflutet mit Werbespots, dass viele diese komplett ausblenden und nicht mehr so intensiv wahrnehmen.
Die Republikaner haben schon während der Trump-Zeit mit sehr harten Bandagen gekämpft und Desinformation verbreitet.
Die Republikaner sind allgemein eher bereit, in der Wahlkampfwerbung deutlich weiter zu gehen; ich finde es auch bemerkenswert, dass sie keine Hemmungen haben, die neue KI-Technik gleich einzusetzen. Aber ich würde die Demokraten nicht davon ausnehmen. Die Parteien schaukeln sich gegenseitig hoch, es werden eben attack ads von links geschaltet. Im Wahlkampf arbeiten alle Seiten mit teilweise problematischen Methoden.
Seit sich KI-Tools wie ChatGPT oder Dall-E verbreiten, wird über die Risiken der künstlichen Intelligenz heftig diskutiert. Der Historiker Yuval Noah Harari hat jüngst im „Economist“ geschrieben, dass die Geschichte der Menschheit dadurch verändert werden könnte.
Es ist zu einer Situation gekommen, dass die Technik Dinge möglich macht, auf die Politik und Gesellschaft aktuell noch keine Antwort haben. Die Entwicklung geht zu schnell, als dass man angemessen darauf reagieren und dem Einhalt gebieten kann. In diesem Zusammenhang ist auch das Thema der Wahlwerbung zu sehen. Es ist so ähnlich wie bei den sozialen Medien, durch die es ebenso zu vielen nicht beabsichtigten und durchaus problematischen Effekten für die Demokratie gekommen ist. Diese Entwicklung wird durch künstliche Intelligenz noch einmal verstärkt und beschleunigt.
Was für Folgen hat das für die amerikanische Wahlkampfkultur, die dafür bekannt ist, besonders laut und aggressiv zu sein?
In letzter Konsequenz kann man das noch nicht abschätzen. Man kann ein paar Trends erkennen und absehen, dass es wahrscheinlich keine gute Entwicklung ist. Auch vor dem Hintergrund, dass generell die Hemmschwellen sinken und der politische Diskurs rauer wird. Es wird immer Akteure geben, die versuchen werden, alles auszunutzen, was ihnen zur Verfügung steht. Aber es gibt auch gewisse Gewöhnungseffekte, wenn eine bestimmte Technik eine Weile im Umlauf ist. Ich glaube, dass die Gesellschaft insgesamt lernfähig ist und mit der Zeit skeptischer gegenüber den neuen KI-Formen wird.