Mindestlohn erhöht, Rentenalter abgeschafft

Erdogan kämpft um den Machterhalt – und verteilt Wahlgeschenke

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

So spannend war noch keine Wahl, seit die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) von Recep Tayyip Erdogan Ende 2002 in der Türkei an die Macht kam. Seit über 20 Jahren bestimmt der islamisch-konservative Politiker die Geschicke seines Landes – zuerst als Premierminister und seit 2014 als ein zunehmend autokratischer Staatschef.

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Am Freitag veröffentlichte der Oberste Wahlrat (YSK) die Kandidatenliste. Außer Erdogan stellen sich drei Bewerber zur Wahl. Nur einer hat Chancen, Erdogan zu schlagen: Kemal Kilicdaroglu (74), Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP und gemeinsamer Kandidat von sechs Parteien. Die beiden anderen Aspiranten, Muharrem Ince und Sinan Ogan, sind Außenseiter.

Inflation offiziell bei 55 Prozent, inoffiziell bei 127 Prozent

Bisher hat der 69-jährige Erdogan keine Wahl verloren. Aber diesmal könnte es so weit sein. Die Inflation treibt immer mehr Menschen aus der Mittelschicht in die Armut und die Armen noch tiefer ins Elend. Die staatlich kontrollierte Statistikbehörde Türkstat bezifferte die Teuerung im Februar auf 55 Prozent. Die Zahl ist aber möglicherweise getürkt. Die regierungsunabhängige Forschungsgruppe Enag errechnet eine Inflationsrate von 127 Prozent.

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Auch das chaotische Krisenmanagement nach dem verheerenden Erdbeben von Anfang Februar, das 50.000 Todesopfer forderte, hat Erdogans Image beschädigt. In einer Umfrage von Mitte März sagte jeder vierte Befragte, die Bebenkatastrophe werde ihn dazu bewegen, diesmal eine andere Partei als bisher zu wählen.

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Erdogans Wahlgeschenke: Mindestohn rauf, Rentenalter abgeschafft

Erdogan ist also in der Defensive. Er versucht gegenzusteuern. Diese Woche kündigte der Präsident eine weitere Erhöhung des Mindestlohnes an. Sie soll nach den Wahlen im Juli wirksam werden. Wie stark der Mindestlohn steigen wird, sagte Erdogan nicht. Erst im Januar hatte die Regierung ihn um 55 Prozent angehoben. Im Jahr davor gab es zwei Erhöhungen. Aber die Inflation frisst die Steigerungen schnell wieder auf. Mitte 2020 betrug der Netto-Mindestlohn 2325 Lira. Aktuell liegt er bei 8507 Lira. Aber die Kaufkraft ist gesunken – von umgerechnet 440 auf 407 Euro.

Nach Berechnungen des türkischen Gewerkschaftsbundes Türk-Is liegt die Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie aktuell bei 31.241 Lira. Das ist fast das Vierfache des Mindestlohns, mit dem 40 Prozent aller türkischen Arbeitnehmer auskommen müssen. Die Hungergrenze – der Betrag, den eine vierköpfige Familie allein für die nötigsten Lebensmittel benötigt – liegt laut Türk-Is bei 9591 Lira.

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Erdogan setzt Wahlen in der Türkei offiziell für 14. Mai an

Die werden damit rund drei Monate nach den schweren Erdbeben und etwa einen Monat früher als zunächst gedacht erfolgen.

In vielen Umfragen liegt Kilicdaroglu vorn – aber es geht wohl in die Stichwahl

Um die Folgen der Inflation abzufedern, kündigte Erdogan jetzt eine Senkung der Stromtarife um 15 Prozent an, Erdgas soll für Privathaushalte ab April 25 Prozent billiger werden. Bereits Ende Dezember hatte Erdogan das Rentenmindestalter von 58 Jahren für Frauen und 60 für Männer abgeschafft. Damit können Türkinnen und Türken nun bereits mit Anfang 40 in Rente gehen. Das betrifft unmittelbar rund zwei Millionen Menschen.

Ob die Wahlgeschenke Erdogan den Sieg bescheren, ist ungewiss. In allen Umfragen liegt Kilicdaroglu vorn – in einigen deutlich, in anderen allerdings so knapp, dass die Demoskopen nicht prognostizieren können, wer am Ende gewinnt. Beispiel: In einer Erhebung des Instituts Saros vom 21. März kommt Kilicdaroglu auf 45,5 und Erdogan auf 44,3 Prozent.

©Nicolas Landemard / Le Pictorium/MAXPPP - Bruxelles 24/03/2023 Nicolas Landemard / Le Pictorium - 24/03/2023 - Belgique / Bruxelles / Bruxelles - Conference de presse d'Emmanuel Macron au sommet Europeen a Bruxelles / 24/03/2023 - Belgium / Brussels / Brussels - Press conference of Emmanuel Macron at the European summit in Brussels

Ein Königreich für einen Präsidenten

Obwohl die umstrittene Rentenreform offiziell beschlossen ist, gehen die Proteste gegen sie weiter: Frankreich kommt nicht zur Ruhe. Große Verantwortung dafür trägt Emmanuel Macron mit einem Regierungsstil, der noch aus der Monarchie zu stammen scheint.

Dass gleich drei Oppositionskandidaten antreten, spielt Erdogan in die Hände. Auch wenn Ince und Ogan nur auf niedrige einstellige Stimmenprozente hoffen dürfen, könnten sie dafür sorgen, dass Kilicdaroglu sein Ziel verfehlt, schon im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen zu erhalten. Erreicht am 14. Mai kein Kandidat die absolute Mehrheit, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden führenden Bewerbern statt. Das werden, so viel ist schon heute sicher, Erdogan und Kilicdaroglu sein.

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