Mitten im Wahlkampf

Erdogans Aussetzer live im Fernsehen: Warum verheimlichen Politiker ihre Gesundheitsprobleme?

Wegen einer Erkrankung musste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag eine Wahlkampf­pause einlegen.

Wegen einer Erkrankung musste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag eine Wahlkampf­pause einlegen.

Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag ein Interview wegen gesundheitlicher Probleme hatte abbrechen müssen, berichtete ein türkischer Journalist, Erdogans Arzt habe ihm schon vor der Sendung dringend von der Teilnahme abgeraten. Trotzdem trat der Präsident auf. Im Gespräch mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) erklären zwei Psychologen, warum Spitzen­politiker oft versuchen, ihre Gesundheits­probleme zu verheimlichen.

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„Politiker sollen Interessen durchsetzen, Probleme lösen, das Land voranbringen. Dafür müssen sie belastbar, aufnahmefähig, entscheidungs­schnell und verhandlungs­sicher sein“, sagt Thomas Kliche, Politik­psychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Schwächen, Schmerzen, Konzentrations­mängel schränken diese Kompetenzen ein“, so Kliche weiter.

Auch bei den Wählern und Wählerinnen zählen Gesundheit und Fitness

Auch für die Wahl­entscheidung der Bürgerinnen und Bürger spielten Gesundheit und Fitness eine Rolle, erklärt Siegfried Preiser, Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin. „Wahl­entscheidungen werden auf unterschiedlicher Basis getroffen“, so der Experte. Wichtig sei unter anderem der Fokus auf eine Person, die kompetent, fit und beliebt ist. Mindestens genauso wichtig sei die Frage nach sachlichen Gründen, Werten und konkreten Absichten.

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Dass Spitzen­politiker ihre gesundheitlichen Probleme verheimlichen, kommt immer wieder vor. Helmut Schmidt ist während seiner Amtszeit als Bundeskanzler mehrfach zusammengebrochen, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Helmut Kohl absolvierte einen für ihn kritischen CDU-Parteitag trotz einer schmerzhaften Prostata­erkrankung. Und Heide Simonis, frühere Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, verschwieg viele Jahre eine Krebserkrankung.

Für Autokraten ist das Thema besonders brisant

Bei autokratischen Politkern sei das Thema Gesundheit noch einmal brisanter, sagt Kliche: „Das Versprechen von Stärke und Härte ist in der Regel eine Säule ihres psychologischen Vertrags mit der Bevölkerung: Nehmt mich, ich setze eure Sache durch, mit allen Mitteln.“

Es gibt hartnäckige Gerüchte, dass der russische Präsident Wladimir Putin an Krebs erkrankt sei. Auch wenn es stimmen sollte: Zugeben würde Putin das wohl nie. In dem Moment, wo die Politik sehr stark personalisiert ist, sei es eine Katastrophe, wenn die Person infrage gestellt wird, an der sich das gesamte System orientiert, sagte Preiser dazu.

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„Psychische Erkrankungen, auch Süchte, sind ein Tabu in der Politik“

Doch es gibt auch die Möglichkeit, offensiv mit einer Erkrankung umzugehen. Bei der rheinland-pfälzischen Minister­präsidentin Marie-Luise Dreyer diagnostizierten die Ärzte im Jahr 1995 die Nerven­krankheit Multiple Sklerose (MS). Trotzdem machte sie weiter und zeigt sich heute auch häufig im Rollstuhl. Auswirkungen auf ihre politische Karriere hatte das offenbar nicht.

Ist all die Geheimnis­krämerei also eigentlich umsonst? „Das hängt von der Erkrankung ab“, erklärt Kliche. „Psychische Erkrankungen, auch Süchte, sind ein Tabu in der Politik.“ Bei Führungs­kräften würden psychische Erkrankungen noch immer als große Schwäche für Kompetenz, Berechenbarkeit und Handlungs­fähigkeit gelten. „Über häufige und unverschuldete körperliche Erkrankungen wie etwa Krebs kann ein Politiker dagegen öffentlich reden, ohne Vertrauen zu verlieren“, sagte Kliche. „Das kommt als ein authentischer, mutiger Teil zur Bewältigung dieses Schicksals­schlags an.“

So kämpft die türkische Opposition in Deutschland um Wähler

Der türkische Wahlkampf ist in vollem Gange. Die Umfragen zeigen: Es ist eng. In Deutschland kämpft die Opposition um wichtige Wähler­stimmen. Wir waren dabei.

Erdogan weiter angeschlagen: Wahlkampf per Videokonferenz

Nach Angaben des türkischen Gesundheits­ministers ist Erdogan auf dem Weg der Besserung – an seinen Wahlkampf­terminen nahm er am Donnerstag und Freitag aber nur per Video­konferenz teil, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete. Eine Videoschalte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verzögerte sich um drei Stunden.

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Spekulationen über einen möglichen Herzinfarkt des türkischen Präsidenten hat ein Erdogan-Sprecher inzwischen hart dementiert. Erdogan selbst hatte im Fernsehen von einer „ernsten Magen-Darm-Grippe“ gesprochen.

Mustafa Yeneroglu (AKP), der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments, äußert sich am 21.11.2016 bei einer Pressekonferenz in der türkischen Botschaft in Berlin zu aktuellen politischen Ereignissen in der Türkei und zu den deutsch-türkischen Beziehungen. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

„Wenn die Opposition die Wahlen gewinnt, werden alle gewinnen“

Den türkischen Präsidenten Erdogan hat der deutsch-türkische Abgeordnete Yeneroglu lange Zeit vehement gegen Kritik verteidigt – auch in Deutschland. Heute engagiert sich Yeneroglu dafür, dass der Autokrat in Ankara entmachtet wird. Erdogans Unterstützung in Deutschland schwindet.

In einem Ausschnitt aus einer gemeinsamen Talksendung der türkischen Fernseh­sender Ülke TV und Kanal 7 war zu sehen, wie Erdogan gemeinsam mit anderen Personen in einem Studio saß. Am Anfang des Videos sind im Hintergrund würgeähnliche Geräusche zu vernehmen, während die Kamera auf Erdogans Gesprächs­partner gerichtet ist. Der Sprecher steht plötzlich erschrocken auf, offenbar, um Erdogan zu helfen. Danach wird die Sendung unterbrochen. Wenig später meldet sich Erdogan im Fernsehen zurück.

Der regierungsnahe Journalist Abdulkadir Selvi schrieb am Mittwoch in einem Artikel der türkischen Zeitung „Hürriyet“, was vor der Sendung geschehen war. Demnach habe Erdogan zuvor 17 Stunden gearbeitet und war bereits gesundheitlich angeschlagen. Sein Arzt habe ihm geraten, die Sendung abzusagen. Doch Erdogan habe darauf beharrt teilzunehmen. Das hatte schon im Vorfeld Auswirkungen: Die Sendung musste anderthalb Stunden später ausgestrahlt werden, und die Sendezeit verkürzte sich.


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