„Es fehlt Schnelligkeit“: Bad Neuenahr-Ahrweilers Bürgermeister kritisiert Bürokratie nach Flutkatastrophe
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Bad Neuenahr-Ahrweiler: Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) errichteten eine Behelfsbrücke für die Ahr, die schon in wenigen Tagen eine Brücke, die an gleicher Stelle vom Hochwasser total zerstört wurde, ersetzt hat.
© Quelle: Thomas Frey/dpa
Mit klaren Worten hat Bürgermeister Guido Orthen (CDU) die Lage in Bad Neuenahr-Ahrweiler fast genau ein Jahr nach der Hochwasserkatastrophe beschrieben. „Wir leben seit einem Jahr im Ausnahmezustand, der Kraft kostet, der auslaugt“, sagte der 55-Jährige in einer Medienrunde eine Woche vor dem Jahrestag der Flutkatastrophe. 69 Menschen kamen in der Kurstadt im nördlichen Rheinland-Pfalz dabei ums Leben, mehrere Hundert wurden verletzt. Insgesamt waren rund 18.000 Menschen betroffen, darunter neben Einwohnerinnen und Einwohnern auch Touristinnen und Touristen.
Beim bisherigen Wiederaufbau im städtischen Bereich, etwa bei Teilen der Infrastruktur wie den Brücken über die Ahr, handele es sich zum Großteil nach wie vor um Provisorien. In einem zu Jahresbeginn verabschiedeten Maßnahmenpaket werden die Kosten für die Schadensbehebungen und den Neuaufbau auf 1,7 Milliarden Euro geschätzt.
„Wir haben gefühlt weniger geschafft, als wir im Herbst vergangenen Jahres gehofft hatten“, betont Orthen. Zwischenzeitlich schien es möglich, dass alles schneller geht, „doch jetzt kommen Enttäuschung, Ratlosigkeit und Ernüchterung. Auch wenn die Sonne scheint ist nicht alles hell.“ Das größte Problem sieht Orthen in der komplexen bürokratischen Arbeit, die von Stadt wie Privatpersonen geleistet werden muss, um Hilfen zu erhalten und den Wiederaufbau voranzutreiben. „Es fehlt an Schnelligkeit, es gibt aufwendige Auftrags- und Bewilligungsprozesse. Wir befinden uns in einer Zuständigkeits- und Bürokratiefalle“, sagt das Stadtoberhaupt.
Bürgermeister Orthen: Hochwasserschutz muss „von Land oder Bund“ kommen
Ein Beispiel für die behördlichen Schwierigkeiten sieht die Stadt etwa beim Hochwasserschutz an der Ahr. „Die Zuständigkeit muss – mindestens für die vollständige Finanzierung der erforderlichen Maßnahmen – auf das Land, besser sogar den Bund übergehen“, fordert Orthen. Das liege aus seiner Sicht allein darin begründet, dass die betroffenen Regionen an dem Fluss nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch in Nordrhein-Westfalen liegen und sich die Maßnahmen damit über zwei Bundesländer erstrecken.
Die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler habe überdies derzeit 1400 Maßnahmen für den Wiederaufbau in Planung, 22 Anträge sind gestellt, von denen bisher keiner final bearbeitet wurde. „Es fehlt an vielen Stellen das Bewusstsein für die katastrophale Ausnahmesituation im Ahrtal“, beklagt Orthen. Von der „versprochenen unbürokratischen Hilfe“, etwa auch bei der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach dem Auslaufen der Kurzarbeitsfrist von zwölf Monaten, sei wenig zu sehen.
Insgesamt stelle sich die Situation der Betroffenen sehr unterschiedlich dar. „Die Menschen haben gerade mit der unbeschreiblichen Hilfe von außen viel geschafft. Viele Häuser sind saniert und werden wieder bewohnt, während einige Bürgerinnen und Bürger noch immer in Notunterkünften wohnen müssen“, erklärte der Bürgermeister. Die Einwohnerzahl von Bad Neuenahr-Ahrweiler ist um rund sieben Prozent von 29.300 vor der Flut auf 27.150 zum aktuellen Zeitpunkt gesunken. Ein Großteil der Abgewanderten sind über 60 Jahre alt. „Das kann man nach der Katastrophe gut nachvollziehen. Wer will sich in diesem Alter noch der Herausforderung stellen, sein Heim wieder aufzurichten, mit diesen Ereignissen im Hinterkopf?“, gibt Orthen zu bedenken.
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