EU-China-Gipfel: Europas geopolitisches Erwachen
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Li Keqiang (l), Premierminister von China, und Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, sprechen per Videokonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Michel und dem Chef der EU-Außenpolitik Borrell während eines EU-China-Gipfels im Gebäude des Europäischen Rates in Brüssel.
© Quelle: Olivier Matthys/Pool AP/dpa
Peking. Noch während Xi Jinping sein Videogespräch mit Vertretern der europäischen Union führt, schicken seine Regierungsvertreter bereits eine erste Aussendung an die Presse. „Wir hoffen, dass die europäische Seite eine autonome Politik gegenüber China beibehält“, heißt es darin. Die Aussage bringt auf den Punkt, was die Volksrepublik am stärksten fürchtet: dass Brüssel und Washington den Schulterschluss suchen und künftig geeint auftreten.
Und in der Tat findet der erste EU-China-Gipfel seit zwei Jahren zu einem Zeitpunkt zunehmender Polarisierung statt. Innerhalb Europas haben die Ereignisse der letzten Monate und vor allem Wochen zu einem regelrechten geopolitischen Erwachen geführt. In Bezug auf China hat sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass das Land unter Xi Jinping längst nicht nur Wirtschaftspartner, sondern auch eine sicherheitspolitische Herausforderung darstellt. Einige Hardliner würden sogar von einer Bedrohung sprechen.
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Thematisch wurde der Gipfel wie zu erwarten vom Krieg in der Ukraine dominiert. Die EU wollten den Chinesen deutlich machen, dass eine direkte – möglicherweise militärische – Unterstützung Russlands Kosten haben würde. Mit einem gemeinsamen Handelsvolumen von zuletzt über 800 Milliarden Dollar hat man auch einiges an Hebelwirkung in die Waagschale zu werfen. Chinas Handel mit Russland beträgt – trotz steigender Tendenz – nicht einmal ein Fünftel davon.
Doch Hoffnungen darauf, dass die chinesische Regierung Wladimir Putin zum Einlenken bringen könnte, wurden bereits im Vorfeld zunichte gemacht. „Niemand sollte andere zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden“, hieß es aus dem Pekinger Außenministerium am Freitag nur wenige Stunden vor dem EU-China-Gipfel. „Das Problem ist jetzt nicht, welches Land Russland helfen will, die Sanktionen zu umgehen, sondern die Tatsache, dass der normale Handelsaustausch zwischen Ländern, einschließlich China, mit Russland unnötigerweise geschädigt wird“, sagte Sprecher Zhao Lijian weiter.
Das offensichtliche Festhalten am russischen Narrativ setzte sich auch im Laufe des Tages fort, als Chinas Premier Li Keqiang per Videoschalte auf Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel traf. Die erste Aussendung der chinesischen Regierung war allein in ihrer Sprachwahl entlarvend. Zur russischen Invasion auf europäischen Boden heißt es etwa: „Die Seite der EU hat ihre Ansichten und Positionen zur derzeitigen Situation in der Ukraine dargelegt.“ Es bleibt die offensichtliche Frage, wie China bei der Lösung eines Krieges mithelfen kann, den es nicht einmal als solchen anerkennt.
Peking nimmt sich rhetorisch etwas zurück
Doch zumindest rhetorisch hat sich Peking etwas zurückgenommen. Keine Rede war mehr davon, dass vor allem die Nato schuld an der Eskalation trage, und dass man Russlands „legitime Sicherheitsinteressen“ berücksichtigen müsse. Stattdessen wolle man „eine konstruktive Rolle spielen, um die Lage zu entspannen, die Feindseligkeiten einzustellen, eine größere humanitäre Katastrophe zu verhindern und den Frieden bald zurückkehren zu lassen“. Immerhin das.
Doch von reinen Worten sollte man sich nicht blenden lassen. Die chinesische Regierung passt ihre Aussagen stark an den jeweiligen Adressaten an. Noch am Mittwoch wurde etwa der in die chinesische Provinz Anhui eingeflogene russische Außenminister Sergej Lawrow als Ehrengast hofiert. Die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und China würden sich „in die richtige Richtung entwickeln“, ließ man ausrichten.
Bei Außenminister-Treffen: China verurteilt westliche Sanktionen gegen Russland
Die Außenminister Russlands und Chinas bezeichneten die Strafmaßnahmen am Mittwoch als illegal und kontraproduktiv, erklärte das russische Außenministerium.
© Quelle: Reuters
Und auf sozialen Medien tragen sowohl Chinas Diplomaten als auch Staatsjournalisten stolz ihren Nationalismus nach außen. Sie publizierten Karikaturen, die Europa als Marionette der USA darstellen, teils auch mit antisemitischen Anleihen. „Die EU sollte über all ihre Taten der letzten Monate reflektieren“, mahnt Chen Weihua, Brüssel-Korrespondent der Parteizeitung „China Daily“ auf Twitter.
Unternehmen kalkulieren ihre Risiken neu
Tatsächlich dient der Krieg in der Ukraine als Katalysator für Europas politische Re-Evaluierung seiner China-Strategie – wenn auch anders, als es sich Xi Jinping wünschen würde. Und selbst die heimischen Unternehmen, die auf dem chinesischen Markt aktiv sind, kalkulieren ihre langfristigen Risiken neu. Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen drängt sich etwa die Frage auf, was passieren würde, wenn China zur Zielscheibe westlicher Sanktionen wird – etwa, indem es den Inselstaat Taiwan einnimmt, oder Moskau mit Waffenlieferungen für seine Invasion in der Ukraine aushilft.
Laut einer Umfrage der deutschen Handelskammer in Peking vom Donnerstag gaben knapp ein Drittel aller befragten Unternehmen an, dass sie ihre geplanten Investitionen in China vorerst suspendieren oder gar vollständig streichen. „Aufgrund des Krieges in der Ukraine wirkt sich die aktuelle geopolitische Krise für mehr als die Hälfte der antwortenden Unternehmen auf die China-Strategie ihrer Zentrale aus“, heißt es in der Studie.
Doch tatsächlich, und das ist die überraschendste wertvollste Erkenntnis, wirkt die politische Abkühlung in beide Richtungen: Einerseits überlegen 10 Prozent der Unternehmen, sich vollständig aus dem chinesischen Markt zurückzuziehen; weitere 27 Prozent gehen davon aus, die Diversifizierung innerhalb Asiens voranzutreiben. Doch gleichzeitig möchten immerhin 23 Prozent aller deutschen Konzerne ganz entgegengesetzt ihre Lieferketten stärker nach China transferieren die „Lokalisierung“ ihres Geschäfts vorantreiben.
Das gemeinsame Erwirtschaften von Profiten verbindet weiterhin. Doch abseits davon schwinden die gemeinsamen Interessen zunehmend. Ermutigend ist zumindest, dass beim jetzigen Gipfel sowohl die EU als auch China darin übereinstimmen, ihre Zusammenarbeit beim Klimawandel auszubauen. Doch wie dies in einer zunehmend aufgeladenen Stimmung passieren soll, bleibt bislang offen.