EU und Großbritannien blicken No-Deal-Brexit ins Auge
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Zum Jahreswechsel endet die Übergangsfrist Groß Brittaniens nach dem Brexit und die Aussichten auf ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union stehen schlecht.
© Quelle: imago images/Mint Images/ZUMA press/Virginia Mayo/AP/dpa/Montage RND
Brüssel/London. Die Europäische Union sieht die Aussichten auf ein Handelsabkommen mit Großbritannien nach der Brexit-Übergangsfrist ab 1. Januar zunehmend düster. “Es hat in den Verhandlungen bisher absolut keine Bewegung der britischen Seite gegeben”, sagte ein EU-Diplomat am Montag in Brüssel. “Wenn sich dies nicht schnell ändert, werden wir auf dem Weg zu einem No-Deal sein, mit allen negativen Konsequenzen.”
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte zuvor eine Einigung in den Verhandlungen mit der EU bis zum 15. Oktober gefordert. Zugleich betonte Johnson, dass auch künftige Beziehungen ohne Vertrag “ein gutes Ergebnis für das Vereinigte Königreich“ wären. In einer Erklärung Johnsons hieß es: “Wir werden volle Kontrolle über unsere Gesetze, unsere Regeln und unsere Fischgründe haben. Wir werden die Freiheit haben, Handelsabkommen mit jedem Land der Welt zu schließen. Und es wird uns im Ergebnis sehr gut gehen.“
Bundesregierung bereitet sich auf No-Deal-Brexit vor
Derweil fordert die Bundesregierung von London mehr Entgegenkommen. Großbritannien müsse sich vor allem beim Thema Fischerei und bei der Vereinbarung gleicher Wettbewerbsbedingungen, dem sogenannten Level Playing Field, bewegen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Es müsse “schnellstmöglich” zu einer Einigung kommen. “Wir sind der Überzeugung: Das kann erfolgreich abgeschlossen werden”, sagte Seibert. Die Bundesregierung bereite sich aber auch für den Fall vor, dass ein Deal nicht zustande komme.
EU warnt vor wirtschaftlichen Folgen
Die EU warnt vor gravierenden wirtschaftlichen Folgen, falls kein Handelsabkommen gelingt. Da am 31. Dezember die Übergangsfrist nach dem britischen EU-Austritt endet, müssten in dem Fall am 1. Januar Zölle im Warenverkehr beider Seiten eingeführt werden. Viele Fragen wären offen, so die Regeln für gleiche Wettbewerbsbedingungen, für die Fischerei, für den Export von Finanzdienstleistungen aus Großbritannien oder den Datenaustausch zur Verbrechensbekämpfung.
Wenn die britische Regierung sich unbedingt über den Rand der Klippe stürzen wolle, könne die EU das nicht verhindern, sagte der EU-Diplomat. Sollte sie dagegen zu einer pragmatischen und realistischen Linie zurückkehren, gebe es durchaus noch Chancen auf eine Einigung im Oktober.
Gesetzespläne stellen ratifizierten Vertrag in Frage
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Großbritannien zur Einhaltung des Brexit-Austrittsvertrages aufgefordert. Das sei eine Verpflichtung nach internationalem Recht und Voraussetzung für die künftige Partnerschaft Großbritanniens mit der EU, schrieb von der Leyen am Montag auf Twitter. Hintergrund ist ein Bericht der „Financial Times“, wonach ein geplantes britisches Gesetz den vor dem britischen EU-Austritt im Januar ratifizierten Vertrag in Frage stellen könnte.
Dabei geht es um die Klauseln, die eine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland vermeiden sollen. Im Austrittsabkommen hatte London akzeptiert, Subventionen für Unternehmen bei der EU anzumelden, sofern sie Geschäfte in Nordirland betreffen. Zudem müssen nordirische Unternehmen Exporterklärungen abgeben, wenn sie Güter aufs britische Festland bringen wollen.
Neues Binnenmarktgesetz: Beschluss im Herbst
Laut „Financial Times“ würde das von der britischen Regierung geplante sogenannte Binnenmarktgesetz diese vertraglichen Zusagen teilweise aushebeln. Das Blatt beruft sich auf Personen, die die Pläne kennen. Beschlossen werden sollen sie aber erst im Herbst.
Ein Sprecher der britischen Regierung rechtfertigte die Pläne am Montag und bestätigte damit den Bericht: Man müsse sich auf ungewollte Konsequenzen des Austrittsabkommens vorbereiten und sei es den Menschen in Nordirland schuldig, sie vor solchen zu bewahren. Dies stehe aber nicht der Tatsache im Wege, dass man weiter an einem Abkommen mit der EU arbeite.
Johnson will Kontrollen an inneririschen Grenze vermeiden
Brexit-Befürworter in London stoßen sich seit jeher an Sonderregeln für Nordirland, weil sie eine Abkopplung der Provinz vom übrigen Vereinigten Königreich befürchten. Premierminister Boris Johnson ließ sich im Austrittsvertrag dennoch darauf ein, da sonst Kontrollen an der inneririschen Grenze nötig wären. Das wiederum widerspräche dem Karfreitags-Friedensabkommen für Nordirland.
Die EU-Seite hatte zuletzt ohnehin die schleppende Umsetzung des Austrittsabkommens beklagt. Zu dem Bericht in der “FT” erklärte ein EU-Diplomat am Montag: “Pacta sunt servanda - Verträge müssen eingehalten werden - das ist ein fundamentales Prinzip des internationalen Rechts.” Und er warnte: “Wer würde noch Handelsabkommen mit einem Land abschließen wollen, das internationale Verträge nicht umsetzt?”
Harter Brexit immer wahrscheinlicher
Großbritannien war Ende Januar aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsphase bis zum Jahresende gehört das Land aber noch zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion, so dass sich im Alltag fast noch nichts geändert hat. Beide Seiten verhandeln ab Dienstag wieder über ein Anschlussabkommen. Eine Einigung ist nicht in Sicht und der Ton wird schärfer. Gelingt kein Vertrag über die künftigen Beziehungen, könnte es Anfang 2021 zum harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen kommen.
RND/dpa