Drei Jahre nach dem Mord

Ex-Chef des hessischen Verfassungschutzes hielt Lübcke-Mörder schon vor der Tat für „brandgefährlich“

Walter Lübcke (CDU), Regierungspräsident von Kassel, spricht bei einer Pressekonferenz. Der Politiker wurde im Juni 2019 ermordet. (Archivbild)

Walter Lübcke (CDU), Regierungspräsident von Kassel, spricht bei einer Pressekonferenz. Der Politiker wurde im Juni 2019 ermordet. (Archivbild)

Wiesbaden. Hessens früherer Verfassungsschutz-Präsident Alexander Eisvogel hat den verurteilten Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wegen zahlreicher Vorstrafen und Gewalttaten schon vor der Tat für „brandgefährlich“ gehalten. So erklärte Eisvogel am Mittwoch im Untersuchungsausschuss des Landtages seinen handschriftlichen Kommentar auf einem Vermerk aus dem Jahr 2009. Er war von November 2006 bis April 2010 beim Landesverfassungsschutz tätig.

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Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses im Kreis Kassel von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst erschossen worden. Der Landtagsuntersuchungsausschuss wurde 2020 eingerichtet. Seine Aufgabe ist es, die Rolle der hessischen Sicherheitsbehörden in dem Mordfall aufzuarbeiten.

Wie militant Ernst aktuell war, hatte Eisvogel damals als Frage dazugeschrieben. Diese sei nicht unbeantwortet geblieben, sagte der 56-Jährige jetzt. So sei Ernst etwa auch in späteren Lagebildern enthalten gewesen. Nachrichtendienstliche Maßnahmen seien mangels tatsächlicher Anhaltspunkte auf bevorstehende Straftaten nicht möglich gewesen, eine Observation sei wiederum ohne umfangreiche Voraufklärung nicht in Betracht gekommen.

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„Rechtextremisten kühlen nicht einfach so ab“

Mangels weiterer Erkenntnisse war die Akte zu Ernst einige Jahre später gesperrt worden. Ob so etwas geschehe oder nicht, sei damals beim Verfassungsschutz nach „Schema F“ geprüft worden, räumte Eisvogel ein. Eine nach damaligem Recht vorgesehene Prüfpflicht sei „anders gelebt worden“. Ungefährlich sei der Täter jedoch nie geworden: „Rechtextremisten kühlen nicht einfach so ab“ - auch nicht, wenn sie ein Haus bauten und eine Familie gründeten, erklärte der Ex-Verfassungsschützer.

Den späteren Mörder habe er zwar nicht als Organisator in der Szene angesehen, nicht als einen zentralen Akteur oder als eine Führungspersönlichkeit. Ernst sei vielmehr jemand gewesen, der sich nicht unter Kontrolle gehabt habe: „Er war immer mittendrin.“

Unter anderem mit einem Messerangriff auf einen Imam auf einer Bahnhofstoilette in Wiesbaden 1992 und einem versuchten Anschlag auf ein Asylbewerberheim mit einer Rohrbombe 1993 war Ernst schon früh durch große Gewaltbereitschaft aufgefallen und auch verurteilt worden.

Eisvogel sieht massive Defizite beim hessischen Verfassungsschutz

Generell attestierte Eisvogel seiner Behörde speziell zu Beginn seiner damaligen Dienstzeit massive Defizite. Dabei ist die Liste seiner Kritikpunkte lang: fehlende operative Kapazitäten, zu wenige Analysespezialisten und Experten aus dem Bereich Rechtsextremismus, kein professionelles Informationsmanagement, kein geregeltes organisiertes Zusammenwirken von Beschaffung und Auswertung von Informationen.

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Insbesondere habe es massive Aus- und Fortbildungsmängel gegeben, stellte der Ex-Verfassungsschutzchef fest: „Jeder Bäcker lernt sein Handwerk besser und intensiver.“ Zu seiner Zeit habe es hauptsächlich ein „Training on the job“ mit Wochenkursen gegeben, aber seines Erachtens keine nötige mehrjährige Ausbildung. Auch der Austausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz sei zu Beginn seiner Amtszeit „notleidend“ gewesen, sagte Eisvogel. Sein Gefühl sei gewesen, dass sich in Hessen jede Sicherheitsbehörde wie eine eigene Insel verhielt.

RND/dpa

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