Facebook – das Monster in meinem Netz
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Wie gefährlich ist Facebook?
© Quelle: iStock
Menlo Park. Sie wollen Visionäre sein, Propheten, Weltveränderer. Darunter geht es nicht. Sie schießen Cabrios auf den Mars, suchen nach der Unsterblichkeitsformel und wollen Hunger, Kriege, Energiekrisen und Zukunftsangst mit smarter Software besiegen. Politik? Datenschutz? Regulierung? Gerichtsverfahren? Das war für die Tech-Milliardäre mit dem Gotteskomplex bisher bloß lästiges Klein-Klein. Störgeräusche auf dem Weg ins digitale Arkadien. Die Chefs von Facebook und Twitter, auch die von Amazon, Google oder Apple, betreiben nicht weniger als die Umprogrammierung der Welt – zu ihren Nutzungsbedingungen. Die „Superkraft der Technologie“, twitterte Silicon-Valley-Geldgeber Marc Andreessen mal, „upgradet uns als Schöpfer, Baumeister, Erfinder, Designer, Künstler, Produzenten“.
Plötzlich aber klingen die Superhelden aus dem Silicon Valley ganz anders. Zerknirscht. Nachdenklich. Voller Scham. Etwas hat sich gedreht. Über Monate wuchs der Druck. Vor allem die Social-Media-Konzerne hätten Fake News und Propaganda zur Erzeugung von Traffic stillschweigend hingenommen und sich hinter nebulösen, selbst gezimmerten „Community-Standards“ versteckt, tadelten Politik, Medien und Kunden.
Die Spur führt in Trumps Wahlkampfteam
Die Vorwürfe selbst blieben lange im Vagen. Jetzt sind sie konkret. Es gibt Namen, und es gibt Zahlen. Die womöglich beeindruckendste, am Wochenende veröffentlicht vom britischen „Observer“ und der „New York Times“: 50 Millionen.
Die Facebook-Profile von 50 Millionen amerikanischen Nutzern soll die Datenanalysefirma Cambridge Analytica ohne deren Erlaubnis angezapft haben. Daraus wurden Modelle entwickelt, um über Posts, Fake News, personalisierte Wahlwerbung die Wahlentscheidung dieser 50 Millionen Amerikaner zu beeinflussen – im Sommer 2016, mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Und ja, Cambridge Analytica ist eng verknüpft gewesen mit dem Wahlkampfteam des Kandidaten Donald Trump, ist von dessen rechtsnationalem Berater Steve Bannon mitgegründet worden. Und die Firma ist sehr aktiv in der Vertretung russischer Interessen im Westen.
Am Ende war Donald Trump tatsächlich US-Präsident, und die Russen feixten.
Die Manipulationsmaschine
Wie viele Daten Cambridge Analytica legal abgegriffen hat, wie viele es illegal gehortet und veräußert hat, welche Verantwortung den Datenkrake Facebook trifft – all das werden nun Untersuchungsausschüsse klären. Fest steht aber schon jetzt: Diese Art der Manipulation kann nur so erfolgreich sein, weil die sozialen Medien ihr Tür und Tor öffnen.
Es zeigt sich, dass die dopaminbefeuerte Häppchenkultur, die nur auf den nächsten Kick und die nächste Pseudobelohnung lauert, einen Bewusstseinszustand produziert, der Tiefe und Rationalität verhindert. Sie belohnt Aufgeregtheit mit Aufmerksamkeit und fördert Parallelwelten, Zuspitzung, Provokation und Aggressivität. Google, Apple, Twitter, Facebook und Co. haben die Welt zwar technisch bereichert, dabei aber das soziale Gefüge bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. „Früher hieß es: Meine Meinung zählt so viel wie deine Meinung“, sagt der britische Entertainer Ricky Gervais – „heute gilt: Meine Meinung zählt so viel wie deine Fakten. Das ist Blödsinn. Aber es geht nur noch um Popularität und Bestätigung.“
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„Facebook ist ein Technologieunternehmen, kein Medienunternehmen“: Doch Gründervater Mark Zuckerberg weiß selbst, dass die Grenzen in seinem Riesenkonzern fließend sind.
© Quelle: AP
Jahrelang hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg jede Mitverantwortung für das, was 2,13 Milliarden Facebook-Kunden auf seinen Servern trieben, von sich gewiesen. Sein Mantra: „Facebook ist ein Technologieunternehmen, kein Medienunternehmen.“ Technische Plattform: ja. Inhaltliche Mitgestaltung: nein. „Wir stellen Tools zur Verfügung. Wir erstellen keinen Content.“ Das ist keine semantische Lappalie. Medienunternehmen unterliegen deutlich strengeren Auflagen als Netzwerke. Dabei zeigen frische Studien, dass 44 Prozent aller Amerikaner ihre Informationen ausschließlich via Facebook beziehen.
Nun mehren sich beim mächtigen Konzern in Menlo Park die Zeichen für einen Kulturwandel. Ungewohnt unterwürfig und selbstkritisch geben sich in jüngster Zeit, schon vor der Veröffentlichung der Affäre Cambridge Analytica, mehrere frühere Facebook-Verantwortliche. Keine Spur mehr vom fast zwanghaft optimistischen Mix aus hippiesker Maßlosigkeit und eiserner Technikgläubigkeit. Ihnen scheint zu dämmern, welches Monster sie da erschaffen haben. Welche Macht die Algorithmen haben.
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„Sie bemerken es nicht, aber Sie werden bei Facebook regelrecht programmiert“: Chamath Palihapitiya, ehemaliger Facebook-Manager.
© Quelle: Chamath Palihapitiya
Er fühle eine „tiefe Schuld“, sagte etwa Chamath Palihapitiya, von 2007 bis 2011 verantwortlicher Manager für das Facebook-Nutzerwachstum, in einem Vortrag an der Stanford Business School. Er habe geholfen, Werkzeuge zu erschaffen, die „das soziale Gewebe unserer Gesellschaft zerstören“. „Sie bemerken es nicht, aber Sie werden bei Facebook regelrecht programmiert“, sagte er. Es erschrecke ihn inzwischen, wie viel „intellektuelle Unabhängigkeit“ Facebook-User verlören. „Das war nicht unsere Absicht. Aber ich glaube, in den Tiefen unserer Bewusstseins ahnten wir, dass etwas Schlimmes passieren könnte.“ Die seelischen Folgen der um sich selbst kreisenden Feedbackschleifen-Kultur seien kein amerikanisches und kein russisches Problem. „Es ist ein globales Problem.“ Seinen eigenen Kindern verbiete er diese „Scheiße“.
Er liege nachts wach und denke darüber nach, wie viel Ungemach seine Arbeit gebracht habe, sagte ein andere früherer Facebook-Verantwortlicher der Agentur Reuters. „Viele frühere Mitarbeiter sind entsetzt über dieses Ding, zu dem Facebook geworden ist.“ Selbst im firmeneigenen Blog schrieb Produktmanager Samidh Chakrabarti kürzlich ungewohnt offen: „Ich wünschte, ich könnte garantieren, dass die positiven Dinge die negativen überlagern, aber ich kann es nicht.“ Er gibt zu, dass Facebook erst 2016 dämmerte, dass es als manipulatives Propagandawerkzeug missbraucht werde. Aber noch kurz vor Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten hatte Zuckerberg abgewiegelt. Facebook manipuliert? Millionen Fake News? Bei uns? „Eine ziemlich verrückte Idee.“
Hat Facebook russische Hacker unterschätzt?
Ist die aktuelle Zerknirschtheit ein Trick, um den Druck vom Konzern zu nehmen? Warme Worte mit bangem Blick auf EU-Behörden, Wettbewerbshüter und Medienkritiker aus Angst um das Werbegeschäft? Oder echtes Bedauern über die Geister, die sie riefen – und die sie nun nicht mehr loswerden? Ist es wirklich glaubwürdig, dass Facebook unterschätzt hat, wie sehr es von russischen Hackern instrumentalisiert wurde, um die US-Wahlen zu beeinflussen?
Auch bei Twitter herrscht hektisches Bedauern. Chef Jack Dorsey übt sich in Selbstkritik. „Wir sind nicht stolz darauf, wie die Leute unseren Dienst ausgenutzt haben oder unsere Unfähigkeit, schnell genug dagegen vorzugehen“, twitterte er. Er wolle die „Debattenkultur“ verbessern. Zuckerberg schrieb in einer Stellungnahme gar, er entschuldige sich dafür, dass sein Werk benutzt worden sei, „um Menschen zu trennen statt sie zusammenzubringen“. Denn das ist und bleibt ja das Geschäftsmodell der Social-Media-Welt: So viele Menschen wie möglich mit Werbung in Kontakt zu bringen. Ein Viertel der Weltbevölkerung ist bei Facebook.
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„Gott weiß, was das in den Gehirnen unserer Kinder anrichtet“: Sean Parker, Ex-Facebook-Präsident.
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Noch. Die Jüngeren verlassen die Quatschbude bereits in Scharen. Nur noch ein Viertel der zwölf- bis 19-Jährigen nutzt Facebook regelmäßig. 2016 waren es noch 43 Prozent. Die Kritikpunkte: zu überladen, nervige Werbung, intransparente Löschkriterien, zu viele Lehrer und Eltern.
Auch Ex-Facebook-Präsident Sean Parker graust es inzwischen vor den Folgen des Netzwerks für das Sozialgefüge, vor diesem toxischen Kreislauf aus Popularität und populären Meinungen. Die „soziale Bestätigungsmaschine“ sei gemacht, um die „menschliche Verletzlichkeit psychologisch auszubeuten“, kritisierte Parker – und zwar durch ein System von künstlicher Bestätigung durch Herzchen, Likes und erhobene Daumen. „Gott weiß, was das in den Gehirnen unserer Kinder anrichtet.“
Die Antwort kennen Wissenschaftler bereits: Es wirkt verheerend. Autor Manfred Spitzer zitiert in seinem gerade erschienenen Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“ aus einer Metastudie mit Daten von mehr als 13.000 Studenten. Ergebnis: Empathie – also die Fähigkeit, sich in die Denkweisen anderer hineinzuführen – nimmt ab. Echte Gemeinschaft verliert an Wert. Die Gabe, die Perspektive anderer einzunehmen, verkümmert. Einsamkeit nimmt zu. Facebook beschleunigt diesen Prozess. 100 digitale Freunde ersetzen keinen echten. Es geht also um mehr als manipulative Kraft durch politische Propaganda. Es geht um den Zustand der menschlichen Seele selbst.
Bis zu 2 Billionen Dollar Strafe drohen
Das größte Problem, hat der ehemalige Facebook-Manager Antonio Garcia Martínez mal gesagt, sei, „dass so viele Menschen in der Tech-Szene kein Gespür dafür haben, was richtig und was falsch ist“. Das Fernziel von Facebook etwa sei es, Staaten und Gesellschaften radikal durch eine neue digitale Heimat zu ersetzen. Das oberste Gebot in Zuckerbergs „Kirche“ sei der „Hack“. Die vier Buchstaben stünden dafür, sich „ein System zu erschließen und es nach den eigenen Vorstellungen zu ändern“.
An diesem Credo ändert auch ein bisschen Zerknirschung nichts. Es liegt in der Natur von Facebook, nicht zuzulassen, dass es von anderen manipuliert wird. Der Grund ist aber weder politischer Idealismus noch Demokratiefreundlichkeit oder gar Menschenliebe. Der Grund ist allein, dass es im Weltbild von Zuckerbergs Imperium nur einen geben sollte, der die Macht zur Manipulation in den Händen hält. Und das ist Facebook selbst.
Wie lange das so bleibt, ist allerdings fraglich. Die US-Handelsaufsicht FTC prüft, ob Facebook gegen ein Datenschutzabkommen von 2011 verstoßen hat. Ein Verstoß kann laut FTC mit bis zu 40 000 US-Dollar pro Einzelfall geahndet werden. Wegen „fahrlässigen Umgangs mit den Daten von Nutzern“ in 50 Millionen Fällen steht Facebook womöglich eine Strafe von 2 Billionen US-Dollar ins Haus. Der Wahlkampf des Donald Trump kann den Weltkonzern des Mark Zuckerberg die Existenz kosten.
Von Imre Grimm/RND