Kommentar

Friedensnobelpreis für Menschenrechtler: Ohrfeige für Putin

Oleksandra Matviichuk von der Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties aus der Ukraine (Zentrum für bürgerliche Freiheiten): An ihre Organisation, an die Menschenrechtsorganisation Memorial aus Russland sowie an den belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki geht der diesjährige Friedensnobelpreis.

Oleksandra Matviichuk von der Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties aus der Ukraine (Zentrum für bürgerliche Freiheiten): An ihre Organisation, an die Menschenrechtsorganisation Memorial aus Russland sowie an den belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki geht der diesjährige Friedensnobelpreis.

Ein Friedensnobelpreis in Kriegszeiten, das gab es schon sehr oft. Dass Jahr für Jahr Mutige und Ausdauernde für ihren Einsatz gegen Konflikte und Kämpfe mit dieser weltweit be- und geachteten Auszeichnung unterstützt werden, zeigt ja zugleich: Krieg ist eine dauerhafte Plage und Frieden ein dauerhafter Traum der Menschheit.

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Dass aber das norwegische Nobelkomitee einen Preisträger finden muss, während in Europa Europäer Europäer töten – das gab es lange nicht. Die Entscheidung, die Ehre und Aufmerksamkeit nun Menschenrechtlern aus Belarus, der Ukraine und auch aus Russland zukommen zu lassen, ist ein starkes Signal zur rechten Zeit.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Denn der europäische Preis kann den russischen Krieg in Europa nicht ignorieren. Zugleich ist, während in früheren Jahren oft Staatenlenker und Spitzenpolitiker für ihre Verdienste um Waffenruhen und Aussöhnung geehrt wurden, ist dieses Feld in diesem Krieg noch nicht bereitet.

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Im Gegenteil, auf Wladimir Putins andauernde Drohungen mit der Atombombe reagieren auch seine Gegner im Westen martialisch – vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj bis zum US-amerikanischen Kollegen Biden. Das müssen sie auch. Denn um das Gleichgewicht des Schreckens aufrechtzuerhalten, kann der Westen Putin nur Stärke und Entschlossenheit signalisieren.

Und doch schoss Selenskyj nun übers Ziel hinaus, als er forderte, einen russischen Atomwaffeneinsatz durch „Präventivschläge“ zu verhindern. Zwar darf man seiner Klarstellung glauben, dass er keinen nuklearen Erstschlag forderte, sondern ein vorbeugendes Vorgehen gegen russische Anlagen. Doch angesichts eines derart heiklen Themas verbietet sich jede sprachliche Ungenauigkeit.

Irena Scherbakowa, Historikerin, Germanistin und Mitgründerin der in Russland inzwischen verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial.

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Irritierend ist auch Joe Bidens Warnung, dass die Welt so nahe am „Armageddon“ stehe wie seit den 1960ern nicht mehr, denn Putin sei so in der Defensive, dass der Kreml durchaus ernstlich über den Einsatz taktischer Atomwaffen nachdenken könnte.

Wenn Amerikaner und Europäer das ernsthaft fürchten, müssen sie innerhalb von Nato, G7 und G20 und auch gemeinsam mit der Ukraine schnellstens Auswege aus den Gefechten finden – und alles Weitere danach regeln. Biden selbst deutete das an, als er gleichfalls sagte, er überlege, was „Putins Ausstieg“ sein könnte.

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Darf aber die Nato Russland noch eine Brücke bauen? Nun, einige Friedensnobelpreisträger wurden nicht zuletzt dafür ausgezeichnet, ihren Kurs korrigiert zu haben.

Preisträger sind Vorbilder

Dass das Nobelkomitee statt Realpolitiker nun Menschenrechtler ehrt, ist trotzdem keine Verlegenheitslösung. Falsch wäre auch die plumpe Lesart, ukrainische wie russische Organisationen auszuzeichnen, sei ein salomonischer Aufruf, aufeinander zuzugehen.

Friedensnobelpreis 2022 geht an Menschenrechtler aus Belarus, der Ukraine und Russland

Die Preisträger setzten sich seit vielen Jahren für das Recht ein, die Macht zu kritisieren und Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Vielmehr ist nicht nur die Ehrung des ukrainischen Zentrums für bürgerliche Freiheiten, das aktuelle Kriegsverbrechen dokumentiert, sondern erst recht der Preis für die russische Organisation „Memorial“ eine scharfe Kritik an Putin – setzt sie sich doch gegen Militarismus ein und wurde vom Kreml gerade verboten.

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Besonders stark am Signal des Preises ist aber, dass er zu den Wurzeln dieses Krieges weist – und nach vorn: Wie konnte es so weit kommen? Wie findet ein Russland ohne Putin zurück in die Weltgemeinschaft? Die Antwort ist die Zivilgesellschaft: Putins Russland krankt daran, dass Menschenrechtler und Kriegsgegner eine kleine Minderheit sind, während die Mehrheitsgesellschaft gelähmt ist durch Obrigkeitshörigkeit, Unterdrückung von Opposition und Meinungsfreiheit und einem Fokus aufs Privatleben oder auf eigene Fortkommen. Die Friedensnobelpreisträger sind ruhmreiche Ausnahmen – und ein Vorbild für alle Russen, die aus dem imperialen Wahn aufwachen wollen.

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