Für Erdogan geht es bei der Wahl ums Ganze
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Im jetzt beginnenden Wahlkampf hat Erdogan leichtes Spiel. Zehntausende politische Gegner sitzen seit dem Putschversuch vom Juli 2016 in den Gefängnissen.
© Quelle: imago/Depo Photos
Ankara. Mehr als ein Dutzend Abstimmungen hat Erdogan in seiner politischen Karriere bereits bestritten - und alle gewonnen. Manche triumphal, wie die Parlamentswahl 2011, bei der seine islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) fast 50 Prozent erreichte, andere knapp, wie die Volksabstimmung vor einem Jahr, als er mit 51,4 Prozent nur mit Mühe die entscheidende 50-Prozent-Marke schaffte.
Damals ging es um die Präsidialverfassung, eine entscheidende Weichenstellung für Erdogan. Das neue Grundgesetz soll ihm eine fast unumschränkte Machtfülle geben. Mit den bevorstehenden Wahlen wird der Übergang von der parlamentarischen Demokratie zum Präsidialsystem besiegelt.
Das Amt des Regierungschefs wird abgeschafft, seine Befugnisse gehen auf den Staatspräsidenten über. Zugleich werden die Kompetenzen des Parlaments beschnitten. Die Nationalversammlung hat künftig bei der Berufung der Minister und der Aufstellung des Haushalts nicht mehr mitzureden. Der Staatschef kann sogar das Parlament auflösen – Demokratie à la turca.
Politische Gegner sitzen in Gefängnissen ein
Angesichts der „historischen Entwicklungen in unserer Region“ sollte die Türkei möglichst rasch zum Präsidialsystem wechseln, sagte Erdogan am Mittwoch – offenbar eine Anspielung auf den Syrienkrieg. Der türkische Staatschef hat mindestens drei gute Gründe, die Wahlen vorzuziehen: Erstens nutzt er die Welle des Nationalismus, die das Land mit der türkischen Militäroperation gegen die Kurden in Syrien und im Irak ergriffen hat.
Zweitens kommt er einer drohenden Finanzkrise zuvor, die sich mit einer massiven Kapitalflucht und dem Absturz der türkischen Lira bereits ankündigt. Drittens hofft Erdogan die Opposition zu überrumpeln.
Im jetzt beginnenden Wahlkampf hat Erdogan leichtes Spiel. Zehntausende politische Gegner sitzen seit dem Putschversuch vom Juli 2016 in den Gefängnissen. Die meisten Medien sind gleichgeschaltet. Unter dem gerade erst um weitere drei Monate verlängerte Ausnahmezustand können die Behörden Versammlungen, also auch Wahlkundgebungen der Opposition, nach Gutdünken verbieten.
Auch in Deutschland will Erdogan seine Anhänger mobilisieren
Wie schon vor dem Verfassungsreferendum im vergangenen Jahr, wird Erdogan auch jetzt versuchen, seinen Wahlkampf in die EU zu tragen, vor allem nach Deutschland. Unter jenen Deutsch-Türken, die sich an türkischen Wahlen beteiligen – was allerdings eine Minderheit ist -, hat Erdogan deutlich mehr Anhänger als in der heimischen Bevölkerung.
Vor dem Verfassungsreferendum verzichtete Erdogan auf geplante Kundgebungen in Deutschland, nachdem zuvor die Behörden Auftrittsverbote für türkische Regierungspolitiker ausgesprochen hatten. Erdogan warf daraufhin Kanzlerin Angela Merkel „Nazi-Methoden“ vor. Jetzt könnte der Streit neu aufflammen. Inzwischen hat sich die Rechtslage in Deutschland allerdings geändert: Wahlkampfkundgebungen von Politikern aus Nicht-EU-Staaten müssen von der Bundesregierung genehmigt werden und sind grundsätzlich in den letzten drei Monaten vor einer Abstimmung verboten. Danach kann Erdogan nicht mit einer Genehmigung rechnen.
Die Opposition ist schwach
Die Unterstützung der Auslandstürken ist wichtig für Erdogan, denn er braucht jede Stimme. Bei der Präsidentenwahl muss er über 50 Prozent erreichen, um im ersten Durchgang gewählt zu werden – keine leichte Übung, wie der knappe Ausgang des Verfassungsreferendums zeigte. Profitieren kann Erdogan aber von der Schwäche der Opposition. Wer für die größte Oppositionspartei CHP antritt, ist noch unklar.
Gefährlich werden könnte Erdogan allenfalls die frühere Innenministerin Meral Aksener, die an der Spitze einer neuen rechtsnationalistischen Partei antritt. Verfehlt Erdogan im ersten Durchgang die absolute Mehrheit, wird es doch noch spannend. Dann könnten sich seine Gegner in der Stichwahl um den Herausforderer scharen.
Von Gerd Höhler/RND