Generalinspekteur der Bundeswehr: “Innere Sicherheit ist Sache der Polizei”
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Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn hält nichts davon, wegen Corona die Auslandseinsätze zu beenden.
© Quelle: Thomas Koehler/photothek.net
Berlin. Herr Zorn, bei der Bundeswehr läuft alles in Gruppen ab, von Appellen bis zur Übernachtung in Sechsbettzimmern. Wie geht das in Zeiten von Corona?
Wir erfüllen weiterhin unsere Aufgaben. Zugleich gilt es, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Deshalb gibt es derzeit keine Stube, die mit sechs Menschen belegt ist. Wir nennen das “Auflockerung”. Mit der Ausbildung pausieren wir, sofern sie nicht relevant ist für Auslandseinsätze oder die Laufbahn. Die Büroarbeit ist auf Schichtdienst und Homeoffice umgestellt. Wenn Sie durch eine Kaserne laufen, sehen Sie dort kaum Soldaten. Es sind nur 20 bis 30 Prozent der Leute zur gleichen Zeit vor Ort. Ansonsten ist es dort sehr still. Appelle finden nicht statt.
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Ist die Bundeswehr trotz geringer Präsenz funktionsfähig?
Die Leute sind zu Hause ja nicht im Urlaub. Sie halten sich auf Abruf bereit und stehen in intensivem Kontakt zu ihren Einheiten. Wenn Bedarf ist, fahren wir innerhalb eines Tages wieder hoch. Viele Ausbildungsabschnitte finden weiter statt und wurden auf Onlineunterrichtung umgestellt, so ähnlich wie derzeit im Schulunterricht. Es ist schon bemerkenswert, wofür auch unter den aktuellen Bedingungen Lösungen gefunden werden können.
Kann das Virus die Bundeswehr schachmatt setzen?
Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Wir haben etwa 250 Infektionsfälle. Die Steigerungsraten sind derzeit zum Glück überschaubar. Wo sich Verdachtsfälle auftun, sind wir schnell und schicken die Soldatinnen und Soldaten sofort nach Hause. Wir haben auch etwa 1200 isolierte Betreuungsmöglichkeiten in Kasernen, falls ein Infizierter nicht nach Hause kann oder will.
Zwei Korvetten müssen im Hafen bleiben, weil es dort Infektionsfälle gab. Wann leidet die Einsatzfähigkeit?
Die Korvetten fallen nicht aus. Es gibt einen Infektionsfall auf einer Korvette, Kontaktpersonen wurden isoliert. Wir haben derzeit ausreichend Personal aus Wechselbesatzungen, um die Einsatzfähigkeit zu gewährleisten. Generell erfüllen wir unverändert unsere Einsatzverpflichtungen, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Vor und nach jedem Auslandseinsatz gehen die Soldaten und Soldatinnen je 14 Tage in Quarantäne. Auch die Flugzeugbesatzungen durchlaufen 14-tägige Quarantänephasen. Dadurch generieren wir einen langen Atem.
Die Bundeswehr hat ein eigenes Katastrophenschutzkontingent aufgebaut, mit 15.000 Soldaten. Wann kommen die zum Einsatz?
Wir agieren, wenn die Behörden auf Landes- und Bundesebene Amtshilfe beantragen. Wir können sofort mit 500 Lkw losfahren und damit 2500 Tonnen transportieren. Wir können geschützten Lagerraum zur Verfügung stellen. Unsere Leute unterstützen beim Zeltaufbau und bei der Organisation von Testabstrichstellen. Auch bei der Desinfektion können wir helfen, mit 18 ABC-Abwehrtrupps à 15 Personen, das geht vom Omnibus über Kitas und Sporthallen bis zur Flächendesinfektion. Generell gilt: Wenn es um “helfende Hände” und Logistik geht, haben wir deutlich Kapazitäten.
Wie viele Hilfsersuchen haben Sie schon, und was wird am meisten angefragt?
Derzeit gibt es etwa 300 Amtshilfeanträge. Die meisten kommen aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Die größte Nachfrage gibt es nach Sanitätsmaterial, von Schutzkleidung bis Schutzmasken. Und es gibt oft den Wunsch nach personeller Unterstützung aus der Sanität. Hier sind unsere zusätzlichen Kapazitäten aber begrenzt, weil wir ohnehin in die zivile medizinische Versorgung integriert sind. 70 bis 80 Prozent der Patienten in den Bundeswehrkrankenhäusern sind zivil, das war auch schon vor der Corona-Krise so.
Wie stellen Sie sicher, dass die Bundeswehr zivilen Firmen nicht ihre Arbeit wegnimmt?
Anträge werden erst rechtlich geprüft. Dann wird geschaut, ob wir die Hilfestellung erbringen können. Und es muss nachgewiesen werden, dass alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Es macht ja keinen Sinn, wenn wir mit unseren grünen Lastwagen Güter transportieren und dann ein privater Logistiker pleitegeht. Die Anträge werden auch priorisiert, damit die Hilfe dort ankommt, wo es besonders nötig ist.
In anderen Ländern sind Soldaten im Einsatz, um Ausgangssperren zu kontrollieren. Gibt es Anfragen an die Bundeswehr, Polizeiaufgaben zu übernehmen?
Es gibt noch keine Anträge auf polizeiliche Unterstützung, und das ist auch nicht unser Kernauftrag. Innere Sicherheit ist Sache der Polizei. Patrouillierende Soldaten auf der Straße – so ein Bild sehe ich in Deutschland nicht.
Wenn die Polizei die Sicherheitslage dramatisch zuspitzt, etwa durch einen Anschlag, was kann oder würde die Bundeswehr dann tun?
Wenn die Polizei in einer Extremsituation ihre Kräfte auf einen Bereich konzentrieren muss, könnte die Bundeswehr in anderen Feldern Unterstützung leisten, wie beim Schutz kritischer Infrastruktur. Die Polizei behielte aber auch in so einem Fall stets die Federführung.
Also keine Panzer in den Städten?
Nein. Das ist total abwegig. Dafür ist die Bundeswehr nicht da und juristisch nicht legitimiert. Wir lösen auch keine Corona-Partys auf. Bei der Amtshilfe, die jetzt erfolgt, sind die Soldaten im Übrigen alle unbewaffnet.
Es wurde oft beklagt, dass die Bundeswehr zu wenig von allem hat, auch nicht genug Personal. Müssen Sie jetzt Reservisten zwangsverpflichten?
Nein. Die Bundeswehr hat rund 180.000 aktive Soldaten. Und es haben sich freiwillig zusätzlich über 15.000 Reservisten gemeldet, darunter 500 mit Lkw-Führerschein, 750 für kleinere Fahrdienste, 140 Logistiker, 20 ABC-Spezialisten. Damit können wir den abschätzbaren Bedarf gut abdecken.
Aus dem Irak hat sich die Bundeswehr wegen Corona größtenteils zurückgezogen. Gibt es weitere Einschränkungen bei Auslandseinsätzen?
In den Einsatzgebieten haben wir bis auf sechs Fälle in Litauen bisher keine Infektionsfälle. In allen Einsatzländern wird die Ausbildung der örtlichen Kräfte nur noch eingeschränkt durchgeführt. Aus dem Irak haben wir uns nicht zurückgezogen. Dort ist die Ausbildung bis zum 11. Mai unterbrochen. Die Ausbilder sind zurück in Deutschland, der Betrieb des Lagers wird aber aufrechterhalten. In Afghanistan läuft die Beratung vorübergehend telefonisch. In Mali läuft der Einsatz weitgehend unverändert. Das gilt auch für alle Seegebiete.
Wäre es nicht sinnvoll, Soldaten aus allen Einsätzen zurückzuholen?
Die Sicherheitslage in den Einsatzländern verändert sich durch Corona nicht zum Positiven. In allen Krisengebieten sind die destabilisierenden Gruppen unverändert aktiv. Die Bedrohung hat nicht abgenommen. Es wäre fatal, das aus dem Auge zu verlieren. Ansonsten könnte ein gefährliches Vakuum entstehen.
Welche Auswirkungen hat Corona auf die Fertigstellung von Waffensystemen?
Ich sehe bislang keine negativen Auswirkungen. Unsere Güter werden nicht in Massenproduktion hergestellt, die Industrie hat offensichtlich noch Reserven. Wenn die Zulieferer Probleme bekommen, wird es vielleicht schwieriger.
Die Entscheidung über die Nachfolge des Kampfflugzeugs Tornado steht noch aus. Wird das noch etwas in dieser Wahlperiode?
Es wird in Kürze eine Entscheidung des Verteidigungsministeriums geben. Wann der Prozess aber politisch vollständig abgeschlossen sein wird, ist derzeit schwer zu prognostizieren.
Hat Corona zu einer Zunahme bei den Cyberangriffen geführt?
In den vergangenen Jahren sind die Cyberangriffe auf die Bundeswehr stetig gestiegen. 2019 gab es 5,7 Millionen Zugriffsversuche, die erkannt und abgewehrt wurden. Überwiegend gehen diese Zugriffe auf automatisierte Verfahren mit Botnetzwerken zurück. Wegen Corona gibt es keine signifikant erhöhte Aktivität in Richtung unserer Bundeswehrsysteme. Wir haben aber unsere Netze noch mal besonders gesichert, weil viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten.
Die US-Großübung in Europa “Defender 2020” wurde wegen Corona abgesagt. Der Rücktransport von Soldaten und Material ist auch ein potenzielles Infektionsrisiko.
Die 5500 US-Soldaten in Litauen und Polen sollen von dort zurückgeflogen werden. In Deutschland sind in Bergen und Munster in Niedersachsen noch rund 1700 US-Fahrzeuge abgestellt. Diese sollen ab Juni über Bremerhaven zurück in die USA gebracht werden. Wenn sich bis dahin die Corona-Lage nicht verbessert haben sollte, muss man die Zeitpläne überarbeiten. Etwa 13.000 Fahrzeuge und Container aus Depots in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg befinden sich noch in Polen. Bei deren Rücktransport ist neben Corona die Afrikanische Schweinepest eine weitere Herausforderung. Denn das Material muss vor dem Rücktransport komplett desinfiziert werden.